In einem Interview mit Cindy Nemser von 1970 pariert Eva Hesse die Frage, ob sie die Leute nicht erschrecke, wenn sie über Kunst spreche, mit dem Argument, dass sie das Romantische in der Kunst nicht aushalte: "Ich ertrage keine sentimentalen Geschichten, keine netten Bilder, keine hübschen Skulpturen, keine Dekorationen an den Wänden, keine braven parallelen Linien - das alles macht mich krank. Dann fange ich an, über die Seele und die Gegenwart und die Eingeweide der Kunst zu sprechen. So lege ich Widerspruch ein."
Eva Hesses Widerspruch erfolgte mehr noch durch ihre Arbeiten. Sie markieren ein Zwischenreich, das sich den gängigen Zuschreibungen entzieht: 1969 lässt sich Hesse in ihrem Atelier auf einem Sofa ausgestreckt liegend von einem Bekannten fotografieren: kokett blickt sie in die Kamera mit den in ihren Werken oft benutzten Schnüren auf den Körper gelegt. Die Künstlerin hingestreckt, sich und die Eingeweide ihrer Kunst den Blicken darbietend, gibt sie zugleich die Anweisung, wie mit ihren Arbeiten verfahren werden könnte: Aktiv, in einem ironischen Spiel, das die Grenzen zwischen Betrachter und Betrachtetem, Visuellem und Taktilem, Leben und Kunst verwischt.
Der frühe Tod, der von Schicksalsschlägen geprägte Lebenslauf hatten zur Legendenbildung beigetragen, ließen Eva Hesse zu einer Projektionsfläche sowohl für patriarchale wie frühfeministische Phantasien vom weiblich-schönen Opfer an die Kunstwelt werden. Ihre Biografie trug neben ihrem eigenständigen Werk dazu bei, dass sie als Künstlerin nie in Vergessenheit geriet. Der Name Eva Hesse blieb bekannt, im Gegensatz zu vielen Mitstreitern ihrer Zeit, - wer kennt heute noch die Arbeiten ihres Ehemannes Tom Doyle, seinerzeit einer der angesagtesten Bildhauer der New Yorker Szene, den sie 1964 für ein Jahr zu einem Stipendienaufenthalt nach Kettwig an der Ruhr begleitete.
1936 als Tochter eines jüdischen Hamburger Anwalts und einer manisch-depressiven Mutter geboren, floh sie vor dem zweiten Weltkrieg mit den Eltern nach New York, wo sie in zerrütteten Familienverhältnissen aufwuchs und früh die Selbständigkeit suchte. Mit dem Ziel Malerin zu werden, trat sie nach verschiedenen Kunstschulen 1957 ein Studium an der Yale School of Arts an. In den folgenden Jahren stieg sie mit ihrer Arbeit in die oberste Liga der internationalen Kunstszene, bis sie 1970 an einem Gehirntumor starb.
Der Wiesbadener Ausstellung gelingt es, die bisher unterschätzte Kontinuität und Konsequenz des künstlerischen Schaffens Eva Hesses von Anbeginn durchsichtig zu machen: Wie Petra Reichensperger auf einem im September abgehaltenen Symposion zur Ausstellung herausstrich, ist das Werk Hesses in der Auseinandersetzung mit der Minimal- und Performance-Art weniger als Reflexion über die Skulptur, denn als radikale Erweiterung der Malerei entstanden. Diese führte sie zu einer eigenen Materialästhetik des Ephemeren und Vergänglichen - den Kontingenten Strukturen.
In der Arbeit Connection hängt Hesse in einem seriellen Verfahren hergestellte, stoffummantelte Fiberglas-Polyesterharz-Lappen unregelmäßig angeordnet an Drahtstrippen unter die Decke. Mit jedem Luftzug drehen sich die fremdartig geformten Objekte, reflektieren und absorbieren das Licht. Zufall und Kalkül der Herstellung und Anordnung spiegelt sich in der Begegnung des Betrachters mit der Arbeit wieder: Die Erfahrung einer kontingenten Struktur, deren materiale Niederschläge die gattungsspezifischen Kategorien ebenso unterlaufen, wie die Gegensätze von Subjekt und Objekt, Produzent und Rezipient aufgehoben werden. Schon die figurativen Ölmalereien der frühen sechziger Jahre hoben neben dem expressiven Malgestus in gedeckten Farben die Materialität der Farbe hervor, wiesen auf die Schicht um Schicht aufgebauten Texturen der luziden raumgreifenden Fiberglasarbeiten der späteren Jahre hin.
Dazwischen begegnet man der von Hesse als "lächerlich" und darum auch als "sehr gelungen" bezeichneten Arbeit Hang-Up aus dem Jahr 1966, ein wie von Mullbinden umwickelter Bilderrahmen, aus dem sich eine Stahltrosse in den Raum hinaus dem Betrachter entgegen- und wieder zurückwindet. Der Rahmen rahmt jedoch kein "Bild", sondern nur die Wand, die Malerei findet in feinen Grauabstufungen auf dem umwickelten Stoff statt. Der Betrachter wird ebenso auf Distanz gehalten, wie das Ding an der Wand in den Raum ausgreift, die scharfe Trennung von Illusionsraum und dem Raum des Betrachters aufhebt. Bereits die surreal anmutenden, an Arp und Schwitters erinnernden Reliefarbeiten aus dem Jahr 1965, hatten ein Vexierspiel inszeniert: hier jedoch das zwischen Bild und Objekt, der Fläche und dem Raum, prominent vertreten mit der Mixed-Media-Arbeit Ringaround Arosie, bei der Hesse weiß-rot bemalte Baumwollschnüre zu kreisrund nach außen ragenden Nippeln auf eine schwarz glänzende Spanplatte modelliert.
Für Eva Hesse war es immer ein konsequenter Schritt, Material in seiner Prozessualität zu begreifen: "Ich möchte, dass etwas direkt im Moment der Herstellung aus dem Material entsteht. In diesem Sinne interessiert mich der Prozess." Ein Prozess, der nicht nur die Grenzen zwischen Bild und Skulptur, Objekt und Raum überschreitet, sondern auch das Vergehen und den Verfall des Materials einschließt. Zwar konnte man wichtige Arbeiten wie Vinculum oder zwei Segmente der seriellen Arbeit Sans II aus dem Whitney Museum in New York entleihen. Aber die für Hesses Werk zentralen, raumgreifenden Arbeiten Contingent oder Seven Poles waren für Wiesbaden schon nicht mehr zu haben: Sie verfallen und entzündeten längst die Debatte, ob sie in ihrem Verfall zu präsentieren seien. Dauerhaftigkeit, so stellte Hesse augenzwinkernd fest, sei aber nicht ihr Credo in der Kunst: "Ein Teil von mir hält sie für überflüssig, und wenn ich für meine Arbeit Latex brauche, dann erscheint mir das wichtiger. Das Leben ist vergänglich; die Kunst ist vergänglich."
Eva Hesse, Museum Wiesbaden bis 13. Oktober, anschließend vom 12. November 2002 bis 9. März 2003 Tate Modern, London, Katalog 35 EUR
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