Ich erinnere mich daran, viel geschrien zu haben“, erzählt Comfort. „Ich bin vor ihr weggelaufen.“ Vergeblich. Ihre eigene Schwester befahl ihr, auf den Boden zu gehen – und drückte heiße Steine gegen ihre Brust. Comfort war zu diesem Zeitpunkt neun Jahre alt. „Wenn ich daran denke, kann ich den Schmerz noch spüren“, erinnert sich die junge Frau.
Comforts Schilderung entstammt einem BBC-Film über das sogenannte Brustbügeln. Es handelt sich dabei um eine Art der Verstümmelung, die vor allem in westafrikanischen Ländern durchgeführt wird. Sobald die Mädchen in die Pubertät kommen und ihre Brüste anfangen zu wachsen, drücken weibliche Familienmitglieder – meist die Mütter – erhitzte Gegenstände wie Schleifsteine, Spatel oder Holzlöffel gegen ihre Brust. Manchmal werden auch Pressverbände aus heißen Handtüchern oder enge Bandagen darumgebunden. Das kann einmalig, eine Woche oder mehrere Monate lang durchgeführt werden.
Wunden, Zysten, Infektionen
In Kamerun herrschen Umstände, die eine Bekämpfung des Brustbügelns behindern. Aber auch in Europa ist die Aufklärung über diese Form der Gewalt defizitär. Der Guardian berichtete, dass schätzungsweise mindestens 1.000 Frauen mit westafrikanischer Abstammung in Großbritannien leben, die der Tradition zum Opfer gefallen sind. „Brustbügeln ist auch im Vereinigten Königreich ein Problem“, sagt der konservative Parlamentarier Jack Berry. „Aber wegen fehlender offizieller Erhebungen bleibt verborgen, wie verbreitet es ist.“ Er fordert, dass Brustbügeln in Großbritannien als eigene Straftat geahndet wird.
„Die Frauen sollen für die Männer unattraktiv werden“, sagt Godula Kosack. Sie ist Vorstandsvorsitzende der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes und forschte im Norden Kameruns. Die Familien würde ihren Töchtern die Brüste „walzen“, um sie vor Übergriffen zu schützen. „Dass Frauen verstümmelt werden, um in Ruhe gelassen zu werden, ist eine fürchterliche Fehllogik.“ Ob man das Phänomen als „Tradition“ bezeichnen könne, zweifelt sie an. Zwar gebe es die Praktik schon länger, früher sei sie aber nicht so brutal angewendet worden.
Die Betroffenen tragen teilweise schwere Brandwunden, Zysten und Infektionen davon. Außerdem kann die Verwundung der Brüste dazu führen, dass die Frauen später Schwierigkeiten beim Stillen bekommen. Für viele Frauen in westafrikanischen Ländern ist das keine Nebensächlichkeit, weil sie sich teure Babymilch oft nicht leisten können. Auch psychologisch kann die Praktik schwere Folgen haben. Viele Mädchen erleiden – ähnlich wie bei der Genitalverstümmelung – posttraumatische Belastungsstörungen und berichten von Panikattacken, einem verminderten Selbstwertgefühl bis hin zum Selbsthass. Vermutet wird zudem, dass durch das Brustbügeln das Brustkrebsrisiko steigt.
Die Vereinten Nationen bezeichnen Brustbügeln als eine der am wenigsten öffentlichen Methoden der geschlechtsspezifischen Gewalt. Weltweit könnten 3,8 Millionen Frauen davon betroffen sein. Eine Studie aus dem Jahr 2013 ergab, dass diese Praktik bei zwölf Prozent der Kamerunerinnen vollzogen wurde. Befragt wurden 4.914 Mädchen und Frauen im Alter zwischen zehn und 82 Jahren. Regional gibt es dabei große Unterschiede. So ist in der Littoral-Region, einer Provinz Kameruns, knapp jedes zweite Mädchen Opfer der Verstümmelung geworden. Im Norden sind es hingegen sieben Prozent. Auch in Togo, Tschad, Nigeria und Benin soll es Fälle geben, allerdings existieren hierzu keine offiziellen Statistiken.
Um zu verstehen, warum Mütter ihre Töchter solchen Strapazen unterziehen, hilft es, die sozialen Rahmenbedingungen zu kennen. Kamerun ist eine patriarchalische Gesellschaft, in der Frauen bis vor wenigen Jahren noch wirtschaftlich vollständig von ihren Männern abhängig waren. Sie hatten keine eigene soziale Stellung, sondern existierten nur in Funktion als Ehefrau, Tochter oder Mutter. Doch dieses Verhältnis wandelt sich gerade. Viele Frauen besuchen länger die Schule und ergreifen eigene Berufe. Dass ihre Töchter sich schneller emanzipieren, während die Werte der Gesellschaft noch stark von alten Traditionen geprägt sind, macht vielen Familien Angst. Die treibt sie dazu, die sekundären Geschlechtsmerkmale ihrer Töchter zu verunstalten – zum vermeintlichen Schutz vor den Blicken und Taten von Männern.
