Glaubensfragen

Vorweihnachtszeit. Der Glaube versetzt angeblich Berge. Nun waren Andersgläubige in unser Land gekommen. Und das Jesuskind war plötzlich weg. Wenige Tage vor Heiligabend.

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Die Lehrerin ging mit ihrer kleinen Gruppe buntgemischter Kinder, in Richtung der kleinen Pausenhalle in der Katholischen Schule. Dort, wo in jedem Jahr der Stall mit den bekannten Tieren, mit Maria und Joseph, den heiligen drei Königen und die Krippe mit dem Strohlager für das Jesuskind liebevoll hergerichtet wurde.

Sie wollte den Schülern einmal einen Eindruck von der Basis unseres Glaubens vermitteln. Einen Blick auf die Wurzeln unserer Religion: Das jährliche Fest der Geburt Christi, welches für viele Gläubige das Fest der Liebe und des Friedens überhaupt darstellt.

Sie unterrichtete bereits einige Jahre in diesem katholischen Nachbarkreis. Nun waren vermehrt auch Kinder aus dem Vorderen Orient und südlichen Regionen mit dabei. Schulkinder, denen sowohl unsere Sprache und die Kultur, als auch unsere religiösen Feiertage unbekannt sind.

Also dachte sie sich, bei dem Thema der unterschiedlichen Religionen, wäre so kurz vor den Weihnachtsferien, ein Besuch in dem aufgebauten Stall ein hilfreicher Moment. Und so ein Baby im Stroh, würde den Kindern sicherlich gefallen.

Aber, als sie mit erwartungsvollen Blicken das Jesuskind in der Krippe betrachten wollten, war es bedauerlicherweise nirgendwo zu sehen. Auch nicht anderswo im Stall, weder auf Marias Arm, noch auf dem Rücken des Esels.

Nein, Jesus war weg. Ungläubig sahen sie sich alles sehr genau an. Kein Jesuskind weit und breit. Für die völlig entgeisterte Lehrerin, reihten sich einige unangenehme Momente aneinander, während sie angespannt überlegte. Ein unglaublicher Verdacht keimte in ihr auf. Jesus, unser Heiland, wurde gestohlen. Wie niederträchtig und infam sie so etwas empfand.

Sie zeigte den Schülern nicht ihre ganze Betroffenheit, sondern bewahrte die Contenance und erklärte, dann müssten sie wohl noch einmal wieder hierher kommen, wenn das Kind zurück wäre. Sie würde sich bei der Schulleitung erkundigen.

*

Die Schulsekretärin hatte das einzig sonnige Zimmer der gesamten Schule. Zumindest zu dieser Jahreszeit. Die Atmosphäre war warm und hell.

Sie saß hinter ihrem Schreibtisch und schmunzelte freundlich, während sie sich, mit schief gelegtem Kopf, die verhalten, jedoch merkbar aufgeregt vorgetragene Geschichte vom verschwundenen Jesuskind anhörte.

Dann kam von ihr, etwas erstaunt, indes ziemlich heiter, die vollkommen selbstverständlich klingende Erklärung: In der Schule, und sicherlich auch in jeder anderen katholischen Krippe, sei es ihres Wissens allgemein üblich, den kleinen Jesus erst am Heiligabend in den Stall zu bringen, um ihn dann dort auf dem Strohlager zu betten. Er sei ja, laut der biblischen Geschichte, auch erst dann geboren worden. Sie grinste wohlwollend.

Einige helle Sonnenstrahlen berührten das blonde Lehrerinnenhaar, als diese sich lachend auf den gegenüberliegenden Stuhl fallen lies. Erleichtert und beruhigt kicherte sie nochmals auf.

Gott sei Dank wurden hier keine Gotteskinder geklaut. Sie strahlte.

Und dieses Strahlen blieb auf irgendeine, leicht wahrnehmbare Weise in ihrem Gesicht haften und begleitete sie bis hinein ins Klassenzimmer und wenn man genau hinsah, sogar noch darüber hinaus.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Meyko

Mein BUCH DES JAHRES 2018 "Happen" wurde durch den weiteren Band "Happen II"ergänzt. (Homepagelink unten - Meyko 2018)

Meyko

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