Schwester, unbekannte Schwester

Sozialistische Bilderwelten Das Kunsthaus Dresden auf Spurensuche

Auf den Tag genau zehn Jahre vor dem Mauerbau, am 13. August 1951, wurde vor den Ruinen des Haus Vaterland in Sichtweite zum imperialistischen Feindesland der Sockel eines Liebknechtdenkmals eingeweiht. Eine Figur stellte man dort nie auf, doch der Sockel blieb im Grenzland am Potsdamer Platz, bis er 1995, im Lapidarium abgestellt, verschwand. Seit November vergangenen Jahres ist er, von einer Infotafel flankiert, wieder da. Der Liebknecht darauf fehlt immer noch; doch als konzeptuelle Geste verstanden, darf nun phantasiert werden, wie er wohl ausgesehen hätte.

Wie schwer man sich tut mit der sozialistischen Bilderwelt, zeigte nicht nur die unlängst gezeigte Großausstellung Kunst in der DDR (Freitag, 32/03), der nur unter Umgehung des Agitprop eines Max Lingner oder Walter Womacka gelang, die Bildproduktionen heim in den Kanon der Deutschen Kunst zu holen. Zwar wurden deren Wandbilder - wiederum um den Preis der Überformung (durch Installationen von Wolgang Rüppel am Finanzministerium) bevormundend politisch korrekt - kürzlich in Berlin saniert. Aber dem Signal gebenden Abriss von Nikolaj W. Tomskijs Lenindenkmal an der Landsbergerallee Anfang der neunziger Jahre folgte die Vielzahl ikonoklastischer Schnellschüsse, die zwischen Stralsund und Chemnitz in der Regel einfach in der Vernachlässigung, Verwahrlosung und Restbeseitigung bestand.

Das heißt: psychogeographische Flurbereinigung, Land auf Land ab: Die Platte entmietet, in Berlin das ehemalige Café Moskau und der Palast der Republik zum Abräumen bereit, das Thälmanndenkmal gammelt dort wie der Karl-Marx-Schädel in Chemnitz, und hinter mittlerweile windzerfetzten Baunetzen schamvoll verhüllt, zeigt sich Gerhard Bondzins Wandgemälde von 1967 am Kulturpalast in Dresden.

Ausgerechnet in Dresden, wo das kollektive Gedächtnis im Wesentlichen aus der Hinterlassenschaft August des Starken gespeist sein will, und das Zeitgenössische, sagen wir, gerade noch durch die Brücke-Maler getragen wird, zeigt nun das Dresdner Kunst Haus junge Positionen, die sich mit den verdrängten sozialistischen Bilderwelten künstlerisch auseinander setzten.

Das Pionierlied von Helmut Baierl "Bruder, unbekannter Bruder, Bruder du bist nicht allein. Mit der Arbeit meiner Hände steh ich für dich ein. Es geht um die Erde ein rotes Band" hatte den Titel für die Ausstellung in der einzigen Institution der Elbestadt gegeben, die, nachdem Pläne für eine Kunsthalle vorerst endgültig aufs Eis gelegt sind, nun kontinuierlich internationale zeitgenössische Kunst präsentiert. Das Kunst Haus Dresden fragt nun nach der verdrängten Ikonologie des Agitprop. Seit dem April 2003 kuratiert die junge Leiterin Christiane Mennike eine Folge von Ausstellungen, die verstärkt nach dem Verhältnis von Kunst, öffentlichem Raum und Zeitgenossenschaft fragt.

Mennike versammelt Arbeiten, die nicht nur in unterschiedlichsten Medien, vom Video bis zum Wandbild, Figurationen der sozialistischen Bilderwelt aufnehmen und verarbeiten, sondern auch aus einer historisch- biographischen Distanz das uneingelöste Versprechen des Titel gebenden Pionierliedes von Internationalität und Solidarität aufzunehmen versuchen.

Wie diese praktisch aussehen kann, zeigt gleich zu Beginn des Parcours die einzige historische Position: schwarz-weiße TV-Mitschnitte aus dem 1978 von den französischen Nouvelle-Vague-Filmer Jean Luc Godard und Anne Marie Mieville veranstalteten mozambique tv. Godard und Mievills Vorstellungen von einem revolutionären Fernsehen deckten sich jedoch, wie in den Filmausschnitten zu sehen ist, kaum mit denen der Machthaber der Volksrepublik, so dass das Projekt schnell eingestellt wurde.

