Eine Art Rache

Sexspielzeug Der Hongkonger Wong Ping stellte seine genialen Porno-Pop-Persiflagen aus Langeweile ins Netz. Jetzt ist er ein Star und sein Werk in Basel zu bewundern
Ausgabe 08/2019

Um es vorwegzunehmen: Die Kunst von Wong Ping ist jung, trashig und alles andere als jugendfrei. Der 34-jährige Hongkong-Chinese darf als einer der Shootingstars der internationalen Kunstszene gelten, seit er nach einem kurzen Vorlauf über die Art Basel Miami Beach 2016 im vergangenen Jahr eine erste Einzelausstellung im New Yorker Guggenheim Museum ausgerichtet bekam. Damit landete er auf einen Schlag neben Hito Steyerl (Jahrgang 1966), Cory Arcangel (Jahrgang 1978), Jon Rafman (Jahrgang 1981) oder Ed Atkins (Jahrgang 1982) in der Oberliga der Post-Internet-Kunst.

Wong Ping wurde 1984 in Hongkong geboren. Es war dasselbe Jahr, in dem die Volksrepublik China mit der britischen Regierung Verhandlungen zur Übernahme der Kronkolonie aufnahm. Wir erinnern uns: Von Anfang an war die demokratische Verfassung strittig. Bis heute. 1997 erfolgte die Übergabe. 2014 kam es zur sogenannten Regenschirm-Revolution, friedlichen, wesentlich von Studentinnen und Studenten getragene Protestaktionen für eine Wahlrechtsreform, die der Bevölkerung der chinesischen Sonderverwaltungszone gleiche Rechte einräumen sollte. Damals war Wong Ping nach einem Studium in Australien, zu dem ihn seine Eltern gedrängt hatten, bereits wieder zurück in der Geburtsstadt. Mit Kunst hatte er da noch wenig am Hut und spezialisierte sich „trotz eines völligen Desinteresses“ in Design, Kunst und Animation, weil in dem Fach keine Prüfungen verlangt wurden. 2005 schloss er mit einem Bachelor ab, bekam aber wegen seiner mittelmäßigen Abschlüsse in der Heimat keine vernünftigen Jobs. Nur aus Langeweile fing er an zu schreiben.

„Ich war zu dieser Zeit bezüglich Animation völlig ahnungslos“, gesteht der Künstler in einem Interview im chinesischen Kunstmagazin Yishu freimütig. Aus dem Nichts, aus einer Art Rache gegen die „geregelte Welt“, habe er mit wenigen Post-Production-Werkzeugen damit begonnen, Animationen herzustellen. Seine Gelegenheitstexte übersetzte er in Bewegtbilder: „Ich begann die absurden Geschichten, die ich aus Langeweile geschrieben hatte, zu bebildern.“

Zum Beispiel das Video Slow Sex (2013). Sein erstes, das man im Internet ansehen kann. In der Basler Ausstellung ist es auf einem von drei Bildschirmen am Schaft eines monumentalen, glamourös inszenierten Phallus Teil einer immersiven Inszenierung. Slow Sex beginnt mit einer bunten Schallplattenscheibe, die sich dreht, dann geht es zur Sache. Man sieht Mann und Frau beim Sex, später sitzt das Paar beim mechanischen Coitus a tergo, ein Spaziergänger hat durchs Fenster fotografiert und sich dann dazugesellt, außerdem ist der monströse Penis vorne abgebrochen. Das Ganze ist akustisch hinterlegt mit einer Art Sixties-Garagensound, Elektropop und Yeah-yeah-Porno-Geflüster auf Kantonesisch – englische Untertitel inklusive. Die Figuren, das Interieur sind in Pop-Art-Manier ohne Binnenkontraste zweidimensional gezeichnet. Das Zimmer, ein Raumeckmotiv, wird ohne perspektivische Verkürzungen präsentiert, Doppelbett, TV- und Plattenspieler-Bank, eine groß dimensionierte Datums- und Zeitanzeige an der Wand. Diese Einstellung ändert sich nicht. Grüne, pillenförmige Köpfe, Haare, die zähnebleckenden Mäuler, Augen, die Nasenlöcher auf derselben Höhe, hängende Brüste, ein monströser Penis, die eckigen Bewegungen der Penetration, alles wird auf signalartige Schablonen reduziert, die an die hölzerne Grafik früher Computerspiele der 1980er Jahre erinnern.