Familien sehen kein Problem
Denn: Männer und ihr vermeintlich unkontrollierbarer Trieb in Kombination mit der patriarchalen Logik können in Kamerun eine große Gefahr für die jungen Frauen darstellen. Vielerorts herrscht in Kamerun das Ideal der „jungfräulichen Reinheit“: Frauen sollen vor der Ehe keinen Sex haben. Früher war es üblich, dass sie nach ihrer ersten Menstruation heiraten. Wenn die Frauen heutzutage jedoch ein unabhängigeres Leben führen, mit längerem Bildungsweg und eigenem Beruf, heiraten sie später. Es wird wahrscheinlicher, dass sie vor der Ehe sexuell aktiv sind. Die deformierten Brüste sollen abschreckend auf Männer wirken, die Ausübung der sexuellen Freiheit damit verhindert werden. Vor allem soll das Verunstalten aber Schutz vor ungewollten Schwangerschaften sein. Ein Viertel aller Kamerunerinnen wird vor dem 16. Lebensjahr schwanger. Das ergab eine Regierungsstudie aus dem Jahr 2011. Oft entstehen die ungewollten Schwangerschaften durch Vergewaltigungen. 2009 ergab eine andere Umfrage, dass 20 Prozent der Frauen schon einmal vergewaltigt wurden. Die patriarchale Denke wird ersichtlich: Männer hätten einen vermeintlich unkontrollierbaren Sextrieb, vor dem junge Frauen nur noch bewahrt werden könnten.
Die Gründe, warum Mütter ihre Töchter unattraktiver machen wollen, sind in ihrer Logik nicht banal. Dass man die grausame Praktik nicht einfach als bösartig motiviert beschreiben kann, macht die Betrachtung kompliziert. Die Mütter gewichten den Schutz vor Fremdeinwirken stärker als den Schutz vor der schmerzvollen Praktik des Brustbügelns. Dabei unterschätzen sie die gesundheitlichen und psychologischen Folgen, die das für die Mädchen hat. Doch immer mehr Frauen widersetzen sich der Praktik und wollen kommende Generationen vor dem Brustbügeln schützen.
Einige davon engagieren sich in der kamerunischen Hilfsorganisation Renata, die der Praktik ein Ende setzen will. „Nur zu sagen, dass Brüste zerstört werden, ist eine Untertreibung. Jugendliche werden traumatisiert und verstümmelt“, kommentiert die NGO in einem Dokument zur jüngsten Studie. „Es ist ein ernsthafter Schaden für die körperliche Unversehrtheit und das psychische Wohlergehen.“ Seit 2006 klärt die Organisation junge Kamerunerinnen über Sex, Verhütung und ihre Rechte auf. Ihnen soll klar werden, dass es andere Arten gibt, Schwangerschaften zu verhindern. Viele der Mitarbeiterinnen, „aunties“ („Tanten“) genannt, sind selbst betroffen gewesen und wissen, wie schwierig die Situation ist. Sich gegen die Familie zu wenden, fällt schwer. Die Mädchen sind zudem oft zu jung, um zu verstehen, was vor sich geht.
Tatsächlich hat sich der Anteil der von Brustbügeln betroffenen Frauen halbiert, seitdem Renata aktiv ist: 2006 gaben noch 24 Prozent der Befragten an, dass die Praktik bei ihnen angewandt wurde – im Vergleich zu zwölf Prozent 2013. Die Aufklärungsarbeit trägt Früchte. Bis das Brustbügeln aus Kamerun verbannt ist, wird es aber noch dauern. Das größte Hindernis dabei ist, dass viele Kameruner*innen die Verstümmelung nicht als Problem ansehen. Die Mädchen würden dadurch schließlich geschützt, so das Argument. Diese Meinung spiegelt sich auch im Handeln der Regierung und der Justiz wider. „Niemand war jemals vor Gericht, weil er einer Teenagerin die Brust verstümmelt hat“, sagt Catherine Aba Fouda, Renata-Sprecherin. Die Regierung ziehe keine Konsequenzen, obwohl die Organisation seit Jahren Alarm schlägt. „Deswegen gibt es weiterhin täglich Opfer.“ Die „aunties“ setzen sich dafür ein, dass ein Gesetz erlassen wird.
„Es wird viel gesagt, aber wenig gemacht“, bemängelt auch die Frauenrechtlerin Kosack die Regierungsarbeit. Nichtregierungsorganisationen wie Renata forderten ein Gesetz, das schon länger in der Schublade liege. „Nach außen hin verurteilt der Staat diese Praktik“, sagt Kosack. So habe sich die Regierung das „gender empowerment and development“ zum Ziel gesetzt. Praktisch geschehe aber nicht viel. „Da ist viel Mundpropaganda“, sagt sie. Ob das Gesetz kurz vor der Umsetzung ist oder intern abgeblockt wird, sei ungewiss.
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