Die Kartoffeln sind real

Bauerntheater Der US-Amerikaner David Levine zieht mit Heiner Müllers "Die Umsiedlerin" aufs Feld

Im Kinderlied heißt es zwar: "Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt". Die Realität sieht allerdings meist anders aus. Hier am Rand des Brandenburgischen Städtchens Joachimsthal zum Beispiel setzt der Bauer sein Feld etwas später in Stand. Er hat auch keine Rösslein. Er erledigt die Bestellung des Feldes mit der Hand. Tatsächlich ist der Bauer bei Joachimsthal auch kein Bauer, sondern der Schauspieler David Barlow aus dem fernen New York. Oder um es zu präzisieren: Er ist der Schauspieler David Barlow, der sich wochenlang mit Heiner Müllers Figur Flint aus Müllers zweitem großen Stück Die Umsiedlerin beschäftigt hat, dergestalt dass er nun als Flint wochenlang das Feld bestellen kann.

Dieser Flint ist seit der Premiere am vergangenen Samstag einziger Protagonist des Bauerntheaters in Joachimsthal. Flint alias David Barlow wird täglich zehn Stunden das einen halben Hektar große Feld bestellen, Furchen ziehen, mit der Hacke hacken und Kartoffeln setzen. Bis Ende Mai. So lange wird man das mit Mitteln der Bundeskulturstiftung geförderte "Land Art Projekt" des 1970 geborenen New Yorker Regisseurs David Levine in der uckermärkischen Provinz verfolgen können.

Heinrich von Kleist ist der erste Mann des Theaters, bei dem die Sehnsucht nach einem einfachen Leben als Landmann aktenkundig wurde: "Ruhe von den Leidenschaften!", schreibt er 1801 nach Kant- und Rousseaulektüren an seine Verlobte Wilhelmine von Zenge, "ich will im eigentlichen Verstande ein Bauer werden." Man weiß, daraus wurde nichts. Nachdem der Traum von einem unentfremdeten Dasein später auch in der Dichtung und mit rastlosen Reisen durch Europa ausgeträumt war, nahm er sich zehn Jahre nach seinen ruralen Phantasien das Leben. Wider alle Realität steht bei Kleist wie in den Nationalmythen des 19. und 20. Jahrhunderts das Bild des Bauern als ein autonomes, authentisches Subjekt.

In der Joachimsthaler Veranstaltung wird darauf schon dadurch angespielt, dass sich auf dem Werbeplakat ein Cowboy über staubige Wege trollt und die Performance, das Theater, die Repräsentation als Arbeit angekündigt wird. Also raus aus der Simulation, rein ins richtige Leben? Erstmal raus aus dem Theater, rauf auf den Acker. Das Authentische liegt auf dem Land.

Entsprechend aufgekratzt zeigen sich die zur Premiere angereisten Kulturtouristen. Am Rand des Feldes sind überdachte Holzbänke für die Feldbeobachter aufgebaut und ein Unterstand bietet dem Darsteller bei widrigem Wetter Schutz. Noch ist weiter nichts zu sehen als Erde, Dreck und Staub. Über dem Feld flimmert vor Hitze die Luft. Irgendwann betritt David Barlow den Acker - zur Enttäuschung einiger nicht als Cowboy. Er trägt vielmehr einen spießigen Strohhut auf dem Kopf, dicke Gummistiefel an den Beinen. Er wirkt etwas operettenhaft und sein geschulterter hölzerner Reihenzieher wie frisch aus der Requisite. Sein erster Gang geht über den Hügel. Vor den Zuschauern setzt er seinen Reihenzieher ab und zieht die Forken über die staubige Scholle. Es dauert eine Weile bis er sein mühsames Geschäft bis zum Hügel betrieben und es darüber hinaus auf die andere Seite seines Ackers geschafft hat. Später wird er dann noch seine ersten Kartoffeln setzen.

Der Mann ackert. Mehr gab´s nicht zu sehen. Damit das für das Publikum nicht die einzige Einsicht bliebe, hatte die Truppe um David Levine neben einer Diskussionsrunde zu den Grenzen von Live-Art und Schauspiel, Infotafeln und eine Ausstellung zum Hintergrund des Bauerntheaters im verfallenen Sanatorium am Aussichtsturm in der Nähe vorbereitet. Während man sich bei der Gesprächsrunde zu Realität und Spiel, Performance und Theater in Bezug auf das Gebotene immerhin darauf einigen konnte, dass die verwendeten "Kartoffeln real sind," war der Erkenntnisgewinn in der Ausstellung weniger konkret. Was nutzt es einem zum Beispiel zu wissen, dass man mit David Barlow einen Monat lang in einem New Yorker Studio nach allen Regeln des "Method Acting" Heiner Müllers agitierenden Landarbeiter Flint geprobt hat? Konzeptuell ist es nett gedacht, einen Schauspieler sich eine Figur ganz und gar einverleiben zu lassen, damit er in der Logik der Figur in einem fremden Kontext agiert; auch die Grenzen von Realität, Arbeit und Spiel durcheinander zu bringen, Authentizität durchs das Bauernspiel herzustellen. Wenn sich das aber wie hier ästhetisch nicht mitteilt, erübrigt sich die Umsetzung. Und mit der angekündigten Land-Art hat das nun gar nichts zu tun.


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