Das Gesetz des Dschungels

Spiel ohne Schau Luc Perceval inszeniert Arthur Millers "Tod eines Handlungsreisenden" an der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz

Ausgebrannt, apathisch sitzt Thomas Thieme, der Handlungsreisende Willy Loman, im abgewetzten schwarzen Kunstledersofa. Neben ihm döst seine Frau (Carola Regnier) schmal, verwundbar, im schäbigen roten Sessel. Hinter ihnen ist in einigen Dutzend Plastikkübeln ein schier undurchdringliches Strauchwerk unter Gewächshausstrahlern zu einem veritablen Dschungel herangewachsen. Wäre da nicht noch der flimmernde Fernseher vor ihnen, hätten dieser Loman und seine Frau auf der breiten Bühne keinen Halt. Luc Perceval und seine Bühnenbildnerin Katrin Brack konfrontieren ihr Publikum bereits bei Betreten des Parketts mit diesem Bild. Wie in vielen ihrer Produktionen sind die Figuren auch hier längst schon da, wenn man noch die Plätze sucht.

Wie kein zweites Stück der Moderne demaskiert Millers Drama den "american way of life" und spiegelt die psychosozialen Verwerfungen eines entfesselten Kapitalismus. Nach seiner Entlassung bricht für den Vertreter Willy Loman die Welt zusammen und er wird sich am Ende das Leben nehmen. Wie schon bei früheren Inszenierungen übernahm Luc Perceval ohne größeren Aufwand Bühnenbild und Konzept aus einer abgespielten Produktion in seiner Heimatstadt Antwerpen. Trotzdem erscheint in Berlin nichts wie aus zweiter Hand.

Percevals Geheimnis liegt in der Reduktion, dem Durchstreichen der "Schau" beim Spiel. Er konzentriert die Aufführung auf die Titelfigur, auf den unbequemen Kraftkerl Thomas Thieme, der bei Perceval bereits den Dirty Rich Modderfocker in Schlachten, den Othello und zuletzt den Strauchdieb Osip im Platonow an der Schaubühne spielte.

Den Handlungsspielraum der Protagonisten reduziert Perceval auf wenige Momente: Sofa, Fernseher, Zimmerpflanzendschungel. Mehr nicht. Da ist zuerst das Sofa, in dem Thieme - wie der Platonow Thomas Badings auf einer Schulbank - nahezu die gesamte Aufführung herumsitzen wird. Er steht von dort allenfalls auf, um seinen Sohn Biff anzubrüllen oder mit einer barbusigen Drallen an der Rampe zu kopulieren: drastische Szenen nicht durch das Pornographische, sondern durch die brachiale Körperlichkeit, in die sich Frustration und Angst der Figuren entlädt.

Da ist der Fernseher, vom Publikum abgewandt. Dramaturgisch geschickt sorgt das immer wieder laut eingespielte Programm nicht nur für die Szenenübergänge, sondern liefert den Soundtrack der konstruierten Wirklichkeit einer lärmenden Medienindustrie im Dienst des Kapitals: Börsenmeldungen, Nachrichten von der neuesten Unternehmenspleite, die BenQ-Insolvenz, schließlich die Biene Maja und das 0192-Nummerngestöhne. Macht und Dummheit des Mediums sind auf dem Theater selten so nüchtern und treffend vorgeführt worden. Das TV-Chaos aus Information und Reizen bestätigt nicht zuletzt Lomans Vorstellung von Welt als "Dschungel", in dem man rücksichtslos zu kämpfen habe, um nach oben zu kommen.

Der Plastikkübeldschungel in seinem Rücken ist demnach nicht nur ein Bild für Lomans beschränkte Weltsicht, sondern zugleich eine Metapher seiner Seelen- und Geisteshölle, aus der das Verdrängte wiederkehrt. Perceval lässt daher konsequent alle Auftritte aus dem Gestrüpp stattfinden: Die Geister der Vergangenheit, Ben, der offenbar jung verstorbene Bruder, ebenso wie die Söhne Biff (Bruno Cathomas) und Happy (André Szymanski). Die an den Ansprüchen des Vaters gescheiterten, ungleichen Brüder erscheinen wie das gesamte Personal des Stücks als Widergänger. Mit wenigen Abstrichen zeigte dabei jeder Darsteller erstaunliche Präsenz. Ohne "Theater" wurde Percevals Tod eines Handlungsreisenden zum Theaterereignis. Nachdem sich Thiemes Loman noch einmal mit verzweifelter Kraft gegen die Depressionen gestemmt hat, kann er sich unpathetisch aufs Sofa legen und sterben.


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