Klasse Klassik

Idee oder Wirklichkeit Die Antikensammlungen der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz lassen nach der griechischen Klassik forschen

Was Klassik sei, erklärt uns eine Broschüre des U.S.-Informationsministeriums schlicht und deutlich. Sie zeigt ein Foto des 1687 durch venezianischen Beschuss zerstörten Parthenontempels, in dem sich damals neben einer Moschee ein Munitionslager befunden hatte. Unterschrift: "Die bleibenden und offenbaren Leistungen einer Zivilisation sind ihre Gebäude". Einige Seiten weiter folgt die Information: "But the classic ruled and spread across the developing land". Beglaubigt wird diese Aussage durch eine Abbildung des Weißen Hauses mit der Bildunterschrift: "The Classic Revival is obvious in the White House".
Mit solcherlei ideologiesaurer Naivität lässt sich hierzulande freilich schwerer aufwarten. Seitdem Albert Speer darüber sann, wie es zu bewerkstelligen sei, die Germaniabauten in Jahrhunderten wie antike Trümmerhaufen aussehen zu lassen, tritt das Antikenzitat verholen aufs Parkett: Das Fitnessstudio wirbt mit dem berühmten Diskobol des Myron, der Statue aus dem römischen Thermenmuseum trotz, oder wegen Leni Riefenstahls Olympiafilm, in dem das antike Vorbild durch einen eingeölten Muskelmann überblendet wird.
Dem Klasseanwalt wird vom Architekten Hans Kollhoff eine dem Klassizismus abgelauschte Residenz in den Berliner Südwesten gebaut, oder der hochglanzsanierte Pseudoperipteros der Alten Nationalgalerie adelt das museale Spreeathen repräsentativ.
Oder aber die Klassik wird im Geist geortet: Klassisch, das gültige Formprinzip. Klassiker sind demnach auch Antonionifilme, CocaColaflaschen, Wagenfeldleuchten, Mondrianposter und Mozartkugeln - und Goethe.
Mit der Marke "Klassik", "Klassizismus", "Klassiker" war man schon immer auf der richtigen Seite: Dem Epochenbegriff ist sein Wertbegriff implizit. Klasse ist eben "Erste Sahne" - auch wenn man nur als Steuerbürger - classicus civis, von dem sich der Begriff "Klassik" seit dem 2. Jahrhundert herleitet - zu den Ersten zählen will und sich auf das beruft und das erborgt, was man nicht hat: Klasse nämlich.
Und das geht nicht ohne Ausgrenzung: Wie sich die attische Polis zwischen 490 und 380 v.u.Z. - seit Winckelmann die eigentliche Klassik, neben Hellenismus und dem antiken Rom - durch einen extremen Begriff des Anderen, des Minderwertigen, des Sklaven und Barbaren konstituiert, wohnt jedem folgenden Begriff des Klassischen, wenn nicht der Hass, so doch der Ekel vor dem Anderen, dem Deformierten und Abnormen inne.
Die "Klassik" war so in nahezu allen Renaissancen der Europäischen Kunst auch ein Kampfbegriff, der mit nackten Jünglingen und Säulenreihen wechselseitig Front gegen alte Hüte oder die Moderne machte. Ihr Credo: Bitte nichts Feuchtes zwischen den Beinen.
Die Berliner Ausstellung Klassik. Idee oder Wirklichkeit verheißt eine gründliche Revision bisheriger Deutungen der griechischen Klassik und ihrer Rezeptionen: Eine berlinweit plakatierte Vasenmalerei lässt die Betrachter auf U-Bahnhöfen über die merkwürdige Penisform eines vor der Deflorierung stehenden Epheben sinnieren.
Man verspricht in der groß angelegten Schau die Sedimente der "Klassik" freizulegen und auszustellen, die man bisher kaum oder nur undeutlich in den Blick bekommen hat. Dies ist misslungen: Dafür sorgt nicht nur die theatralisch aufgebauschte Inszenierung des Bühnenbildners Karl Ernst Herrmann, die das Unternehmen mit wogenden Drapperien romantisierend zukleistert.
War man eh schon vor das Dilemma gestellt, die freilich beeindruckenden römischen Repliken für die verlorenen griechischen Originale auszustellen, setzte man gleich noch weitere Kopien der Kopien - neuzeitliche Gipsabgüsse - daneben. Nur in wenigen der 18 bespielten Räume gelingt es, die gesellschaftliche und ökonomische Basis der attischen Polis anschaulich zu präsentieren, den Objekten ihren Raum zu schaffen.
Gelingt es noch die Aufnahme attischer Kunst in der augusteischen Renaissance angemessen nachvollziehbar zu machen, so geraten die Schauräume zum Weiterleben der Antike in der Neuzeit zu Rumpelkammern, und vorchristliche Pretiosen aus China, Japan und Peru dürfen bezeugen, was die Griechen nicht kannten - man hätte dort auch einen Fernseher aufstellen können.
Klassik. Idee oder Wirklichkeit? - Die Frage stellt sich so eigentlich nicht: Das Reale erscheint und verschwindet mit dem Imaginären, die Wirklichkeit mit der Idee. Das Reale festzuhalten gelingt dieser Berliner Klassikschau, die anschließend nach Bonn tourt, nur für Bruchteile von Sekunden.

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