Deutsche Fiktion V

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Eigentlich sollte mit diesem Teil die Geschichte zuende gehen. Das hat noch nicht ganz geklappt. Die anderen Teile gibt es hier: Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4

Der Beatmungsbeutel in ihrer Hand fühlte sich unwirklich an.Wenn man drei Stunden so ein Stück Latex in regelmäßigen Abständen zusammendrückt und wieder loslässt, geben die Sinneszellen erst immer merkwürdigere Signale in Richtung Gehirn, bis diese ganz versiegen. Seit der Strom ausgefallen war, wurde fieberhaft versucht mehr Personal in die Klinik zu bekommen. Es stellte sich jedoch als schwer heraus, die Leute zu erreichen, eigentlich als unmöglich. Nun war ein Bus organisiert worden, der bei den Leuten zu Hause vorbeifuhr um diese dann mitzunehmen. Bis der aber wieder hier war, konnte es gut und gerne noch einige Stunden dauern. Sie musste auf die Toilette.

In Brüssel wurde scharf darüber diskutiert, was als nächstes zu tun war. Für den Kanzler war klar, dass es keine andere Wahl gab als zu verhandeln. Fehler die in der Vergangenheit gemacht worden waren, konnte man jetzt nicht durch „Präzisionsschläge“ wieder ausbügeln. Eigentlich hatte er gedacht, jedem im Raum hätte das klar sein müssen, nachdem das Umspannwerk heute Morgen in die Luft geflogen war. Sogar die Generäle ließen erkennen, Verhandlungen seien im Moment erfolgversprechender als weitere Militäraktionen.
Die Vertreter der konservativen Regierungen hatten sich noch nicht dazu durchringen können, eine Niederlage hinzunehmen. Doch gegen Mittag zeichnete sich eine Lösung ab. Es wurde beschlossen, den Terroristen Verhandlungen anzubieten. Siegmar Gabriel sank erleichtert zurück in seinen Sessel und griff nach einer Cola, die hatte er sich verdient, wenn sie auch warm war. In Gedanken war er schon in Berlin und vor allem bei Gabriela, als Silvio Berlusconi seinen Namen sagte. Er schrak auf, ließ sich jedoch nichts anmerken. Langsam wurde klar, dass es um einen Verhandlungsführer ging und Silvio seinen Namen ins Spiel gebracht hatte. Silvio, der heute morgen noch alles im nördlichen Afrika hatte einebnen wollen. Der Kanzler nahm einen Schluck von seiner lauwarmen Cola.

Balikh saß auffallend aufrecht am Computer, den Brustkorb bandagiert. Über Twitter kamen die Meldungen herein, dass es an den anderen Umspannwerken nicht zu Angriffen gekommen war. Die europäischen Truppen landeten zwar weiter an der Küste, blieben aber auch dort. Per Email kamen die anderen Nachrichten herein, wobei er sich sicher war, auch die würden nun eingehender mitgelesen. Was nicht hieß, dass man sie auch verstand. Der Erfolg der Aktion in Tunesien und ihre Folgen hatten die letzten Zweifler überzeugt. Nun hieß es warten, es würde sich jemand melden. Fakhri kam herein, sein Gesicht war besorgt. „Du bist schon wieder auf den Beinen?“ „Heute sind wir alle auf den Beinen.“

Das Personal im Kontrollzentrum in Brüssel war vollkommen überlastet, es war nicht schwer das durch die Scheibe im Konferenzraum zu erkennen. Die Hemden waren durchgeschwitzt, die Frisuren durcheinander, Nerven lagen blank. Man sah sonst kühle Bürokraten am Telefon in Tränen ausbrechen.
Im Konferenzraum war es nicht viel besser. Siegmar Gabriel war zwar als Verhandlungsführer auserkoren worden, weil man ihm das größte Verhandlungsgeschick zusprach. Doch einige der Regierungschefs waren nur schwer davon abzubringen gewesen weiter Vergeltung zu fordern. Vor allem weil es ihnen nur darum ging. Sie waren tief gekränkt, dass ein paar „ungebildete Araber“ Europa gedemütigt hatte. Der Kanzler hatte sehr lange geredet und eine harte Verhandlungsführung versprochen. Er hatte angeführt, dass die Gegenseite sicher keine Erfahrung im Verhandeln von Bedingungen hatte. Und im Formulieren von Verträgen noch viel weniger.
Am frühen Nachmittag griff Gabriel zum Hörer, er hatte keinen Schimmer, wen er am Apparat haben würde und wer auf welche Weise den Kontakt hergestellt hatte. Es dauerte nicht lange. „Hier ist Balikh.“ sagte eine ruhige Stimme, zu ruhig. „Mein Name ist Siegmar Gabriel, ich bin Kanzler der Demokratischen Republik Deutschland und Verhandlungsführer der EU. Ich grüße Sie Mr. …?“ „Balikh, das sollte reichen, wir werden uns bald sehen.“

Groten packte sein Sachen zusammen, als der junge Soldat, Meier oder Müller hereinkam, der ihm schon seit Beginn zugeteilt war. Seine Nachricht nahm er mit einem müden Winken seiner Hand zu Kenntnis. Meier oder Müller blieb stehen, er wirkte unsicher, etwas schien ihm auf der Seele zu brennen. „Wie heißen sie?“ fragte Groten etwas zackiger, als er es vorgehabt hatte. „Senckenberg, Herr General!“ „Ja, den General lassen se mal stecken, das ist nämlich hier vorbei für mich, der ganze Verein, ab heute wird alles anders, heute wurde uns der Arsch versohlt.“ „Und was passiert nun?“ „Da fragen sie den Falschen. Heute stehe ich das erste Mal auf der Seite der Verlierer.“

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Geschrieben von

merdeister

Ein guter Charakter erzieht sich selbst. - Indigokind - Blogtherapeut

merdeister

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