He´s exploring / the taste of her / arousal / so accurate /
he sets off / the beauty in her /
he´s venus as a boy /
he believes in beauty
Björk, Venus as a Boy
Dem Schönen kommt man intellektuell schwer bei. Diese Erfahrung machten schon die Diskutanten, die den Streit über ein Menschhetsrätsel vor gut zweitausendvierhundert Jahren eröffneten. Was und warum ist etwas schön? Eine überzeugende Antwort auf diese Frage steht bis heute aus. Platon schließt seinen Dialog Hippias Major mit dem Eingeständnis Sokrates, über das Schöne eigentlich nichts zu wissen und stellt resigniert fest: "Das Schöne ist schwer". Das zeigt selbst noch die kürzlich erschienene Geschichte der Schönheit Umberto Ecos, der es sich mit seiner reich bebilderten Präsentation abendländischer Geschlechterideale ansonsten leicht macht: Angesichts eines ubiquitären Beautyterrors muss auch der Meistersemiologe schließlich naiv eingestehen, "vor dem absoluten und unaufhaltsamen Polytheismus der Schönheit unserer Zeit kapitulieren zu müssen".
Neben der evidenten medialen Allgegenwart zur Schau gestellter schöner Körper in Werbung und Massenkultur indiziert Ecos coffee-table-book auch für ein breiteres intellektuelles Publikum: Das Schöne hat Konjunktur. Dabei ist es keine Selbstverständlichkeit, dass sich die ästhetische Theorie und die künstlerische Praxis ihrer wieder annehmen, wie jetzt das Zentrum für Literaturforschung und das Haus der Kulturen der Welt in Berlin, die ihr im Frühjahr eigene Veranstaltungsreihen widmen.
Zwar hatte sich ab den 1970er Jahren sowohl ein breites empirisch-experimentelles Wissen von "Schönheit" und ästhetischer Attraktion, als auch eine elaborierte theoretische Debatte darüber entwickelt: in der Evolutionstheorie, Biologie, Psychologie und nicht zuletzt in der Gender-Forschung. Die geisteswissenschaftliche Forschung und Kunstkritik blieb davon weitgehend unberührt. Zunächst schien es, als hätten Theorie und künstlerische Praxis das Schöne längst der industrialisierten Massenkultur, ihren Moden und normativen Bildern samt einer dazugehörigen sozialdarwinistischen Biopolitik des "survival of the prittiest" überlassen. Das Schöne als kulturprägender Leitbegriff war bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus der philosophischen Ästhetik wie aus der bildenden Kunst verschwunden. Schönheit überließ man fortan Soubretten, Kurtisanen, der Oper und dem Kaffeeservice.
Selbst noch in Hans-Georg Gadamers Die Aktualität des Schönen wird - wie in Adornos kurz zuvor entstandenen Ästhetischen Theorie - vom Schönen nur am Rande als voridealistische Altlast barocker Geschmackskultur gesprochen. Schillers Briefe Kallias oder Über die Schönheit von 1793, die Kants naturteleologische Definition des Schönen als Übereinkunft von Einbildungskraft und Verstand für die eigene Kunstproduktion umzudeuten versuchten, sollten daher als der vorläufig letzte und freilich gescheiterte Versuch gelten, einen allgemeinen Begriff der Schönheit zu finden.
Und auch in der Kunst war über das Schöne längst das Verdikt des Anathemas gesprochen. Nach dem zweiten Weltkrieg vermeldete der Maler des "Sublime is Now", Barnett Newman: das "Verlangen, das Schöne zu zerstören, war die Triebkraft der modernen Kunst". Die Rezipientenseite hatte dies bereits nahezu hundert Jahre zuvor den zeitgenössischen Produktionen attestiert. Ein Kritiker schrieb, "M. Monet, Pissarro und andere scheinen der Schönheit den Krieg erklärt zu haben." Gemünzt auf Impressionisten, die sich heute als Inbegriff "schöner" Malerei höchster Wertschätzung erfreuen, zeigt dieses Urteil nicht nur einmal mehr die immer wieder betonte historische und kulturelle Abhängigkeit des Schönheitsbegriffs, sondern vor allem, dass das Schöne in der Kunst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend ein randständiges Dasein fristet und sich normativen Vorstellungen entzieht.
