Und ewig ruft's aus Ingolstadt

Theater Das Schauspielhaus Zürich bringt zum 200-Jahr-Jubliäum der Erstveröffentlichung Mary Shelleys berühmter Gothic Novel "Frankenstein" eine Neubearbeitung auf die Bühne

Epoche, Zäsur, unendliche Ruhe, vor dem was kommen mag, die Welt hält den Atem an: Nachdem am 5. April 1815 gut zwei Monate vor der Schlacht von Waterloo der Vulkan Tambora auf der indonesischen Insel Sumbawa ausbrach, verdunkelte seine Lavaasche auch die Nordhalbkugel dergestalt, dass das darauffolgende Jahr als das „Jahr ohne Sommer“ in die Geschichtsbücher einging. Während die Ernten ausblieben, die Menschen darbten, das Vieh auf den Weiden verhungerte und die europäische Ordnung auf Anfang gedreht wurde, vertrieb sich eine kleine libertinäre Schaar junger Engländer den Sommer in einer angemieteten Villa, der Villa Diodati, am Ost-Ufer des Genfer Sees mit Drogen und Geschichtenerzählen.

Das ist zum einen die Geburtsstunde des dritten Gesangs des Versepos Childe Harold’s Pilgrimage von George Gordon, Lord, Byron, der die Villa im irrigen Glauben angemietet hatte, der Autor des Paradies Lost, John Milton, habe hier logiert. Eine Tafel an der Hausfassade erinnert an den Aufenthalt und die Dichtung. Daneben und hier nicht memoriert entstanden in den verregnet-kalten Sommertagen des Jahres 1816 vor allem die erste moderne Vampirerzählung The Vampyre von John William Polidori, Byrons Leibarzt, und eine Monster-Geschichte von Mary Godwin, der Reise- und Lebensgefährtin des Dichterphilosophen Percy Bysshe Shelley. Sie brachte sie zwei Jahre später 1818 als verheiratete Shelley unter dem Titel Frankenstein or The Modern Prometheus heraus.

Erwartung des Unerhörten

Die Fallhöhe für eine Jubiläumsveranstaltung ist hoch. Und tatsächlich gibt es sie noch, diese Erwartung, das freudige Fiebern, die Unruhe, ein Gang ins Theater könnte noch eine Überraschung bieten, ein Erstaunen, eine Erfahrung, die über das Epigonale hinausgeht, eine Geschichte erzählt, die fesselt, weil sie so und nicht anders erzählt werden kann und in ihrer Erzählung und ihren Bildern nicht ständig Anleihen an die neunen Medien und die bildende Kunst nehmen muss; – wahrscheinlich liefert das heute eher das Tanz- und Performancetheater, Künstlerinnen und Künstler, die sich auf wortlose Bewegung, den Leib einlassen.

Die Erwartung des Unerhörten, Außergewöhnlichen war auch immer mit dem Regisseur Stefan Pucher verbunden. Er kam dem zwar selten nach, aber die Fama des Innovativen, des Neuerers wurde er nie los. Ihm ging wider jeder Niederlage der Ruf voraus, er vereine das alte Theater mit dem Neuen, das Schauspiel mit dem digitalen Bewegtbild, enttäuschte aber, wo die Videoprojektionen Chris Kondeks bloß hippe Zeitgeistornamente lieferten.

So klaffte nun auch bei der Premiere „Frankenstein. Von Dietmar Dath, inspiriert von Mary Shelley“ am vergangenen Donnerstag eine gewaltige Lücke zwischen Erwartung, Anspruch und ästhetischer Wirklichkeit. Während sich Kondeks Videoprojektionen epigonal zwischen Ed Atkins – die Untoten in der Nährflüssigkeit – und Katharina Sieverding – die monumentalen En-Face-Projektionen der Protagonisten – bewegten, sprengten die ambitionierten vier beweglichen Dreiecksegmente der Bühnenbildnerin Barbara Ehnes die ohnehin zu kleine Bühne im Zürcher Pfauen.

Der Autor Dath und sein Regisseur versuchen in diesem Einheitsset Shelleys Vorlage in die Gegenwart zu wuchten, wobei die Tonlage zwischen heiligem Ernst und heiterer Ironie angelegt bleibt, ein Spiel, das besonders gelungen bei Inga Busch als Professor Anna Waldmann ausgereizt wird, der forschen Antagonistin zum zaudernden Menschenschöpfer Victor Frankenstein, den Edmund Telgenkämper als Figur zwischen Hamlet und Marylin Manson gibt. Wer den Abend genießen möchte, der achte auf die Darsteller – auf Julia Kreusch als beflissener Dr. Walton, auf Lena Schwarz, als Elisabeth Lavenza, die untote Braut Frankensteins, auf Fritz Fennes Totoschka, das Faktotum im Famulusmodus. Ja, und schließlich auf Robert Hunger-Bühler als „Geschöpf“, wohl allein schon darin groß, als er darauf verzichtet, in den ersten Minuten mit entblößtem Oberkörper aufzutreten und sonst zwischen Kaspar Hauser und Büchners Woyzeck agiert.

Und der Inhalt? Die ethischen Fragen, die Klonaffen Zhong Zhong, Hua Hua, und die chinesischen Designerbabys? Ja, irgendwie sind sie, auch gemeint, aber eigentlich auch nicht wirklich mit dabei. Mit dem Dath-Viktor-Frankenstein gesagt: „Interessiert mich nicht. Du kannst zehn geschwollene Monologe über Gut und Böse halten, ich falle nicht drauf rein. Diese Sprache, dieses Papierdeutsch!“ Sonst noch Fragen? Wir warten auf den nächsten Vulkanausbruch.

Info

Frankenstein. Von Dietmar Dath inspiriert von Mary Shelley Schauspielhaus Zürich Regie: Stefan Pucher

Weitere Aufführungen u.a.:

Mo, 14. Januar/Mi, 23. Januar/Sa, 26. Januar/Di, 29. Januar/Mi, 30. Januar/Do, 07. Februar/Fr, 08. Februar/Mo, 11. Februar/Fr, 15. Februar

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