Die Maßnahme/Mauser in Berlin

Kultur Bühne

Früher sagte man dazu: Das hat Kraft. Heute würde man sagen: Das hat Power. Der, schätzen wir, gut 30-köpfige Volksbühnenchor in gedeckter Abendgarderobe hat sich erhoben und schmettert aus den Zuschauerreihen 21 und 22: "Tretet hervor! Eure Arbeit war glücklich." Und während sich die Darsteller in Military-Kluft auf der Bühne der singenden Schar zuwenden, singt diese aus vollem Hals und gut gestimmt weiter: "Auch in diesem Lande marschiert die Revolution."

Man kann nicht anders, volles Orchester, der Chor aus vollem Rohr: Das fetzt. Schön! Wüsste man nicht, dass das 1930 in der Berliner Philharmonie uraufgeführt wurde und zu einem jener Überwältigungsspektakel gehörte, für die der Dichter Bertolt Brecht später gehörig eins auf die Finger bekam. In Die Maßnahme sollte über die Geschichte vom Tod eines jungen Agitators im fernen chinesischen Städtchen Mukden und mit gehörigem propagandistischem Aufwand Mord um der Sache des Kommunismus und der Menschheit willen gerechtfertigt werden. Das ist nicht so schön. Sieht man aber davon einmal ab, kommt Hanns Eislers Musik in der Volksbühne nun schon gut rüber. Wir befinden uns im Übergang zur zweiten Szene des ersten Teils eines sehr merkwürdigen Theaterabends.

Dass das Pathos nicht so gemeint ist, dafür sorgten schon die ersten Lacher am Anfang. Der brasilianische Künstler Thiago Bortolozzo hat einen hohen Steg aus grobem Holz quer über die Bühne gebaut. Unter dem sitzt jetzt der große Darsteller Hermann Beyer und gibt den Heiner Müller, der aus dem Himmel herabgestiegen ist: "Der Versuch ist gescheitert, mir fällt zum Lehrstück nichts mehr ein." Diesem Statement zum Trotz präsentierte die Berliner Volksbühne in drei Stunden Spielzeit ohne Pause Bertolt Brechts umstrittenes Lehrstück mit Chor- und Orchesterbegleitung sowie Heiner Müllers Mauser, zwei säkulare Passionsstücke am Gründonnerstag, Regie, der Hausherr Frank Castorf, unterstützt durch die Choreografin Meg Stuart.

Die aktuelle Spielzeit konnte an der Volksbühne bisher nicht glücklich genannt werden. Seitdem ein Großteil Castorfs alter Kämpen von Bord gegangen ist, versucht man den Geist des Hauses musikalisch zu beschwören, setzt wenig inspiriert auf Opern in Trashversion - Puccinis Tosca etwa. Nun war man mit Brecht und Eisler, Müller und dem Bassisten Paul Lemp, der zu drei Choreografien Meg Stuarts im zweiten Teil einen kräftigen Soundteppich ausgelegt hat, zwar wieder dem Ruf der Musik gefolgt, doch dem Regisseur gelang mit seinem Die Maßnahme/Mauser ein über weite Strecken stimmiger Abend.

Castorf, der mehrfach verkündet hatte, das herkömmliche Theaterrepertoire interessiere ihn nicht mehr, offerierte eine bis auf wenige formale und ironische Brechungen konventionelle Inszenierung, in dem die Stücke erkennbar blieben. Mit Hermann Beyer als Geist Heiner Müllers und Jeannette Spassova als musengleicher Antagonistin sowie einem gut aufgelegten Jungdarstellertrio (Sebastian König, Christoph Letkowski, Trystan Pütter) hatte Castorf bestes Personal zu präsentieren, mit dem eine geradlinige Form entwickelt werden konnte. So geriet die Platzierung von Chor und Orchester, der Einsatz der Videoprojektionen überzeugend. Sie machten Live-Übertragungen aus dem Foyer und vom Theatervorplatz ebenso möglich wie Einspielungen von Sergei Gerasimovs UdSSR-Farbfilmschinken Der stille Don aus dem Jahr 1957.

Dagegen signalisierten die drei Tanzeinlagen des zweiten Teils, dem Müllers Mauser zugrunde lag, dass Frank Castorf dem eigenen Konzept nicht ganz vertraut hat und mit den zweifelsohne spannenden, doch für den Abend unnötigen Kampf- und Unterwerfungschoreografien noch einmal für ästhetische Irritation sorgen wollte. Die inhaltliche blieb aus.

Castorf stellte Brecht und Müller auf den Prüfstand und entfesselte dabei eine suggestive Kraft. Am Ende fragt man sich verwundert, wie es um Maßnahmen und deren Legitimation in unserem Gemeinwesen so bestellt sein mag, "wissend, das Gras noch müssen wir ausreißen, damit es grün bleibt."

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