Nachdem schon die deutsche Romantik einer "Ästhetik des Hässlichen" die Bahn gebrochen hatte, waren es vor allem die Franzosen Gustave Courbet in der Malerei und Charles Baudelaires mit seinen Le Fleurs du Mal 1857, die der bis dahin tonangebenden "Ästhetik des Schönen" den Todesstoß versetzten. Ihre Werke wollten weder gut noch schön sein, Baudelaires Lyrik blühte giftig und hochartifiziell in jenseits des guten oder schlechten Geschmacks angelegten Gärten. In der Malerei hatte die Produktion des schönen Scheins vor dem ersten Weltkrieg längst ausgedient, während der Futurismus zum Generalangriff auf den bürgerlichen Kulturbetrieb blies. Vollmundig verkündigte Tommaso Marinetti 1908: "Wir erklären, dass sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: Die Schönheit der Geschwindigkeit. Ein Rennwagen ist schöner als die Nike von Samothrake." Subtiler provozierten Dadaismus und Duchamps Ready-mades durch künstlerische Interventionen jenseits des etablierten guten oder schlechten Geschmacks: der Mona Lisa einen Schnurrbart, das Bedfordshire-Urinal, ein reines Objekt. Die ästhetische Erfahrung wird damit nicht nur vom Kunstwerk sondern auch radikal vom Begriff des Schönen gelöst. Das Urinal mag man für schön halten, - doch seine Intention liegt gerade darin, sich diesem Urteil zu entziehen.
Schönheit als Intention künstlerischer Arbeit und Erfahrung findet seitdem bis auf wenige Ausnahmen woanders statt, zumal sie durch den Faschismus instrumentalisiert und durch die entfesselte Medienindustrie vereinnahmt, zum Ornament der Macht herabgesunken war. So fand man 1997 auf der von Catherine David kuratierten documenta X vor allem künstlerische Positionen, die sich durch eine politische Haltung auszeichneten, kaum Malerei und kein einziges Werk, das man als formal bezeichnen könnte. David konstatierte "eine dramatische Ästhetisierung der politischen Debatte in der neueren Kunst", und rechtfertigte damit ihre Entscheidung den Mexikaner Felix Gonzales-Torres, dessen Arbeiten gesellschaftliche und persönliche Reflexion höchst eloquent vortragen, auszuschließen.
Tatsächlich dürfte es jedem schwer fallen, eine Begegnung mit der zeitgenössischen Kunst zu benennen, wo man von einer Arbeit überrascht war und in relativem Einverständnis gesagt hätte: Das ist schön, das hat mich berührt, das hat mir gefallen und mich weiter beschäftigt. Zur letzten Biennale in Venedig hatten das Schweizer Künstlerpaar Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger die barocke Kirche San Staë in eine helle geburtshöhlenartige Grotte verwandelt. Der Boden war nahezu vollständig mit weißem Filz ausgeschlagen, statt der Bestuhlung stand ein kreisrundes weißes Lümmelsofa in der Mitte, das zum Träumen einlud: Aus der Kuppel hingen Myriaden von Fäden, an denen kleine Objekte, Blumen, Gräser, künstlich gezogene bunte Salzkristalle wucherten. Selbst wenn man die Situation der Installation eine Kirche und den Canale Grande vor der Tür abzieht, war hier eine unvergleichliche Erfahrung, eine Schönheit vermittelt, deren Ursprung Steiner und Lenzlinger in einer spirituellen Dimension sehen: "Die Mystik ist eine große alte Tante, die man selten sieht. Trifft man sie ist alles klar. Uns interessiert ihre Direktheit." Doch dies ist eine Direktheit, die in der Anverwandlung biomorpher Materialien und Prozesse nur selten gelingt, wie bei dem Süddeutschen Wolfgang Laib, der sich darin beschränkt Blütenstaub zu sammeln und auszubreiten, aber meist im populären Kitsch endet wie in den Fotobänden eines Andy Goldsworthy oder bei Christo und Jeanne-Claude. Beim zweiten Besuch der Kirche San Staë wollte sich der Zauber nicht wieder einstellen. Berichte aus dem Central Park in New York mit der neuerlichen Installation der Christos künden von ähnlichen Enttäuschungen.
