Dass die Kunst in Wirklichkeit nichts zu sagen habe und zur Wirklichkeit nichts beitrage, ist ein Verdikt mit dem sie sich, seit über sie nachgedacht wird, konfrontiert sieht: Die Malerei, so Platon, stelle wie die Schrift "ihre Ausgeburten hin als lebend, wenn man sie aber etwas fragt, so schweigen sie gar ehrwürdig still." Dass über Kunst, zumal kunsthistorisch abgesicherte und museal aufbereitete, viel geredet wird, beweist sicher nicht das Gegenteil; Platon ließ die ägyptische Kunst - aus der Distanz, gleichsam historisch betrachtet - zu, während er mit den Zeitgenossen hart ins Gericht ging.
So arg viel hat sich seit Platon nicht getan. In Berlin wird die "MoMA"-Show bestürmt (Freitag 10/04), während einem in den Räumen der dritten berlin biennale für zeitgenössische Kunst mit dem Schwerpunktthema "Komplex Berlin" sehr viel Ruhe gegönnt wird. Fast möchte man aufatmen, beschliche einen nicht das Gefühl, da wäre noch etwas zu sagen. Nachdem das MoMA schon im Vorfeld abgefeiert worden war, war Kritik zur Profilierung nötig: Selten wurde eine Ausstellung für zeitgenössische Kunst so gescholten und die dafür verantwortliche Leitung so mit Häme bedacht wie bei dieser Biennale. Von missglückt bis gescheitert reichen die Epitheta für eine Veranstaltung, die mehr verdient gehabt hätte als nur das. Denn der Betrachter findet auch Arbeiten, die berühren oder gar überwältigen.
Was diese Werke sagen, kann als Idiolekt bezeichnet werden, ein Stottern und Stammeln, eine Glossolalie, die es erst zu übersetzen gilt. Dazu waren wenige bereit. Und Kuratorin Ute Meta Bauer samt Team taten ihr Übriges dazu, indem sie der Ausstellung ein theoretisches Korsett überstreiften, das sich nicht einlöste: Bevor neuere Positionen untereinander in Dialog traten, plapperte sattsam Bekanntes dazwischen.
Was als erste berlin biennale im September 1998 mit Klaus Biesenbach, Hans Ulrich Obrist und Nacy Spector begann, hat sich mittlerweile zu einer Ausstellungsreihe im Drei-Jahres-Rhythmus ausgeweitet. Hatte die erste berlin biennale sich als eine fröhlich in die Zukunft der IT-Euphorie prospektierte Schau präsentiert, widmete sich Saskia Bos 2001 mehr dem Crossover gegenwartsbezogener ästhetischer Felder, während die jetzige die Ursprünge und Potenziale einer in Berlin beheimateten Kunstschau seit den achtziger Jahren auslotet.
Hierin liegt eine ihrer Stärken: Diese Biennale zeigt, wie sehr Konzepte und Positionen der Vorwendejahre Katalysatoren für eine bis heute virulente Szene sind. Bei der ganzen Selbstvergessenheit der Stadt verstört so nicht nur die Wiederbegegnung mit den Filmstills einer Ulrike Oettinger oder die Luftaufnahmen eines David Lamelas vom zernarbten Potsdamer Platz. Sie entwerfen auch ein kritisches Gegenbild zum Hochglanz-Stadtmarketing, ebenso wie die Fotografien des Japaners Ryuji Miyamotos von der akkuraten Findungsgabe großstädtischer Behelfsunterkünfte aus Pappkarton und Wellblech berichten.
Oder nehmen wir die medialen Collagen eines Stephen Willats: Sie erzählen seit den 1970ern viel von den gescheiterten Hoffnungen eines sozialen Wohnungsbaus von Neukölln bis Eisenhüttenstadt, er weiß der städtebaulich-sozialen Verzweiflung noch ein britisches Lachen abzugewinnen.
Diese Lakonie vermisst man jedoch bei den in der Ausstellung gezeigten jungen Künstlern - fleißig und bieder, basteln sie vor sich hin. Man archiviert, sammelt, pinselt auf Stadtschlossstoffplanen und collagiert DDR-Typisches zu Szene-Architekturen, als wolle man den längst verlorenen Mitte-Charme ins nächste Jahrtausend retten.
Dabei tut es der Biennale gut, die bislang bespielten Räume in Berlin-Mitte verlassen zu haben: Statt das Postfuhramt in der zur Touristenmeile verkommenen Oranienburger Straße noch einmal aufleben zu lassen, zeigt man sich nun neben dem Stammhaus, den Kunst-Werken in Mitte, auch im Martin-Gropius-Bau. Doch in dessen edlen Hallen gelingt es mehr als in den muffig engen Kabinetten in der Auguststraße, wo das Gezeigte nur ein als ferner Reflex auf die Stadt und andere, hier nicht gezeigte Kunst erscheint: Eine Videoarbeit, die nächtliches Hubschraubergeknatter vorführt, ruft eine Arbeit Chantal Ackermans zur Documenta X auf, ohne annähernd deren politische Prägnanz zu erreichen. Ebenso wirken die Versatzstücke aus Bühnenbildern Bert Neumanns ohne ihr Theater nicht.
Wie die in Parfüm-Flakons geschwätzig präsentierten Berliner Kiezgerüche stehen sie für einen der fünf so genannten "Hubs", die einen Diskurs behaupten, doch mit den präsentierten Arbeiten selten einlösen. Der "Hub", ein Drehkreuz und eine Schaltstelle in der Informationstechnologie, sollte mit den Themen "Migration", "Moden und Szenen" eine Verdichtung und Vertiefung der Ausstellungsschwerpunkte herstellen. Heraus kam meist das Gegenteil: Zusammengebastelte Wäschestücke stehen kaum für die kreativen Potentiale der Stadt.
Neben der Filmreihe Mark Nashs gelang es einzig dem von Jesko Fezer und Axel John Wieder verantworteten Hub "Urbane Konditionen", mit dem Gezeigten einen ästhetischen Dialog zu entfachen. So übersetzten die beiden Kuratoren die Berliner Mietstatistiken in ein Bergmassiv, die Galerienszene Mittes in Fadenmodelle und erstellten jenseits gängelnder Didaktik augenfällige Schaustücke zur gegenwärtigen Berliner Stadtlandschaft.
Erst hier gelingen überzeugende Transformationen und öffnen sich Ausblicke wie zu den klaustrophoben Albtraum-Räumen des Turner-Preisträgers Willie Doherthy oder zu Thomas Struths Fotografien aus dem Gera, Erfurt und Berlin der frühen neunziger Jahre. Erst hier wird diese Biennale beredt.
3. berlin biennale für zeitgenössische kunst in den KunstWerken, im Martin-Gropius-Bau Berlin und Kino Arsenal bis zum 18. April 2004, Katalog EUR 12 und Publikation komplex berlin EUR 30.
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