Jürgen Kuczynskis Nachlass in der Landesbibliothek Berlin

Ausstellung Die Erstausgabe des Kommunistischen Manifests findet man anderes lautenden Gerüchten zum Trotz hier nicht - dafür aber eine illegale Ausgabe aus dem ...

Die Erstausgabe des Kommunistischen Manifests findet man anderes lautenden Gerüchten zum Trotz hier nicht - dafür aber eine illegale Ausgabe aus dem Jahr 1851, einige Erstausgaben von Kant, Fichte und Hegel, gut 75.000 weitere Zeitschriften, Autographen und Bücher, darunter 6.500 Kriminalromane. Viele bekam der Eigentümer von Helene Weigel nach dem Tod Bertolt Brechts überlassen, mit dem er diese Raritäten regelmäßig zu tauschen pflegte.

Die Rede ist von der monströsen Gebrauchsbibliothek des Wirtschaftshistorikers und Grandseigneurs der DDR, Jürgen Kuczynski. Nachdem der Wissenschaftler 1997 und ein Jahr darauf seine Frau Marguerite verstorben war, wurde das Mietshaus in der Parkstraße 94 in Berlin-Weißensee geräumt. Die Bibliothek, an der sechs Generationen deutsch-jüdisches Bildungsbürgertum gesammelt hatten, veräußerten die Söhne Peter und Thomas 2002 an die Berliner Landes- und Zentralbibliothek.

Dort ist nun bis März eine kleine, jedoch äußerst sehenswerte Ausstellung eingerichtet worden, die einen Einblick in den kostbaren Nachlass geben will. Schon der Ort der Ausstellung lohnt den Besuch: Die Historischen Sammlungen der Berliner Zentral- und Landesbibliothek, denen der Kuczynski-Nachlass einverleibt wurde, befinden sich im ehemaligen Gesindetrakt des Marstalls in der Breite Straße. Über eine Stiege geht es vom Hof hinauf in den Lesesaal, einen Einbau aus dem Jahr 2001, mit dem sich der Besucher unvermittelt in ein holzvertäfeltes Gelehrtengehäuse des 19. Jahrhunderts aus schweren Tischen, Schränken und Galerie versetzt sieht. Den Lärm, die Stadt, hat man dort weit hinter sich gelassen - auch die blaugraue Auslegware im Vorraum. Doch trotz des unzumutbaren Bodenbelags sollte man sich dort für die ersten zwei Ausstellungsvitrinen Zeit lassen. Während auf der Galerie im Lesesaal Bücher und Memorabilia von Kuszynski ausgebreitet sind, werden hier Stücke zum Leben seines Vaters Robert René gezeigt.

Der in Berlin 1876 geborene Bankierssohn - Fotografien zeigen den Infanten auf dem Schoß einer Kinderfrau in Tracht, den Studenten mit Schmissen - promovierte 1897 über Die Frage der Bevölkerungsbewegung in Stadt und Land. Das schmale Heftchen eröffnet seinen weiteren Forschungskreis, der mit der posthum veröffentlichten dreibändigen Studie zur Bevölkerungsbewegung in den britischen Kolonien abgeschlossen wird - Grundlagenforschung für eine demographisch gestützte Biopolitik. Nur ein knappes Drittel der bis 1933 auf über 60.000 Bände angewachsenen Arbeitsbibliothek konnte von dem Juden und couragierten Linksdemokraten der Weimarer Republik ins Londoner Exil gerettet werden.

Dass die Sammlung Kuczynski heute wieder 1.700 laufende Buchmeter umfasst, ist dann auch wesentlich der letzten der "Sechs Generationen auf Bücherjagd", dem 1904 geborenen Sohn Jürgen zu verdanken. In den Vitrinen der Galerie wird sein wechselvolles Leben in Büchern und Dokumenten ausgebreitet - von der Geburtsstadt Elberfeld bis zur Parkstraße, vom Exil bis zu seinem Engagement als marxistischer Wirtschaftshistoriker in der DDR. Die Zusammenstellung der Dokumente ist wohltuend unprätentiös und soll Kuczynski nicht verkulten. Ein später Brief von ihm an den einstigen Staatsratsvorsitzenden wirkt da fast anrührend: "Lieber Erich, (...) wenn Du je glaubst, mich in irgendeiner Kleinigkeit brauchen zu können, lasse es mich wissen. Mit vielen guten Wünschen, Jürgen Kuczynski". Der ebenso ausgestellte Dankesbrief erfolgt mit "sozialistischem Gruß" einen Tag vor Öffnung der Mauer am 8. November 1989.

Einblick in einen Nachlass - die Kuczynskis Ausstellung der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, Historische Sammlungen, Öffnungszeiten: Mittwoch 10-16 und Donnerstag 13-19 Uhr, Breite Str. 32-34, bis 31. März 2008

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