Was haben Manfred Stolpe, Uwe Seeler, Lea Rosh, Klaus Doldinger, Wolfgang Fritz Haug, Rex Gildo und Hans Haacke gemeinsam? Herzlich wenig. Doch sie teilen eins, den Jahrgang 1936 und damit das Schicksal einer Generation, die einmal treffend als "verlorene" bezeichnet wurde. Radikale Extremisten - Gerald Tandler oder Horst Mahler - finden sich in diesem Jahrgang eher selten. Häufiger dafür die beharrlichen Moralisten. Zu diesen ist zweifelsfrei der Künstler Hans Haacke zu rechnen, dem nun - ungewöhnlich allemal - gleich zwei öffentliche Einrichtungen in unterschiedlichen Städten in Kooperation Ausstellungen ausrichten: In einer gemeinschaftlichen Werkschau den Hamburger Deichtorhallen und der Berliner Akademie der Künste.
Hans Haacke wirklich lautet der Titel der Schau - als gäbe es heute noch einen Zweifel an der Wirklichkeit der eigenen Existenz, der eigenen Daseinsberechtigung, der Arbeit an der Kunst. Und tatsächlich ist es seiner Generation schwer gefallen, nach dem Spiel auf Trümmerbergen in der restaurativen Nachkriegszeit die Notwendigkeit von Kunst zu reklamieren, einer politisch engagierten zumal. Eine frühe Schwarzweiß-Fotoserie Haackes aus dem Jahr 1959 in Hamburg zeigt das auf anrührende Weise: Haacke dokumentierte die Besucher der zweiten documenta ratlos und überfordert zwischen den Werken der klassischen Moderne. Hans Haacke heute: Einer der sich weiter einmischt, der sich weiter weigert, auch nur einen Cent von Sponsoren gesponsert zu bekommen, einer der mit ruhiger Sturheit auf die Autonomie nicht nur seiner eigenen Arbeit beharrt, sondern das Soll einer unabhängigen öffentlichen Einrichtung wie dem Museum einklagt - stets mit dem Hinweis, dass das Museum wie die künstlerische Arbeit immer kontextuell gebunden und damit in einen politischen Zusammenhang gestellt ist. Hans Haacke und der französische Soziologe Pierre Bourdieu standen mit ihrer Institutionskritik in den 1990er-Jahren nicht zufällig in einem intensiven Austausch.
Seine Kunst im Museum - Haacke hat sich nie dagegen gewehrt. Doch sie muss nach außen wirken, Aufsehen erregen im besten Sinn. Aufsehen erregen heißt Denkanstoß sein, Handlungsformate vorgeben, doch nie für sich, rein kunstimmanent. Kunst ist für ihn spätestens mit den frühen siebziger Jahren immer zuerst Vehikel, Botschaftsträger, nie Selbstzweck. Er will wirken, in die politische Wirklichkeit eingreifen. Hier gibt sich Haacke als bekennender Schüler Brechts. Mit Joseph Beuys und dessen Idee von der "Sozialen Plastik" hat Haacke nichts am Hut. Das bleibt ihm zu sehr im Ungefähren. Haacke sucht die Konfrontation, erzwingt konkrete Stellungnahme.
Die Geburtstagsausstellungen in Berlin und Hamburg setzen deutliche Zeichen. In Hamburg lässt Haacke den Außenraum in den Innenraum, den Innenraum nach außen kippen: Durch einen riesigen Spiegel in den Deichtorhallen scheint es so, als führen die PKWs, die aus der Stadt rasen, direkt durch die hohen Scheiben in den Ausstellungsraum. Der formalistischen Verzahnung von Innen und Außen, von Institution und Öffentlichkeit ist in Berlin eine klare Botschaft hinzugefügt. Auf der Glasfassade der Akademie ließ Haacke große Tafeln mit Name, Geburtsland, Todesdatum und Ursache der seit 1990 aus rassistischen Gründen in Deutschland ermordeten Menschen anbringen. Man zählt 46 Tafeln, 46 Tote. Und als ob er Namen und Fakten nicht ganz traute, fügte er an der Fassade noch den erklärenden Satz hinzu, "weil sie nicht deutsch aussahen". Da war der Pädagoge in Hans Haacke aufgerufen. Er sieht diesen Beitrag als konsequente Fortsetzung seiner damals umstrittenen Arbeit Der Bevölkerung im Nordhof des Reichstagsgebäudes, eine symbolische Umwidmung des Hauses, das seit 1916 mit der Gesimsinschrift "Dem deutschen Volke" geweiht, Segregation betreibt.
