Der Reigen distinguierter Herren zur Eröffnungs-Pressekonferenz der Alten Nationalgalerie vollzieht sich vor Böcklins Toteninsel. Kulturstaatsminister Nida-Rümelin raunte etwas vom Ausdruck einer "schwierigen" weil "verspäteten Nation" und eines "neuen Selbstbewusstseins der Bundesrepublik", der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Lehmann erzählt etwas vom "Trojanischen Pferd", wenn er von der Nationalgalerie als "Museumstempel des deutschen Kulturföderalismus" spricht, und der Generaldirektor Peter-Klaus Schuster übt mit Formeln wie "redesigning der Museumsinsel" und der "in einer National Gallery" zuerst "in der Kultur geeinten Nation" kesses Understatement. Die Herren haben sich in ihrem Pathos betont locker gemacht - Böcklin ist ein schöner bedeutungsschwangerer Hintergrund.
Bei Böcklin steuert ein Kahn führerlos Sarg und Trauernde auf einen hohen Inselschroffen zu. Pinien ragen dort aus den Felswänden, die zur Nekropole ausgehauen sind, düster, weihevoll die Trauernde: ein morbider Nachhall auf Caspar David Friedrichs Mönch am Meer. Beide Bilder tragen auch ihre Vorgänger zu Grabe, Böcklin wohl das ganze Jahrhundert. In unzähligen Reproduktionen zum deutschen Bildgut erhoben, wappnete sich mit ihm die Phantasie von Generationen gegen eine dekonstruierende Moderne. Davon ist hier jedoch nichts zu spüren: Beide Bilder haben nun ein Erbbegräbnis erster Klasse erhalten, die "Alte" Nationalgalerie ist nach dreijähriger Rekonstruktion und Neugestaltung wiedereröffnet worden.
Man zelebriert sich und die Kunst, als hätten weder Krieg noch Zerstörung, weder Bruch noch Widerspruch den Bau begleitet. Im Gegensatz zur geschichtsklitternden Widmungsinschrift am Gesims des Baus "Der Deutschen Kunst MDCCCLXXI" wurde der hochgesockelte Tempelbau, der seit der Eröffnung Ludwig Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie im Tiergarten das Epitheton "Alte" trägt, erst 1876 eingeweiht.
Ostentativ wird darauf hingewiesen, dass die Gründung des Baus auf eine Schenkung des Berliner Bankiers Wagener von 262 Gemälden 1861 an den späteren Kaiser Wilhelm I. zurückgeht. Dessen Stiftung war allerdings mit dem Junktim verbunden, dafür eine geeignetes "Local" zu errichten. Was sich damals als Ausdruck postrevolutionären Bürgerstolzes ausmachen mochte, zeigt sich für die Gegenwart allerdings kulturpolitisch problematisch: Republikweit haben sich in den vergangenen Jahren Sammler durch ihre "Schenkungen" von der öffentlichen Hand Häuser errichten lassen, den staatlichen Einrichtungen ihre Kuratoren und ihren Geschmack diktiert. Die Kölner Museen Ludwig sind hier nur ein markantes Beispiel. Berlin tut es unter der Ägide Schusters diesen auf anderer Ebene zweifellos nach: Die Sammlung Marx blockiert das Museum für Gegenwartskunst im Hamburger Bahnhof. Und was hat die Sammlung Eguidio Marzona dort zu suchen, wo die zeitgenössische Kunst neben Mainstream-Shows kaum Platz hat?
Dabei hat die Nationalgalerie schon couragiertere Zeiten erlebt: Direktoren, die sich gegen den dekretierten Zeitgeschmack und Geldgeber gestellt haben. So gelang Hugo von Tschudi 1896 mit dem Bild Im Wintergarten noch vor Paris der erste staatliche Ankauf eines Manet, das Eintreten für den Berliner Zeitgenossen Walter Leistikow kostete ihn 1909 den Kopf. Mit dem Hamburger Kunsthallendirektor Alfred Lichtwark war ihm allerdings 1906 noch die Jahrhundertaustellung gelungen, die bis dahin nahezu vergessene Künstler in Erinnerung rief, darunter Caspar David Friedrich; nicht zu vergessen Ludwig Justi, der im Kronprinzenpalais Unter den Linden gegen öffentliche Anfeindungen in den Zwanzigern ein Tableau für die radikale Moderne eröffnete.
Heute versichert man sich lieber einer kunstgeschichtlich belegten Vergangenheit. In der neu eröffneten Nationalgalerie wird sie zusätzlich geglättet, entschärft und unschädlich gemacht.
