Samstags bin ich suizidal

Schweiz Berühmt wurde sie nie: die große Schriftstellerin Adelheid Duvanel
Ausgabe 26/2021

Mit ihrem Namen könnte man zuerst ein Parfümfläschchen oder das Pseudonym einer süffigen Herz-Schmerz-Roman-Autorin verbinden: Adelheid Duvanel. Freilich nichts von beidem trifft zu. Obwohl der, wie man ohne Übertreibung sagen muss, großen Schweizer Autorin zu Lebzeiten eine gewisse Anerkennung vergönnt war, blieb sie selbst der neugierig lesenden Eidgenossenschaft eine weitgehend Unbekannte.

Es ist dem kleinen Zürcher Limmat Verlag zu verdanken, dass sich das nun ändert. Mit der Herausgeberin Elsbeth Dangel-Pelloquin veröffentlicht er unter dem treffenden Titel Fern von hier sämtliche verfügbaren Erzählungen Duvanels in einem selten schönen Buch in biblischem Format, 750 Seiten, Einmerkbändchen, Leineneinband mit einem betörenden Autorinnenfoto vornedrauf. Das gerät nicht nur den am Weltglück Zweifelnden zur im besten Fall tröstlichen Droge.

Die Autorin ist eine Meisterin der Anfangssätze. Wie in Gnadenfrist (1991): „Norma ist schön wie eine Vase, die von einer weißen Hand getragen wird und die sich wünscht, fallengelassen zu werden.“ Schon die ersten Worte öffnen einen Erzählraum, in dessen Spannung ihre Protagonistinnen, Figuren an den prekären Rändern der Gesellschaft, gestellt sind, mitfließen, dagegen sich stemmen, in ihrem beschränkten Handlungsspielraum obsiegen oder unterzugehen drohen: „Auf Christas Tisch liegen Zahlungsbefehle; sie öffnet sie nicht. Sie liegen da, und sie hält den Atem an.“ Von dort mäandert die kurze Erzählung, kaum eine ist länger als zwei bis drei Seiten, in treffenden Lebensbildern: „Christa lebt allein und arbeitet nicht“ und beredten Momentaufnahmen: „Christa sagt: ‚Am Samstag bin ich immer suizidal.‘ Sie spricht das Wort so flott aus als habe sie Öl im Mund“ zu einem meist offenen Ende: „Ein Herr übergibt ihr jeden Monat durch ein Fenster eine mittelgroße Summe Geld; sie steckt es ein, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Der Herr liebt sie, sie ihn nicht“.

Die Leserin ist versucht, Duvanels Außenseiterreigen als verkappte Mikrobiografien der Autorin zu lesen, teilt sie doch mit ihnen das Bürgerinnenleben auf der Kippe. Bereits die Siebzehnjährige kam mit der Psychiatrie in Berührung. Geboren 1936 als Adelheid Feigenwinter, wird sie sie ein Leben lang begleiten. Es endete 1996 in einer kalten Julinacht in einem Wäldchen bei Basel, das sie liebte. Zwei Bauernbuben fanden sie leblos, unterkühlt, Alkohol und Schlaftabletten im Gepäck. Das erinnert an Robert Walsers Tod. Auch ihre Nesttreue. Ihre Basler Heimat hat sie nur einmal verlassen, ein Jahr Inselleben mit ihrem Mann, einem Kunstmaler, der ihr das Malen nach ihrem Kunststudium verbot. Statt zu malen schrieb sie Rezensionen, Reportagen, Erzählungen für die Basler Nachrichten, verschiedene Anthologien und Zeitschriften. 1980 erschien nach drei kleinen Publikationen eine erste Sammlung der Erzählungen bei Luchterhand. Fünf weitere sollten folgen. Auch die posthumen Sammelbände, die Kritik stellte sie neben Ingeborg Bachmann und Friederike Mayröcker, machten Duvanel wenig bekannter. Die Meisterin der kleinen Form konnte nicht in den Parnass deutschsprachiger Literatur gehoben werden, zumal die Autorin zäh sich nicht ausschließlich um ihre Autorschaft kümmerte, sondern auch um die einzige Tochter und deren Kind. Die Tochter verstarb nach Heroinkarriere und AIDS-Erkrankung 2005. Die Enkelin Blanca Adele, 1985 geboren, ist bis heute verschollen.

Nach dem wundervollen Band der Erzählungen wäre es großartig, nun auch ihre Rezensionen, Briefe, Entwürfe zugänglich zu machen. Die Rechte jedoch liegen bei der verschollenen Enkelin. Somit können wir uns vorerst glücklich schätzen, dieses Trostbüchlein zu haben.

Info

Fern von hier. Sämtliche Erzählungen Adelheid Duvanel Elsbeth Dangel-Pelloquin (Hrsg.), Limmat Verlag 2021, 792 S., 39 €

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