Der heutige Bundestagspräsident Norbert Lammert, CDU, sprach sich damals offen gegen dieses Kunstwerk aus, das vorsah, den Schriftzug in einen Pflanzentrog einzulassen, der von den MdBs mit Erde ihrer Wahlkreise gefüllt werden sollte. Das war im Jahr 2000. Inzwischen ist der Trog gefüllt und Gras über die Sache gewachsen. Aber Haacke nun auf der Pressekonferenz: "Mir war jetzt wichtig anzuzeigen, dass hier nicht alles in Butter ist!" Das ist sicher nobel und das Erinnern an xenophobe Gewalt notwendig. Doch an wen ist das adressiert? Bedarf es in der heutigen Mediengesellschaft nicht ganz anderer künstlerischer Mittel und Wege seine Botschaft unter die Leute zu bringen? Mehr Lärm wäre am Platz gewesen.
Haacke selbst hat da noch andere Pfeile im Köcher: Provokanter nimmt sich zum Beispiel das schwarze Fahnentuch in Hamburg aus. In NS-Ästhetik, Totenkopf und der Aufschrift "Zum Apell. Deutsche Industrie im Irak" in der Mitte sind rechts und links eines Bildes von Saddam Hussein deutsche Lieferanten aufgelistet. Dieses Werk - 1991 für den Münchner Königsplatz geschaffen - hängt nun zur Belehrung der Besucher drinnen, und es ist zu vermuten, dass es heute weder in Berlin noch in Hamburg lange draußen gehangen hätte.
Wie bei dieser Arbeit, die bewusst NS-Theatralik übernimmt, wird nun im Überblick über Haackes Lebenswerk, seine Affinität zur Inszenierung, zum Bühnenhaften deutlich. Selbst im minimalistischen Frühwerk der sechziger Jahre: In Hamburg empfängt einen das große weiße Seidentuch, das sich durch Propeller zu einer stürmischen See verwandelt. Wie diese Arbeit untersuchen weitere aus den sechziger Jahren Transformationen des Materials, Veränderungen der Aggregatzustände. Gerade hier wird deutlich, dass junge Künstler wie Matthew Barney nicht, wie jüngst in der Berliner Guggenheim suggeriert bei Beuys, sondern bei Haacke in die Schule gegangen sind. Haackes Objekten hängt stets ein szientifisches, glattes Finish an - ihm scheint nichts außer Kontrolle geraten zu wollen.
Ab den Siebziger Jahren - Haacke lebt seit 1965 in New York - politisiert sich seine Arbeit zunehmend. Interessierten in bis dahin die Strukturen und Ströme physikalischer Phänomene, so begibt er sich nun an die Freilegung gesellschaftlicher Zusammenhänge und baut mit Mitteln konzeptualistischer Strategien Bühnen der Systemkritik. Hamburg zeigt gleich sieben Altäre, auf denen das Kapital gegeißelt und der Geknechteten gedacht wird. Wie sehr diese Arbeiten wie Momentaufnahmen ihrer Zeit an diese gebunden sind, zeigen nicht nur die langen Texte zur Erklärung ihres politischen Hintergrunds, sondern auch ihr plakative, heute überholt wirkende Form.
So war auch die Kritik an seinem erst in diesem Spätsommer eingeweihten Denkmal für Rosa Luxemburg auf dem Platz vor der Volksbühne Berlin weniger an die Botschaft, das Was, als an das Wie gerichtet. Die 60 in den Boden eingelassenen, über den Platz verteilten jeweils fünf bis sieben Meter langen Spruchbänder wollen einer ambivalenten Persönlichkeit huldigen, Haacke: "Reiterstandbilder haben wir genug." Aber wer wollte heute noch Reiterstandbilder aufstellen? Sehen die heute nicht anders aus? Und geistreichere Vorschläge Rosa Luxemburg zu ehren, hatte es beim Wettbewerb gegeben. Ohne die Vorarbeit von Hans Haacke wären diese wohl kaum zu Stande gekommen. Aber man wird das melancholische Gefühl nicht los, zwar einem Aufrechten begegnet zu sein, doch einem, dem wie vielen seiner Generation vor allem eines zum Antrieb wurde: Anerkennung. Doch auch mit den Ausstellungen in Hamburg und Berlin dürfte das Thema für Hans Haacke nicht erledigt sein.
Hans Haacke. wirklich. Werke 1959 - 2006. Deichtorhallen, Hamburg und Akademie der Künste, Berlin bis 4. Februar 2007, Katalog 39 EUR
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