Verschwörung statt Recherche

Journalismus Bevor man seine Ansicht ändern muss, nimmt man eher eine Verschwörung an: Wissenschaftsjournalismus bei "der Freitag"

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Vielleicht erinnert sich der/die eine oder andere noch daran; der Freitag hatte mal eine Wissenschaftsredakteurin. Der Vorteil einer Wissenschaftsredakteurin ist, dass sie eine Idee davon hat, wie Wissenschaft funktioniert. Eine Idee davon kann (!) natürlich auch eine Politikredakteur haben, mehr versteht er aber wahrscheinlich (und hoffentlich) von Politik.

Solange beide Bereiche getrennt betrachtet werden, wenn sie getrennt betrachtet werden müssen, ist das Fehlen einer Wissenschaftsredakteurin kein Problem. Wenn aber der Politikredakteur das Zurückziehen einer Studie allein aus der politischen Warte betrachtet, ohne, wie es sich liest, auch nur einmal den wissenschaftlichen Teil der Nachricht beleuchtet zu haben, kommen ein paar sehr peinliche Zeilen mit einem dummen Schluss dabei heraus.

https://lh4.googleusercontent.com/-CpEoL5MvWbE/UqMPpgwzKsI/AAAAAAAAC28/YnU2E9Nkhcw/w836-h1114-no/20131207_130435.jpg

So wie in der aktuellen Ausgabe. Da wird über die “fragwürdige” Entscheidung geschrieben, die “Gentechnik kritische” Studie von Herrn Seralini zurückzuziehen (auch wenn der Namen in der Meldung nicht genannt wird). Fragwürdig ist dabei nicht die Entscheidung, die Studie zurückzuziehen, fragwürdig war die Entscheidung, sie überhaupt erst anzunehmen. Das herauszufinden braucht es keinen großen Rechercheur, sondern nur einen Blick in die Blogosphäre.

Im September 2012 wurde die Studie zur “Unstatistik des Monats” gekürt und das Discovery-Magazin berichtete über die Probleme mit der Studie. Kurz gesagt: Das Design der Studie macht ein aussagekräftiges Ergebnis unmöglich. Teile der Ergebnisse widersprechen der gemachten Aussage. Die Aussage war, das gentechnisch veränderter Mais bei Ratten Krebs auslöst. Dabei hatte die Gruppe von Ratten, die die höchste Dosis an genmanipuliertem Mais bekam am wenigsten Krebs. Das wäre natürlich ein tolles Ergebnis, dann würden “Gen-Mais” vor Krebs schützen. Das Design der Studie lässt aber wie gesagt, keine Aussage zu.

Problematisch am Rückzug ist, dass Seralini keine bewusste Täuschung nachgewiesen wurde. Es wurden nur u.a. die weiter oben beschriebenen Mängel gefunden und die Aussage getroffen, die Studie hätte gar nicht erst veröffentlicht werden dürfen. Es gibt andere Studien, auf die Ähnliches zutrifft, die nicht zurückgezogen wurden. Was es bedeutet, dass im wissenschaftlichen Kanon Zombie-Paper ihr Unwesen treiben, kann ja erst mal jedeR selbst entscheiden.

Glücklicherweise arbeitet seit einigen Monaten ein Herr für die Zeitschrift in der das Paper veröffentlicht wurde, der bis zum Jahr 2004 auch für Monsanto gearbeitet hat. Monsanto! MONSANTO!

Offenbar ist damit die Diskussion für viele vorbei. Wer einmal für den Satan der dämonischen Firmen gearbeitet hat, kann nicht nur kein objektives Urteil mehr fällen, er muss auch alles dafür tun, seinem dunklen Herren weiter zu dienen. Also ist für alle Aluhut-TrägerInnen klar: Monsanto hat das Paper zurückgezogen. MONSANTO!

Dabei stellt sich scheinbar niemand die Frage, ob das Unternehmen tatsächlich so “offensichtlich” hätte vorgehen müssen, wäre es sein Wunsch gewesen das Paper zurückzuziehen? Es gibt sicher deutlich diskretere Wege, Einfluss auf die Veröffentlichungspolitik eines Journals zu nehmen. Für die Behauptung, Monsanto habe seine Finger im Spiel benötigt man die Anwesenheit eines ehemaligen Mitarbeiter gar nicht. Aber sie passt so hübsch ins Bild.

Dabei hat Monsanto wahrscheinlich keinen Vorteil davon, dass das Paper zurückgezogen wurde. Zwei Hauptgründe sprechen dafür:

  1. Das Paper bekommt nun noch einmal viel Aufmerksamkeit und wer GMO für Teufelszeug hält, wird sich noch einmal bestätigt sehen. MONSANTO!
  2. Ob ein Paper zurückgezogen wurde oder nicht, interessiert Teilnehmer stark ideologisch geprägter politischer Debatten in der Regel ohnehin nicht. Impfgegner zerren bis heute eine komplett gefälschte Studie von Andrew Wakefield hervor und nutzen sie als Argument.

Als Leser des Freitag würde mich viel mehr interessieren, ob und wie wirtschaftliche Interessen Einfluss auf die Veröffentlichung von Studien nehmen. Mich würde interessieren, ob der Peer-Review-Prozess noch zeitgemäß ist und welche Diskussionen innerhalb der Wissenschafts-Gemeinschaft dazu stattfinden. Mich würde interessieren, ob Open-Access eine Lösung einiger der Probleme bietet und welche neuen Probleme damit einhergehen. Mich würde interessieren, wie ganz einfache menschliche Schwächen und Stärken Einfluss auf Veröffentlichungen nehmen und ob deren Einfluss größer oder kleiner ist, als der wirtschaftliche Druck.

Was mich als Leser nicht interessiert, sind verschwörungstheoretischer Blödsinn und wissenschaftlicher Analphabetismus.

Weiterlesen:
Hickhack um Rückzug von Genmais-Studie

Séralini-Studie zurückgezogen, natürlich eine Verschwörung

Die Kolumne von Frau Zinkant beim ND (Danke für den Hinweis an @metoeken

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

merdeister

Ein guter Charakter erzieht sich selbst. - Indigokind - Blogtherapeut

merdeister

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