Wicht

Biberkopfgeburten Diesmal: im Theater Basel

Theater Basel, großes Haus, am vergangenen Samstag war Premiere von Berlin Alexanderplatz nach dem Roman von Alfred Döblin. Wie es hieß. Hier in der Fassung von Martina Grohmann und Peter Kastenmüller, der gleich auch für die Regie zuständig war.

Land auf Land ab schickt man den Franz Biberkopf auf die Bretter. Das Berliner Gorki-Theater machte in der Saison 2000/01 mit Ben Becker den Anfang. Der Volksbühnenchef Frank Castorf zog zuerst in Zürich nach. Zuletzt brachte das Theater Freiburg den einarmigen Proleten auf die Bühne. Warum nur?

Vier Rolltreppen reichen auf die Bühnenmitte. Rechts ein Prospekt, zu dem die Berliner Künstlerin Amelie von Wulffen eine klaustrophobe Vorlage beigesteuert hat. Die Montage aus Schwarzweißfotografien und rot-weißer Plakafarbe zeigt einen aufgedunsenen Mädchenkopf und piefige Interieurs, die nach Missbrauch im Mittelstandsmilieu riechen. Davor werden vier Schaufensterpuppen in H drapiert. Dahinter eine Raucherecke mit Kühlschrank, Tischchen und einer Videokamera, die später für Close-Up-Geständnisse der Protagonisten genutzt wird. Ihre Gesichter erscheinen dann auf den drei Screens über dem Bühnenportal. Darunter an der Rampe schicke Vitradesign-Tische, weiß, mit Bestuhlung. Auch hier stehen Videokameras, die die fehlende Präsenz auf der Bühne durch Projektion zu kompensieren suchen. Links dann noch die Ecke mit Mischpult und elektronisch verstärkten Zupfinstrumenten für die musikalische Untermalung. Um den Hipnessfaktor auf dieser Seite noch zu erhöhen befindet sich dort auch ein veritables Urinal, das von den männlichen Mitgliedern des Ensembles auch ab und an genutzt wird.

In diesem Bühnenraum gab sich nun zwar der Biberkopfdarsteller redlich Mühe den Biberkopf darzustellen, zwei echte Berlinerinnen Berlinerinnen und weitere Darsteller weitere Figuren. Warum sie das taten und was uns der Regisseur mitteilen wollte, blieb uns jedoch schlecht unterhalten verborgen.

Tatsächlich scheint das inflationäre Erscheinen von Alexanderplatz-Produktionen zunächst damit zusammenzuhängen, dass sich die Regie mit der Montageform der Romanvorlage einen Freibrief für ein dramaturgisches Laissez-faire meint ausstellen zu können. Wo bei Döblin kleinbürgerliche Skandalgeschichten, Sensationen, Volkslieder und Inserate in den Text schneien, glaubt man nun Gitarrenriffs, Videoschnipsel, Gesprächsfetzen, Kabarett und Vaudeville kombinieren zu dürfen. Doch das muss durchgearbeitet werden.

In dem Maße diese Durcharbeitung und damit eine inhaltliche Reflexion fehlen, gerät die Inszenierung wie hier in Basel zu einer reaktionären Veranstaltung. Denn die Welt des arbeitslosen Biberkopf ist der Bürgerwelt homogen. Franz Biberkopfs Weg vom Vergewaltiger, Zuhälter bis zum misogynen Kleinbürger beschreibt nur eine heroische Metamorphose des bürgerlichen Bewusstseins, das sich in Biberkopfs Passion Bestätigung verschafft. Man ist immer besser als der arme Wicht und lacht doch über seine schlechten Witze. Das kann es nicht sein.

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