Homöopathie und Ich II - Suche bei Samuel

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Im ersten Teil habe ich einige Stationen des Weges aufgezeigt, der mich dahin geführt hat, wo ich nun stehe und der dazu geführt hat, dass ich mich mit Homöopathie und Alternativmedizin beschäftige. Mein Weg begann, wir erinnern uns, damit, dass ich jemanden ärgern wollte.

Um Homöopathie zu verstehen, dachte ich, ist es am besten, die Gedanken ihres Gründers zu nachzuvollziehen: Samuel Hahnemann. In Anbetracht seines Todes und ganz praktischen Problemen mit der Streichholztheorie nahm ich mir seine Schriften vor und fand "Allopathie: Ein Wort der Warnung an Kranke jeder Art" hilfreich. Dort schreibt Hahnemann, und jeder Zeile ist seine Verzweiflung anzumerken, über die schädlichen Methoden der "Medizin alter Schule", dort würden nur Symptome behandelt und bei der Verabreichung von Arzneien fehle Systematik. Er schreibt, Ärzte der "alten Schule" suchten nicht nach dem "Urgrund" einer Erkrankung, sonder stümperten nur mit "Pfuschkuren" herum.

Damals, 1831, hätte ich Homöopathie fast jeder "Medizin alter Schule" vorgezogen und wärewahrscheinlich gut damit gefahren. Doch obwohl Hahnemann ein guter und kritischer Beobachter war, blieb er auch immer Kind seiner Zeit. Er schreibt von einer Lebenskraft, von Psora und Miasmen. Das sind heute weitgehend aus der Medizin verschwundene Begriffe, weil sie nicht mehr benötigt werden. Rudolf Virchow und Robert Koch haben, unter vielen anderen, dafür gesorgt. Es handelt sich also bei Miasmen, Lebenskraft und Psora um seit fast 200 Jahren überholte Konzepte. Doch Hahnemann könnte noch heute auf der Stelle Homöopath werden, gäbe es nicht das Streichholzproblem. Koch und Virchow müssten vorher nochmal 6 Jahre zur Uni gehen.

Nach der Hahnemannlektüre machte ich mich auf die Suche nach Aktuellerem und traf unweigerlich auf Edzard Ernst, einen emeritierten Professor für Alternativmedizin der Universität Exeter. Der sagt, in über 10 Jahren Forschung habe er keinen Hinweis auf eine Wirkung der Homöopathie über den Placeboeffekt hinaus feststellen können. Im Lancet war 2005 eine Metaanalyse erschienen, deren Aussage das bestätigte, nicht die erste ihrer Art. Im Editoral war das Ende der Homöopathie bereits ausgerufen worden, bevor ich überhaupt wusste, worum es sich dabei handelt. Das Streichholz der Homöopathie erweist sich als sehr langlebig.

Die Augen aus dem Kopf sind mir dann gefallen, als ich den Donnerreport las. Dort beschreibt Fritz Donner, ein Homöopath alter Schule, wie 1936-'39 versucht wurde, Homöopathie zu belegen, wobei es erst einmal darum ging, ihr ein Fundament zu verschaffen. Die Arzneitmittelbilder, welche die Grundlage der homöopathischen Behandlung bilden, sollten bestätigt werden. Doch es zeigte sich, dass es im Grunde egal war, ob man den Menschen Placebos oder echte Homöopathie gab. Wichtig waren die Informationen, die ihnen zu den Mitteln gegeben wurde. Fritz Donner, der bis zu seinem Lebensende Homöopath war, gab dem Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte DZVhÄ den Auftrag, sein Werk fortzusetzen und die Homöopathie systematisch zu erforschen.

Nach allem, was ich bisher gelernt hatte, war ich wirklich erstaunt, eine nicht kleine Anzahl von Ärzten zu finden, die noch mit Begriffen wie Psora, Miasmen und Lebenskraft hantieren. Als ich diese Begriffe in einen Kongressbericht las, wurde mir anders. Dort ging es um die Behandlung "schwerer Pathologien", unter anderem Homöopathie bei Krebs. Vor allem ein Zitat fiel mir dabei ins Auge. Das Prinzip homöopathischer Krebsbehandlung, hieß es dort, ließe sich mit folgenden Worte Emil Schlegels (1852 - 1934) zusammenfassen:

„Leidende (...) müssen sich auf die Behandlung in vollem Maße geistig einlassen. Sie dürfen absolut nicht an die Unheilbarkeit des Zustandes glauben; auch ist ihnen nicht damit gedient, dass sie nur Linderungsmittel verlangen, es muss mit Entschlossenheit und Hingabe eine volle Heilung angestrebt und betrieben werden. Die Erfahrung hat gezeigt, dass auch in scheinbar hoffnungslosen Fällen doch überraschende Wendungen eintreten können, niemals aber lässt sich bestimmt vorhersagen, was noch möglich ist.“

Die Entwicklung der Palliativmedizin scheint an den Autoren vorbeigegangen zu sein. Für mich steckt in diesem Satz wenig Menschlichkeit, um es höflich auszudrücken. Vor dem in diesem Satz ausgedrückten Menschenbild graust es mir. Patriachalisches, magisches Denken mit der Begründung für einen Misserfolg immer inklusive: Die erkrankte Person hat es im (Ur)grunde nicht anders gewollt.

Obwohl sich Homöopathen noch an seit Jahrhunderten veralteten Begriffen festhalten, fand ich immer wieder einen modernen Begriff, den sie unter ihre Fittiche genommen haben. So auch in diesem Kongressbericht.

"Stark reduziert bedeutet die Newton’sche Gesetzmäßigkeit 'Wenn ... dann ...', die Quantengesetzmäßigkeit 'Alles ist möglich.' Es ist auch ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass diese Reduktion weder auf eine 'Zwangsläufigkeit' noch auf eine 'Beliebigkeit' hinausläuft."

Ich frage mich häufiger, was Hahnemann wohl zur Homöopathie im 21. Jahrhundert sagen würde, lag ihm doch, wie auf der Site der Emil Schlegel Klinik zu lesen ist, daran, die "ärztliche Praxis auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen." Von Quanten hat er nichts geschrieben.

Wie wichtig eine wissenschaftliche Grundlage ist, dämmerte mir jeden Tag während eines Praktikums im Krankenhaus, als ich Kollegen und mich beobachtete. Die Beschäftigung mit der Homöopathie hatte mir gezeigt, wie leicht es ist, sich selbst in Sicherheit zu wiegen, wenn man der Meinung ist, Nützliches zu tun. Jede Pille die ich verschreibe, muss ich hinterfragen und werde doch, weil ich ein Mensch bin, eher davon ausgehen, meine Pille und nicht irgendetwas anderes habe geholfen. Ohne Wissenschaft sind Ärzte, wenn nicht blind, so doch sehr kurzsichtig. In einer gewissen Art macht mich dieses Wissen demütig, denn mir wird immer klarer: Ohne die Arbeit 1000er Frauen und Männer vor mir wäre all mein Wille, der Gesundheit meiner Mitmenschen zu nutzen, sinnlos. Ich will kein erloschenes Streichholz in der Hand halten und behaupten, es würde brennen.

Im nächsten Teil geht es um eine weitere Entdeckung, die ich gemacht habe und darum, was andere von Homöopathie halten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

merdeister

Ein guter Charakter erzieht sich selbst. - Indigokind - Blogtherapeut

merdeister

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