Als monumentale Stadtkrone unter Friedrich Wilhelm IV. von August Stühler als Teil einer "Freistätte der Künste und Wissenschaft" geplant, geriet sie durch Heinrich Strack, dem Architekten der Siegessäule, zu einer preußischen Bilder-Walhalla, die die Führerschaft der Hohenzollern im deutschen Reich zu unterstreichen hatte. Allein die repräsentativen Treppenanlagen des Hauses verschlingen ein Drittel des umbauten Raums, der sich nun bestens zur Vermarktung eignet. Alle Kriegsspuren an der Fassade sind beseitigt, Stuckmarmor und Vergoldungen protzen wie zu Kaisers Zeiten und erschlagen in den Kabinetten jede noch so subtile Malerei eines Mentzel oder Liebermann. Peinigend wurde, gleichsam zur Beruhigung bajuwarischer Vorbehalte hinsichtlich weiterer Bundesgelder, Otto Geyers teilzerstörter Fries germanischer Kunstleistung im Treppenaufgang just um die Segmente durch Fotos ergänzt, wo sich Friedrich Wilhelm IV. und Ludwig I. von Bayern vielsagend in die Augen schauen.
Ihrem Anspruch, die Kunst der Zeit umfassend zu zeigen, konnte das Haus auf nationaler Ebene nur schwerlich, auf internationaler kaum gerecht werden. Es fehlen nicht nur Namen wie David, Ingres und Delacroix, sondern auch ganze Malschulen deutscher und anderer Provenienz.
Zwar werden Skulptur und Malerei nicht getrennt gezeigt, aber, man mag sich an das Pariser Musée d´Orsay erinnern, wo bleibt die Architektur, die Fotografie oder gar die Technik der Zeit? Wo bleibt der Dialog, der über die auratisierte Singularität der ausgestellten Werke hinausweisen könnte?
Eine leise Ahnung davon bekommt man in einer kleinen Kabinettausstellung, wo der Hamburger Paravant Bonards zusammen mit japanischen Holzdrucken des 18. Jahrhunderts gezeigt wird. Hier hat man kurz die falsche Auratisierung des Werkes aufgegeben, doch in der permanenten Ausstellung an keiner Stelle weiter verfolgt.
Auf die zeittypischen Großformate, die Zumutungen der Salonmalerei wird freilich auch verzichtet, denn was sich hier präsentiert, will das Widersprüchliche und Zerrissene des 19. Jahrhunderts in nie da gewesener Einheit und Geschlossenheit in einem allzu nobel ausstaffierten Parcours versöhnen.
Freilich ein Parcous mit Ärgerlichem: Die Platzierung von Anselm Feuerbachs Schinken Gastmahl im schwer dekorierten Treppenhaus mag angehen, wieso jedoch Schadows subtiles Meisterwerk des Grabmals des kleinen Grafen von der Mark dort gegen den Stuckmarmor anzukämpfen hat, ist nur mit dem Zwang zu postmodernem Event-Tamtam zu erklären: Kunst soll konsumierbar gemacht werden. Dabei hat es nun die weltweit umfangreichste Caspar David Friedrich Sammlung am schlimmsten getroffen. Jahrelang hat es ein museumspolitisches Tauziehen zwischen der Berliner Schlösserverwaltung und der Nationalgalerie um zentrale Werke Friedrichs gegeben - sie gelangten erst 1957 in den Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Die "Galerie der Romantik" im Charlottenburger Schloss wurde aufgelöst. Blechen, Schinkel und Friedrich sind nun zur oberflächlichen Adoration freigegeben. Dazu hat man das dritte Obergeschoss der Nationalgalerie ausgebaut. In den ehemaligen, jetzt vom Impressionismus belegten Corneliussaal ist eine tragfähige Zwischendecke eingezogen und postmodern ausstaffiert worden. Nun hängt das in seinen Grau- und Blauabstufungen so subtile Gemälde Der Mönch am Meer vor einer grauen Wandbespannung, Schinkelkitschbänkchen stehen quer im Raum als müssten sie das Ausgestellte durch Goldverbrämung adeln. Zum Verweilen laden sie kaum.
Doch darum geht es eben auch nicht. Es geht um Sponsorengelder und Besucherzahlen, die aufdringliche Staffelei getragene Firmenwerbung im Vestibül zeigt deutlich an, wer jetzt auch noch Herr im Hause ist.
Prunk und Gediegenheit des Baus wie seiner Sammlung überstrahlen einerseits den Atavismus des Unternehmens und offenbaren andererseits die Verwertungsinteressen, denen das Haus ausgesetzt wird. Die Nationalgalerie wird, wenn sie sich nicht bald auf ihre Stärken besinnt, mit falschem Glanz und erschlichener Gloria zum Mausoleum für Spenderweihe und Eventmarketing verkommen.
Die Alte Nationalgalerie auf der Museumsinsel in Berlin Mitte ist täglich außer Montag von 10 Uhr bis 18 Uhr, Donnerstag bis 22 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist im Dezember frei.
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