Auch die Vorstellungen des mexikanischen Künstlers und Aktivisten David Alfaro Siqueiro ließen sich nicht unbedingt mit der Staatsmacht in Deckung bringen. Weniger seine Wandbilder, als seine (stalinistische) Haltung für eine gerechtere Welt brachte ihn in den frühen sechziger Jahren ins Gefängnis. Die Installation von Margit Czenki projiziert das ehemalige Wohn- und Atelierhaus von Siqueiros, das sie in Mexico City besucht hatte, in das Kunsthaus Dresden. Sie hat Filmausschnitte, Postkarten, Fotos mitgebracht und die Wände des Ausstellungsraums nach der "polyangularen Malerei" im Geist des alten Mannes flächendeckend bemalt. Czenki ist bei ihrer Recherche auf Verblüffendes gestoßen, das die gängigen Zuordnungen und Zuweisungen als Zumutungen entlarvt: So zeigt sich, dass die Sala de Arte, von drei jungen Frauen geleitet, sich als lebendiges und engagiertes Zentrum für zeitgenössische Kunst etabliert hat. Grußkarten Dresdner Kinder für den Künstler im Gefängnis aus den sechziger Jahren zeigen die immer nur behauptete Weltverbundenheit in der DDR. Schließlich kann man Siqueiros selbst in Dresden sehen, via Fotomaterial, das den in der DDR Geehrten mit stolzen Stadtvätern vor dem heute verwahrlosten Bildfries Helmut Baierls am Kulturpalast zeigt.

In schönster Beziehung zu Margit Czenkis Recherche steht Florian Zeyfangs Arbeit Found Portrait of America. Auch er wendet sich einem der großen Wandmaler des amerikanischen Agitprop zu, auch er rekonstruiert verschollene Spuren einer Kunst, die sich in den Dienst einer befreiten Welt stellte. Nicht umsonst nennt er seine Arbeit im Untertitel Work in Progress, denn er rekonstruiert in bisher 97 erstellten fotografischen Einzelportraits das nach seiner Zerstörung in Fragmenten über die Welt zerstreute monumentale Wandgemälde Diego Riveras Portrait of America, das dieser 1933 für eine Abendschule im Auftrag John D. Rockefellers jr. schuf.

Ganz unaufgeregt und beiläufig, doch in der Eindrücklichkeit ebenso nachhaltig zeigt sich die Arbeit der U.S.-Amerikanerin Janet Grau. In ihrer Recherche lud sie 30 Personen in das Depot des Kunstfonds des Freistaates Sachsen, das aus den Beständen des "Büro für Bildende Kunst des Rates und Bezirkes Dresden" hervorging und 21.000 Kunstobjekte versammelt. 15 Bilder wurden von Grau ausgewählt und den Probanten zur Auswahl vorgelegt. Eines mussten sie beschreiben. Der Besucher des Kunst Haus Dresden kann nun an sechs Monitoren deren Bildbeschreibungen erleben, wobei die realen Bilder vom Zuschauer abgewandt, im Zuhörer selbst entstehen, denn die Leinwände sind in den Aufnahmen selbst nicht zu sehen. Unwillkürlich treten mit den Bildern persönliche Erinnerungs- und Erfahrungsreflexe an die DDR in die Beschreibung ein, da Grau keinerlei Vorinformation zu Entstehungszeit und -ort gegeben hatte. So steigt bei einer die Erinnerung ans FDJ-Jugendlager auf beim anderen die Konzertbesuche von Juliette Greco, deren Pathos ihm heute so falsch erscheint. Hier entsteht ein ganz eigenes, subjektives Bild des in der BRD aufgegangenen Staates.

Als verlogenes Pathos mag heute ein großer Teil der Auftragskunst im öffentlichen Raum erscheinen, so auch das von dem Bauingenieur Siegbert Fliegel 1967 in Halle an der Saale realisierte Monument Die Flamme der Revolution. Olaf Nicolai hat ihre Koordinaten in den Computer eingescannt und in sechs roten Bleistiftzeichnungen penibel deren konstruktiv- ästhetische Qualität freigelegt. In der Transformation der gewaltigen 15 Meter großen Inszenierung, die sich nach wie vor in den öffentlichen Raum Halles erhebt, gelingt ihm eine subversive Re-Inszenierung in die kleine Form, die die Pastellpinselei eines - instinktsicher in der Ausstellung nicht vertretenen - Neo Rauch enttarnt, der zwar auch mit dem Formenrepertoire des real existierenden Sozialismus spielt, aber doch nur als blöde gründelnde Beckmann-Verschnitt minus pastoser Kantigkeit.

Angesichts dieses klugen Ikonoklasmus eines Olaf Nikolai nehmen sich die quietschbunten Holzschnitte der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi geradezu unbeholfen naiv aus. Doch sie bestechen mit der appellativen Direktheit, mit der sie in der konkreten politischen Situation, dem Sturz des Suhartoregimes, entstanden und für einen selbst bestimmten Landbau, die Frauenrechte und den Schutz vor dem HI-Virus werben. Womöglich ließe sich der Geist Liebknechts ja mit den großen Wayang-Puppen beschwören, die in dem südostasiatischen Landes zur Beschwörung guter und böser Geister mitgetragen werden.

Unbekannte Schwester, unbekannter Bruder im Kunsthaus Dresden bis 29. Februar 2004.

www. kunsthausdresden.de


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