Für eine Handvoll Lehm

Bühne Romane und andere nichtdramatische Texte werden in den letzten Jahren vermehrt ans Theater gebracht. Also auch das Buch der Bücher: Stefan Bachmanns "Genesis" in Zürich

Ist die Sache nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt, die Genesis, das 1. Buch Moses, im Theater zu erzählen, von der Schöpfung an, über Adam und Eva, Noah, Abraham bis hin zur Geschichte Josephs samt der Geschlechterlisten? Im Zürcher Schiffbau des Schauspielhauses hat sich der Schweizer Regisseur Stefan Bachmann, Jahrgang 1966, der Sache angenommen.

Guckkastenbühne, ein mächtiger Lehmberg in der Bühnenmitte, elf Schauspieler und fünf Stunden Zeit – die Bibel auf die Bühne! Zum einen bietet sich das Projekt schon deshalb an, weil das Theater seit einiger Zeit nach den großen Prosatexten schielt, um sich aktuell zu halten. Zum andern stellen sich mit den globalen Verwerfungen der vergangenen Jahre auch aufgeklärte Westeuropäer vermehrt die Frage, wie es mit der Religion zu halten sei.

Dazu wird in Zürich zum Auftakt erst einmal informiert: Ein Bärtiger in Amish-Tracht umrundet den Berg (Michael Neuenschwander im Folgenden als Gott, Abraham, Jakob), setzt sich und liest aus der revidierten Lutherfassung, wie das mit dem Licht, dem Wasser, Adam und Eva so zuging. In einer knappen Stunde kommt er (inzwischen gibt es etwas Spiel im Lehm) von der Errettung Noahs zum Turmbau von Babel (ein Sandhäufchen).

Irgendwann durchfährt den Zuschauer unwillkürlich der Gedanke, dass die Inszenierung der Bibel eigentlich eine ureigene Aufgabe von Frank Castorf oder Peter Stein gewesen wäre, sieben Tage an Originalschauplätzen.

Tableaux vivants

Denn Bachmanns Inszenierung präsentiert sich so, als stünde er zwischen den altmeisterlichen Antipoden – zwischen Ernst und Ironie. Erste Spielszene: Abraham, Sarah und Lot im Sandalenfilmoutfit sollen rühren, was aber zugleich mit einem Pharao im Pappkostüm gebrochen wird. Dann Bewegung im Publikum: Der neue Bund mit Gott, Neuenschwander gibt ihn als Sergio-Leone-Clint-Eastwood, wird durch Beschneidung bezeugt. Eine Schar nackter Darsteller tritt an. Schreie, Blut, Krämpfe – das aktuell Politische bekommt ein expressives Bild. Bachmann gelingen bis zur Pause weiter eindrückliche Theatermomente, die Opferung Isaaks, Jakobs Ringen mit dem Engel, der Traum von der Himmelsleiter. Aber selten kommt er über fromme Tableaux vivants hinaus.

Mit der Textvorlage der ungleich dramatischeren Josephsgeschichte gewinnt das Ensemble nach der Pause an Fahrt. Die Bezugsgrößen der Regie heißen nun nicht mehr Passionsspiel und Peter Stein, sondern Italowestern und Frank Castorf. Der Lehmberg wird für die ägyptischen Gefilde mit Videoprojektionen bespielt, und die Söhne Jakobs, Joseph und seine Brüder, treten als die glorreichen Sieben auf.

Joseph, von seinen Brüdern gehasst und als Sklave verkauft, macht Karriere in Ägypten. Im Bund mit Gott weiß er die Träume des Pharao zu deuten. Die Konkurrenz unter den Brüdern wird bei Bachmann am großen Tisch beim großen Fressen an der Bühnenrampe verhandelt und begraben.

Das entwickelt die Regie mit ihren Darstellern so unterhaltsam, dass der aufmerksame Zuschauer fortan Isaak nicht mehr mit Jakob und diesen mit Joseph verwechseln wird. Mehr Tiefgang ist aber nicht avisiert. Am Ende reibt sich die Theatergemeinde müde die Augen, zufrieden damit, fünf Stunden Überforderungstheater durchgestanden zu haben, während auf den designierten Chef des Schauspiel Köln jetzt eigentlich nur noch die Korintherbriefe und die Johannesapokalypse als Herausforderung warten.

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