Ich will Teamleiter sein

Ein bisschen Politik "Augusta" von Richard Dresser und "Marathon" von Joachim Meyerhoff an der Schaubühne am Lehniner Platz und im Gorki-Theater in Berlin

An Schärfe und Boshaftigkeit waren die dramatischen Höhepunkte zweier Berliner Uraufführungen in der vergangenen Woche kaum zu überbieten. Zum einen die siebte Szene aus Richard Dressers Augusta: "Sag die Worte, und sie werden wahr", lockt der schmierige Typ zwischen den beiden Frauen, deren Chef er ist und die er gerade gegeneinander auszuspielen versucht. "Ich will Teamleiter sein", sagt schließlich die jüngere und bekommt den Job, den gerade noch die andere inne hatte.

Zum anderen der zwölfte Monolog aus Joachim Meyerhoffs Marathon: Die erfolgreiche Managerin, Bettina Hoppe, kämpft gegen ihre plötzlich auftretende Flugangst in der Passagierkabine. "Und dann! Aus dem Nichts. Brüllt mich eine Stimme an: ›Käse oder Salami?‹" Diese Frage einer Stewardess wird, wie sie weiter erzählt, ihr labiles Nervenkostüm derart zerrütten, dass auch sie ihren Job an den Nagel hängen muss.

Zwei Schlaglichter auf die Funktion kapitalistischer Wunschmaschinen und ihren unerbittlichen Tauschgesetzen - von hier aus gesehen, erfüllt sich der beiderseits erhobene Anspruch ein politisch reflektiertes Theater zu machen. Doch es gab es noch elf weitere Szenen hier und fünfzehn weitere Monologe dort.

Formal könnten Augusta an der Schaubühne am Lehniner Platz und Marathon am Gorkitheater kaum unterschiedlicher sein. Mit Dressers Augusta, der dritten Inszenierung eines Stücks des Mitte 40-jährigen US-Amerikaners an der Schaubühne, inszenierte der Schweizer Rafael Sanchez ein Drei-Personendrama, das alle Regeln eines Well-Made-Play mit (psychologisch motivierten) Charakteren, (sozial begründetem) Konflikt und (tragisch-komischer) Auflösung erfüllt. Trotz Verfremdung und Überhöhung, reduzierten Bühnenbilds, einer Spielfläche wie ein Laufsteg und einer offenen Dramaturgie war es den Darstellern geboten sich in ihre Figuren einzufühlen. Steffi Kühnert und Daniela Holtz waren die ausgebeuteten Reinigungskräfte eines amerikanischen Serviceunternehmens, Bruno Cathomas ihr ausbeuterischer Chef im Vorstadt-Travolta-Format. In der Studioinszenierung pflegte man also jene theatralische Form im Kleinen, die man bei Thomas Ostermeier oder Falk Richter im großen Haus etwas aufwendiger als veristischen Realismus zu sehen bekommt.

Dagegen wäre die Arbeit am Gorkitheater unter dem Label des "postdramatischen" Theaters zu rubrizieren. Der Schauspieler-Regisseur Joachim Meyerhoff ist zugleich sein eigener Autor. Mit Marathon verband Meyerhoff eine am Geschehen eines 42-Kilometerlaufes orientierte Folge von Monologen - multimedial unterstützt durch Mikros, Video und fünf surrende Laufbänder, die von den Akteuren auf der Bühne fleißig am rotieren gehalten wurden. Eine Handlung, sofern man vom Setting Dauerlauf absah, gab es nicht. Vielmehr erfuhr man in knapp zwei Stunden hintereinander weg, wie, wieso und warum die zehn Figuren von Meyerhoff - sie tragen für die Authentizität des Dargestellten bürgend die Namen ihrer Darsteller - hier laufen, auf den erwähnten Laufbändern, zwischendurch mal durchs Publikum und später auch auf der Drehbühne.

Schon der oberflächliche Blick lässt bei aller Gegensätzlichkeit der Theaterformen zumindest eine Gemeinsamkeit erkennen, die diese Inszenierungen symptomatisch für ein Theater werden lässt, das vorwiegend damit beschäftigt ist, den Betrieb aufrechtzuerhalten: Man schwadroniert von der Revolte, wagt aber inhaltlich und formal nichts.

Meyerhoff hatte sich vorgestellt, mit seiner Revue der Dauerläufer mosaikartig ein kritisches Portrait einer überdrehten Leistungsgesellschaft vorzuführen. Doch dazu hätte sich Meyerhoff nicht über seine Figuren stellen dürfen. Wo sie nicht dem Amüsement Preis gegeben sind, werden sie geheimnistuerisch überhöht. Da wird die Essgestörte zur "Atalante", der Manager zum "laufenden Mönch", während man vorher schon herzlich über den Nase-blutenden Studenten und den aalglatten Addict mit Knieproblemen lachen durfte. Worüber man lachte, waren immer die anderen, die nach allen Regeln zeitgeistiger Bühnenkunst vorgeführt wurden.

Und auch Sanchez an der Schaubühne vergaß die Vorlage gegen den Strich zu bürsten. Denn Dressers TV-Serienplot - die unterdrückte Putze, von der Kollegin und dem Chef ausgebootet, bereichert sich erfolgreich durch Diebstahl bei der reichen Auftraggeberin - nimmt sich in der Schaubühnenversion so betulich aus, dass man im kleinen Glück der Diebin die stillschweigende Affirmation des kritisierten Systems durch Autor und Regisseur glatt vergisst. Wie viel abgefeimter Genets Zofen, wie viel gerissener Tarantinos Jackie Brown! In Sanchez Augusta probt man wie so oft an der Schaubühne ein bisschen Revolte, will dafür aber von allen ganz doll lieb gehabt werden. Dafür hält man sich wie Meyerhoff im formalen Gegenpol im Mainstream auf, zu dessen gutem Ton zur Zeit auch Politik gehört. Am Ende sind aber beide, das Politische und das Theater, verraten und verkauft.


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