Von denen die überleben in Zürich

Bühne Die Halle 2 ist in der beeindruckend sanierten Industrieanlage des Schiffbaus die kleine Spielstätte des Schauspielhauses Zürich. Für den Abend Von ...

Die Halle 2 ist in der beeindruckend sanierten Industrieanlage des Schiffbaus die kleine Spielstätte des Schauspielhauses Zürich. Für den Abend Von denen die überleben hat man die Bestuhlung herausgeräumt, und statt der Bühne findet das neugierig umher irrende Publikum vier - sagen wir - Situationen vor: Ein riesiges Stoff-Ei, daneben eine begehbare Holzhütte, unter der Decke einen ufoähnlichen Erdhügel aus Fieberglas und schließlich eine kleine Märchenlandschaft mit Baum, Spinnennetz und Heuhaufen.

Man geht herum, guckt hier, guckt dort oder sieht in der Hütte drei verkleideten Schauspielern zu, die Geschichten von matriarchalisch organisierten Mosuo-Frauen im fernen China erzählen. Nach einigen Minuten dieses selbst gesteuerten Hin und Her wird der Raum jäh vom musealen White Cube zur Black Box des Theaters abgedunkelt, die kollektive Rezeption per Spotlight aufs Ei konzentriert. Das leuchtet magisch und die Mundart-Disseuse Sina entsteigt ihm finster strahlend, um sich in Gothic-Kluft singend ihre Bahn durch die Menge zu schaffen. "Wir könnten alle überleben, falls wir das wirklich wollen, falls", lautet ihre frohe Botschaft. Die Theaterkunstgemeinde sammelt sich nach dieser Einstimmung vor der Holzhütte, wo das erste von drei kunst-theatralen Arrangements beginnt, die sich - wie der Titel des Abends bereits ankündigt - im weitesten Sinn um postkatastrophale Ereignisse drehen werden.

In der produktiven Begegnung von Theater und bildender Kunst wird ein alter Traum gehegt. Wo er nicht nur geträumt, sondern umgesetzt wird, wie hier in Zürich, scheitert man zumeist an den unterschiedlichen Ansätzen, Produktionsbedingungen und Funktionsweisen der Form. Dabei versprachen die Voraussetzungen viel, kamen doch hochkarätige Künstler, Autorinnen und Theaterleute zusammen, um an einer gemeinsamen Sache zu arbeiten. Die Autorin und Theaterfrau Sibylle Berg und der junge Kurator Raphael Gygax hatten drei Paarungen zum Thema Endzeit gefunden. Die in Berlin lebende holländische Installations- und Konzeptkünstlerin Mathilde ter Heijne wurde mit dem Journalisten Erwin Koch zusammen gebracht, die isländische Bildhauerin und Performancekünstlerin Gabriela Fridriksdottir nahm einen Märchentext von Jeremias Gotthelf auf, und Sybille Berg entwarf für die totemistischen Tierfiguren des kanadischen Konzeptkünstlers Jon Pylypchuk eine dreiteilige Beckettiade.

Doch was man sich da wohlmeinend in die Konzeptbücher schrieb, verlor sich auf halber Strecke. Zwar hatten sich Berg und Gygax mit Niklaus Helbling einen veritablen Regisseur ins Boot geholt, aber der ließ - ebenso wie den Ideengebern das eigentliche Gefühl fürs Theater fehlte - die Sensibilität für die bildende Kunst vermissen.

Am Ende waren die Installationen von ter Heijne und Fridriksdottir kaum mehr als schicke Raumteiler und die Puppen von Pylypchuk Puppen. Der ambitionierten Veranstaltung mangelte es nicht nur an einer dramaturgisch-kritischen Hand, sondern vor allem an der Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen. Statt gemeinsam unsicheres Terrain zu begehen, um etwas Neues zu schaffen, blieb die Flucht ins Handwerkliche, illustratives Nebeneinander, Botschaftswille ohne Botschaft.

Besonders schmerzlich durfte man das vor Mathilde ter Heijnes Hütte erleben. Nachdem vor ihre Holzwand eine Ikeaküchenfototapete gehängt worden war, entrollten drei Darsteller ein helvetisches Ehedrama beim Quittenkochen. Ter Heijne hatte sich 2006 nach Südchina aufgemacht, um dort nach matriarchaler Polygamie zu forschen. Die Theaterschreinerei hat ihr zwar das Originalhäuschen aus dieser Gegend nachgezimmert, die Verbindung zum Dramentext ihres Kollegen blieb jedoch in der Willkürlichen hängen.

Von denen die überleben wollte aus einer Endzeit ein scharfes Bild der Jetztzeit zeichnen. Das kann aber nur gelingen, wenn man es nicht allen recht machen will. "Sie werden ihre Kinder kriegen, falls sie noch welche wollen, falls", singt Sina zum Schluss melancholisch. Und meint damit auch irgendwie die Künstler und Theaterleute, die sich hier vergeblich um eine gelungene Paarung bemüht haben.

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