Und dieser ironisierte Normalosex ist auch irgendwie lustig anzusehen, der Betrachter bleibt nicht ohne Empathie. Allein schon darum erscheint der Vorwurf der Pornografie formal obsolet – trotz des expliziten Inhalts. Slow Sex taugt auch kaum zur sexuellen Stimulation. Das schützte den Künstler allerdings nicht vor Zensur: „Als ich meine Videos auf festlandchinesischen Plattformen hochladen wollte, wurde das unterbunden.“ Da half es auch nicht, dass er die Inhalte der Videos mit Begriffen wie „Wahrheit“, „Freundlichkeit“ und „Schönheit“ beschrieb.

Geile Winkekatzen

In manchen seiner Videos scheint das Verdrängte einer tief gestörten (heteronormativen) Mehrheitsgesellschaft im Zeichen des Kader-Kapitalismus auf. „Für mich waren Sex, Liebe und Gewalt schon immer ein Thema. Ich überlasse Wahrheit, Freundlichkeit und Schönheit lieber den Moralisten“, sagt Wong Ping. Das ist freilich das Markenzeichen jedes Enfant terrible schlechthin. Was den Künstler darüber hinaushebt, ist die eigene Sprache, die diese abgenutzte, verletzte Gesellschaft reflektiert, Defizite und Potenziale freilegt: „Sex in meiner Arbeit kann als Sprache und rhetorisches Mittel verstanden werden, wie sie von der chinesischen Mafia, den Triaden, benutzt werden. Sex ist voller Glück, Liebe nicht so.“

So verschiebt sich das Begehren gegenüber einer attraktiven Zimmernachbarin in Stop Peeping (2014, nicht in der Ausstellung) auf deren Schweißsekrete, die vom Protagonisten, leidenschaftslos eingesprochen vom Künstler selbst, zu Speiseeis verarbeitet werden. In Who’s the Daddy (2017) erzählt ein Bodybuilder von frühkindlichem Missbrauch durch den Vater und davon, dass er sich nun einer Christin unterwirft, die vorehelichen Sex ablehne, aber nichts gegen die Praxis des „Fistings“ habe.

Das alles scheint nicht nur der schrägen Fantasie des Künstlers entsprungen, sondern direkt den subkutanen, objektbezogenen Perversionen entfremdeter, vereinsamter Individuen abgeschaut. Wong Pings Sprache funktioniert wie ein Zufallsgenerator, der mehr intuitiv Sex- und Macht-Komplexe, Mysogynie, Missbrauch und Neurosen, kurz: alle möglichen Pathologien offenlegt. Das macht ihn so bemerkenswert, macht ihn zu einem großen Vertreter der asiatischen Kunst, die unabhängig von europäischen Mustern eigene Mythen und Narrative aktivieren kann. Auch dieser Appropriation zeigt sich Wong Ping gewachsen, was schon am Entree seiner Ausstellung zu bemerken ist, an den Tausenden Aufziehgebissen im ersten Saal, die hier mit aufgesetztem Augenpaar in überwältigender Masse auf der Wand präsentiert werden. Massenware, der er die Zähne vergolden ließ. Freundlich, passiv-aggressiv gucken die Augen den Betrachter an.

Dazwischen und am dramaturgischen Höhepunkt der Ausstellung liegt die Installation von Jungle of Desire (2015), die das sieben Minuten dauernde Video in einer überbordenden Inszenierung präsentiert. Waren in der Präsentation des Guggenheim Museum ein paar wenige japanisch-chinesische Glücks-Winkekatzen versammelt, sind nun Hunderte Maneki-neko-Katzen auf einem lilafarbenen Plüschteppich versammelt und winken mit aufgestellten Pfötchen, denen der Künstler zur Anmutung eines Penis eine rote Eichel angemalt hat. Sie spiegeln sich im Video, in dem die monotone Stimme Wong Pings von den unerreichbaren Bedürfnissen nach Liebe und Sex erzählt: Die Frau des Erzählers – impotent, unfähig, sie sexuell zu befriedigen – verdingt sich als Prostituierte. Wir folgen ihm durch voyeuristisches Dickicht und fantasierte homosexuelle Eskapaden. Das ist weder privatistisch noch privat, sondern von der Gebissparade vorn bis zu den Katzen politisch. Einmal mehr ist der Kunsthalle Basel eine großartige Ausstellung geglückt.

Info

Golden Shower Wong Ping Kunsthalle Basel, noch bis 5. Mai 2019

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