Kunst und Krieg

MUSIKTHEATER Ein Gastspiel aus Kopenhagen lotet die Möglichkeiten des Genres neu aus

Es ist länger her, dass Hamburg direkt von Dänemark aus unter Beschuss kam. Nur die kurz zuvor errichtete Sternschanze, heute mehr als S-Bahnhof und Drogenumschlagplatz bekannt, sowie ein angeheuertes oldenburgisches Entsatzheer konnten 1698 die Kanonade der dänischen Batterien, die in Altona Aufstellung genommen hatten, so wirkungsvoll erwidern, dass Hamburg fortan nicht wie Altona zum dänischen Königreich gezählt werden musste.

Dänemark begann für den Hamburger bis 1864 hinter St. Pauli, dem Hamburger Berg und der Talstraße auf der Großen Freiheit in Altona. Heute liegt es hinter Flensburg - offenbar zu weit, als dass man hierzulande von der Kulturszene viel mehr als Smörebröd, Lego und Lars van Trier wahrnehmen würde. Das sollte sich mit der Veranstaltungsreihe danmark til hamborg ändern, die die Hansestadt im vergangenen Jahr bis in den Dezember zum Glacis für das kulturelle Bombardement aus dem Nachbarstaat, von der Literatur bis hin zur Club-Culture, machte.

Ein wesentlicher Schwerpunkt des Programms lag in der Vorstellung der überaus regen Szene für moderne und zeitgenössische Musik und allein dreier Gruppen aus dem Musiktheaterbereich. Als Höhepunkt und abschließender Kanonenschlag kann diesbezüglich das Gastspiel von Holland House gelten - das sicher stärkste Geschütz unter den ohnehin schon starken freien Gruppen des dänischen Musiktheaters - gleichsam deren "Dicke Berta".

Holland House gelang in Hamburg mit der deutschen Erstaufführung des 1996 entwickelten Stücks Nuit des Hommes in der Kampnagelfabrik eine Inszenierung von atemberaubender Präzision und Intensität - bewundernswert, vergegenwärtigt man sich, dass die Produktionsgemeinschaft um den Regisseur, Bühnenbildner und freien Autor Jacob F. Schokking erst eine Woche vor dem Hamburger Auftritt die Uraufführung der Oper Manifest des jungen Komponisten Rolf Wallin in den Kopenhagener Kanonhallen, einer aufgelassene Munitionsfabrik, auf die Bühne gebracht hatte.

Nuit des hommes collagiert sechzehn Szenen, sowie einen Prolog und einen Epilog in zwei Akten. Da ist ein berückendes wie bedrückendes Singspiel für Mezzosopran und Tenor entstanden. Die Sänger Helene Gjerris und Helge Rönning vermögen wie das kleine Orchester große Oper im besten Sinne herzustellen. Sie wechseln mühelos von den Protagonisten Alice und Wilhelm im ersten Teil zu den Anonyma des zweiten Teils.

Für Schokking war der Ausgangspunkt der Arbeit Schostakowitschs 14. Symphonie für Kammerorchester, Sopran und Bass, in der unter anderem sechs Gedichte Apollinaires vertont wurden. Für sein Projekt konnte er den Komponisten Per Nörgard gewinnen, den die Frage umtrieb, wie die Kunst auf den Krieg zu reagieren habe. Bei der gemeinsamen Recherche stieß man auf die beißend bösen Texte von Karl Kraus zu der einzigen K.u.K-Kriegskorrespondentin Alice Schalek in der Fackel, als man sich künstlerisch an aktuell-politischen Ereignisse Europäischer Kriege anzunähern suchte: Sie finden wir in der Protagonistin Alice wieder. Schließlich ordneten Schokking und Nörgard fünfzehn weitere Gedichte Guillaume Apollinaires, die im Furor des ersten Weltkriegs entstanden sind, zu den zwei Akten. Deren dialogische Situationen erzählen von Euphorie, Schrecken und Entfremdung, ebenso wie von einem Krieg im Kampf der Geschlechter.

Zum Prolog steht der Perkussionist und Sampler Gert Sörensen vor der Bühne, und entlockt tanzend einem Teremintrautonium entrückte Glissandi, um sich nach diesem Auftakt in das Streichquartett einzuordenen, das er für den weiteren Abend mit seinem Schlagwerk und elektroakustischen Effekten begleiten wird. Erst jetzt öffnet das Licht die weite leere Bühne, wird ein gewaltiger Videoscreen im Hintergrund sichtbar, treten die Protagonisten mit übergroßen, auf Rädern geschobenen Sprechtrichtern an die Rampe. Zugleich senkt sich zu ihren schönen Skalen, die zunehmend erregter, aggressiver werden, eine gewaltige, bedrohlich rotierende Stahlkonstruktion aus dem Bühnenhimmel. Sie erinnert an Bruce Naumans Folterstühle: ein Tisch, daran verschweißte Stühle, die einem Propeller oder einem Kreisel gleichen, der den Figuren ihre Handlungen vorschreibt. Der Videohorizont belebt sich; Wörter, Sätze, Zeichen begleiten den Kampf der Sänger.

Dabei hat man nie den Eindruck, als bebildere das Spiel die Musik, begleite die Musik den Text, sondern jedes der konstitutiven Momente der Performanz kommentiert das einzelne theatrale Mittel und steigert den theatralischen Gesamteindruck.

Die Oper als bilderreiches Medium neigt dazu illustrativ zu wirken. Dies gilt gerade beim Einsatz des Videoscreens wie jüngst bei Peter Greenaway oder Jan Fabre, selten wirkt es so überzeugend wie hier. Wir sind in einer "Nacht der Männer" und der "Menschheit", wie der Titel nach einem Apollinairegedicht offen lässt, angekommen, die einen Traum entfaltet, der im gegenwärtigen Theater seines Gleichen sucht.

Wer die dänische Musiktheaterszene kennt, weiß, dass dies kein Zufall ist: Im Gegensatz zum großen Nachbarn mit seinen Stadt- und Staatstheatern hat man in Dänemark auf ein intelligentes Fördersystem kleiner, an Häuser ungebundener Produktionen und Gruppen gesetzt, die je nach Größe des Projektes und Bekanntheitsgrades erhebliche Summen aus Staatlichen- und sonstigen Sponsorenquellen frei machen können. Gerade im Musiktheaterbereich ist so über die Jahre ein Publikum für zeitgenössisches Theater herangezogen worden - und darin liegt vielleicht die eigentliche Sprengkraft der drei Kampnagelabende - wie es hier erst noch entstehen muss.

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