Hat sich Marinettis Feststellung vielleicht eingelöst? Gibt es gegenwärtig etwas schöneres als einen Porsche Carrera S? Oder muss man sich auf die neueste CD von Maximilian Hecker oder Björk verweisen lassen? Wahrscheinlich nicht zufällig gibt es neben dem Wunsch, dass alle Menschen auf dieser Erde angstfrei ihr Leben leben können und den Maultaschen aus der Küche meiner Mutter nichts Schöneres, als die Erinnerung an eine nächtliche Fahrt auf einer sechsspurigen Autobahn: gleichmäßig hohes Tempo, das Brummen des Motors, Stoßstange an Stoßstange, ein rotes Lichterband voraus, ein weißes entgegen. Das Gefühl hier etwas außergewöhnlich Schönem beizuwohnen, stellte sich schließlich ein, als die rot-weißen Bänder in einer Rechtskurve einen Hügel hinauf und hinunter geführt wurden.
In seinem berühmten Aufsatz Art and Objecthood kritisiert Michael Fried 1967 die Minimal-Art eines Donald Judd oder Robert Morris mit dem Vorwurf, sie sei im Grunde theatralisch und verrate die Bildende Kunst an die Bühne. Der Bildhauer Tony Smith wird hierfür mit der Schilderung einer nächtlichen Autofahrt als Gewährsmann zitiert: "Diese Fahrt war eine Offenbarung. Die Straße und ein großer Teil der Landschaft waren künstlich, und doch konnte man es nicht als Kunstwerk bezeichnen. Andererseits gaben mir etwas, was die Kunst mir nie gegeben hatte. Es schien, dass es da eine Wirklichkeit gab, für die die Kunst keinen Ausdruck hatte." Für Fried spiegelt sich in dieser Erfahrung, die wir getrost als eine Erfahrung des Schönen bezeichnen können, paradigmatisch die seiner Meinung nach verfehlte Intention minimalistischer Kunst. Sie erhebe den Betrachter zum Subjekt und degradiere das Werk zum bloßen Moment einer distanzierten und isolierten Situation.
Doch hier lässt sich der wesentliche Moment ablesen, wo das Schöne Eingang in die zeitgenössische Kunst finden kann, ohne sich an Glamour und Celebrities zu verraten: In ihrem trangressiven und utopischen Moment hält sie eine Stelle offen, in der ein Glücksversprechen sich einlöst. Beispiele für diese Kunst sind heute wenige zu finden. Vanessa Beecroft oder Matthew Barney reduzieren in ihren Performances und Videoarbeiten die Freiheit zur Überschreitung am Ende zu einer Freiheit des Privilegs und des Luxus: Transgression der Nacktheit und des Sexus - aber mit Gucci und Goodyear. Neben Matthew Barney sind in der Ausstellung des Haus der Kulturen von März bis Mai aus der westlichen Hemisphäre dann auch Künstler geladen, die einen kritisch- reflektierten Blick auf Schönheitsvorstellungen einnehmen: Cindy Sherman, Jens Haaning und Hans-Peter Feldmann. Als gäbe es dort eine unverstellte Sicht auf die Dinge, setzt man sonst überwiegend auf Künstler aus dem asiatischen Raum, besonders aus China: ex oriente pulchritudo! - Kommt das Schöne aus dem Osten?
Über Schönheit. Ausstellung, Tanz, Workshops, Konferenz, Diskussionen, Konzerte, Filme, Internetprojekt im Haus der Kulturen der Welt vom 18. März - 15. Mai 2005. Einzelheiten unter www.hkw.de
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