Der Goldene Bühnenbär schien Thomas Ostermeiers Richard III. an der Schaubühne schon sicher. Auf allen Kanälen euphorisierte Vorberichte und Interviews mit dem Hausherrn und Lars Eidinger, seinem Richard, das Stück ist bis Ende März ausverkauft, und noch der Applaus zur Premiere am vergangenen Samstag zeigte sich berauscht. Doch der Kater war programmiert. Was lief da schief?
Vor genau sieben Jahren hatte Claus Peymann am Berliner Ensemble versucht, Ernst Stötzner auf den Thron des Erzbösewichts zu setzen. Der scheiterte bramarbasierend an den ausgestellten Richard-Klischees. Und wohl auch daran, dass Peymann selbst am Burgtheater in den 80ern mit dem großartigen Gert Voss überhaupt erst einen Richard im Nachkriegsdeutschland beziehungsweise -österreich hatte hoffähig machen können – als Phänotyp faschistischer Verführungskunst. Gert Voss verstarb vergangenes Jahr. Der Theater-Richard-Thron war frei. Lars Eidinger schien der ideale Prätendent: Er hat für die Schaubühne über 230 Mal überzeugend den Hamlet gegeben. Dem furiosen Grübler konnte nun Shakespeares Schurke folgen.
Dazu setzte die Schaubühne alle Hebel in Bewegung: Bühnenbildner Jan Pappelbaum baute ein Theater ins Theater, eine stahl- und holzstrotzende Architektur, die mit zwei hohen bretterverschalten Rängen an das shakespearesche Globe-Theatre erinnern und das Publikum im Halbrund ganz nah ans Geschehen bringen sollte. Doch mit lehmiger Proszeniumswand und einer sandgefüllten Orchestra ergab sich schon mit dem Setting zwischen antikem Odeion und spanischer Stierkampfarena ein unentschlossener Hybrid. Ein erster inszenatorischer Missgriff, denn Shakespeares humpelnder Richard intrigiert auf eisglattem Parkett und fasziniert vor allem dadurch, dass er es sich wider seiner Behinderung zu eigen macht.
Das muss Eidinger nun kompensieren. Sein Richard punktet zuerst durch Haltung und ein Kostüm, das alle denkbaren Behinderungen versammelt: tief gebeugt, X-Beine, Zahnspange, enge Lederkappe, Buckel aufgeschnallt, eine Erscheinung zwischen Hannibal Lecter und Quasimodo. Nur für ihn hängen Mikrofon und Minikamera vom Bühnenhimmel.
Albtraumperformance
Die erste Szene zeigt statt Straße Party mit Konfettikanonen, den Hofstaat in gedeckter Abendgarderobe. Richard setzt den Kontrapunkt: „Weil ich nicht zum Liebhaber tauge, um mich in dieser schönen wortgewandten Welt von heute zu amüsieren, hab ich mich entschlossen, ein Scheusal zu sein“, zischt Eidinger programmatisch in der neuen, in weiten Teilen gelungenen Übersetzung von Marius von Mayenburg. Um an seinen Brüdern vorbei auf den Thron zu kommen, ist ihm nun jedes Mittel recht, springt jeder über die Klinge, der seinem Ehrgeiz im Wege steht. Den Auftakt macht der Mord an seinem Bruder Clarence. Dafür wird die Schwägerin beim siechen Bruder König Edward (Thomas Bading) angeschwärzt, der kurz darauf im Gram verstirbt. So bleibt nur noch die Familie der Königinwitwe Elisabeth (Eva Meckbach) zu beseitigen, allen voran deren minderjährige Söhne, die durch von den Schauspielern geführte Puppen vertreten werden.
Warum das alles trotz aller Anstrengung nur theatral konform daherkommt, zeigt spätestens die Schlüsselszene, in der Richard Lady Anne am Sarg ihres durch ihn ermordeten Mannes einen Heiratsantrag macht. Statt, wie es Shakespeare vorsieht, sich vor ihr die Brust zu entblößen, damit sie ihn mit dem Schwert töten könne, zieht sich Eidinger lieber gleich ganz aus. Mit seiner durchtrainierten Nacktheit konterkariert er die eben noch furios behaupteten Gebrechen narzisstisch. Allein, so scheint es, um die Konvention zu erfüllen, dass der Mann auf der Bühne blank zieht, wenn es existenziell werden soll. Die ohnehin überforderte Lady Anne von Jenny König degradiert es zur zeternden Stichwortgeberin.
Thomas Ostermeier hatte in einem Interview vorab zu Protokoll gegeben, Richard sei das Zerrbild seiner ebenso machtbesessenen wie mordlüsternen Umgebung. Die Einsicht ist sicher richtig. Doch um das zu zeigen, hätte er in jedem seiner Darsteller einen Richard wecken müssen. Die Trommelsoli des Schlagzeugers Thomas Witte auf der rechten Bühnenseite mochten keinen gemeinsamen Groove entfesseln. Das Ensemble suchte stattdessen, wie von der Regie vergessen, angestrengt die Adressaten im zu nah gerückten Publikum, anstatt sich auf die Figuren zu konzentrieren. Einzig die verhärmte Königinwitwe Margaret (Robert Beyer) mit ihren beeindruckend ruhigen Suaden hatte ein Format, das über den Abend hinaus in Erinnerung bleibt.
Das war großes Theater. Doch sonst fehlte es Eidingers Richard-Solo an gestandenen Kontrahenten. Konsequent, doch symptomatisch für die Krux des Abends: Eidinger-Richard kämpfte in der finalen Schlacht statt gegen die Heerscharen des Usurpators Richmond in einer grandiosen Albtraumperformance nur noch gegen sich selbst. Dass er zum Schlussbild noch wie Rembrandts geschlachteter Ochse am Bein unter den Bühnenhimmel gezogen wurde, wirkte danach dann nur noch aufgesetzt theatralisch.
Stück
Richard III. Regie: Thomas Ostermeier Schaubühne, Berlin
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