Im Parkett wie an der Rampe

Bühne Großthema Kreativität: In seinem Diskurstheater verwischt Autor und Regisseur René Pollesch die Grenzen zwischen Darsteller und Publikum einmal mehr gekonnt

Gier, Liebe, Wut und Rache sind die großen Themen des Theaters. An sie glauben mag René Pollesch, Autor und Regisseur seiner eigenen Texte, nicht. Der setzt auf andere Großthemen, die das Theater bisher nicht erreicht hatten. „Kreativität“ etwa. Kreativität ist derart ubiquitär, dass – so die Vermutung des Theatermanns – jeder Zuschauer, der da unten im Parkett sitze, sein Geld damit verdiene, in irgendeiner Weise „kreativ“ zu sein.

Polleschs Diskurstheater reflektiert seit seinen Anfängen vor über zehn Jahren immer auch die eigenen Produktionsbedingungen. In der Uraufführung von Fahrende Frauen vergangenen Samstag am Zürcher Schauspielhaus geht es nun also um „Kreativität“ – als Kernbegriff des Neoliberalismus.

Damit der Zuschauer weiß, wo er den verorten kann, hat Polleschs Bühnenbildner Bert Neumann das ohnehin enge Bühnenportal im Zürcher Pfauen durch einen gleißenden Showrahmen samt rot-weißem Vorhang verkleinert und signalisiert, dass die Veranstaltung im Bereich Kintopp, Zirkus und Vaudeville anzusiedeln wäre.

Und auch der Plot des Abends, wenn man bei Pollesch von einem Plot sprechen kann, ist dramaturgisch auf Entspannung und gute Unterhaltung gepolt: Weil die zwergenwüchsigen Schauspieler von Thornton Wilders Unsere kleine Stadt streiken, müssen ein Kollege und zwei Kolleginnen ran – denkbar gutes Glacis für die Schauspieler Franz Beil, Carolin Conrad und Lilith Stangenberg. Sie geben das Außer-sich-Sein Polleschs Figuren bei aller Exaltation auf so gelöst-beiläufige Weise, dass bei diesem Abend Lügen gestraft wurde, wer bisher nur Martin Wuttke oder Sophie Rois als ideale Pollesch-Darsteller gelten ließ.


Der Abend beginnt mit einer Videoprojektion auf den gestreiften Bühnenvorhang: Das ondulierte, blonde Haar von Lilith Stangenberg hängt in die Kamera, während diese etwas von Selbst- und Fremdbestimmung, Gier und Kreativität erzählt, und dass das Publikum schon da sei und dass man jetzt etwas machen müsse. „Wir gehen jetzt da raus und spielen was“, sagt ebenso aus dem Off Carolin Conrad, und so finden sich die Damen in biedermeierlichen Walle-Abendroben mit Franz Beil an der Rampe wieder. Dort geben sie in einer Pantomime drei im Schlaf Vereinte, ein Bild für „Liebe“ und Repräsentation dessen, wovon sich Polleschs Theater eigentlich distanzieren möchte.

Allzu lang hält man sich dort nicht auf und stößt sich im anschließenden Schlagabtausch ab: „Dieser Differenzierungstrend macht mich nicht mehr anschlussfähig,“ beschwert sich Lilith Stangenberg und klagt ihren „Nahweltbedarf“ ein, den sie dann weniger in der „Selbst-“ als in der „Fremdbestimmung“ realisiert sieht, also in dem Produktionsmodus, der, wie Franz Beil ergänzt, in der „Kreativität“, das heißt „da unten“, das heißt „beim Publikum“, aufgehoben liegt.

Was, wenn darüber die Grenze zwischen Darsteller und Publikum verwischt? Der Anspruch von Kunst gegenüber dem Alltag hinfällig wird? Kreativität als Fluch oder Verheißung, darüber lässt es sich mit Fahrende Frauen amüsiert diskutieren. Der Metadiskurs des Textes wird immer wieder durch Konkretion geerdet: Als Anspielung aufs Minarett-Verbot erscheinen in der Bühnenlandschaft von Szene zu Szene mehr spitze Türmchen, und die Ausladung des Globalisierungskritikers Jean Ziegler von den Salzburger Festspielen aus Rücksicht vor Sponsor Nestlé wird immer wieder aufgegriffen.

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