Der Freitag gewinnt an Relevanz in der Presselandschaft. Nachdem man zeitlich glücklich das Thema Horst Köhler zuvorderst behandeln konnte, setzt der Spiegel in der aktuellen Ausgabe seine Kampagne gegen Merkel fort und greift dabei auf den Titel des vorletzten Wochenthemas des Freitags zurück: Die Trümmerfrau
Geschrieben vom neokonservativen Paul Nolte, der Sympathie für schwarz-grüne Bündnisse hat. Das mag nicht zum Freitag passen, aber zu den Debatten, die der Freitag vielleicht anstoßen möchte.
Carta berichtet nun, dass es im aktuellen Spiegel wie folgt heißt:
Die Trümmerfrau: Angela Merkel steht vor den Scherben ihrer Kanzlerschaft. Ihr Sparpaket stößt auf Widerstand, der Konflikt unter den Koalitionspartnern eskaliert, das Vertrauen ist aufgebraucht. Der Tag der Bundespräsidentenwahl könnte das Ende der Regierung bedeuten.
Kauft euch das Heft, allein das Titelbild ist es schon wert, in das Archiv überführt zu werden.
Nach dem Thema Griechenland und dadurch bedingt der Euro-Rettung, wenden sich die relevanten Aspekte unseres Lebens wieder komplett der Politik zu. Hierzu siehe auch der wöchentliche Themenverlauf dieses Blogs, der als Dokumentation herhalten kann.
Zum einen, weil die Finanzmärkte zwar immer noch unter Stress stehen, aber nichts Bombastisches mehr nachgeschoben werden kann. Die Zinsen im Interbankenmarkt steigen, spanische Banken bekommen ein 90 Mrd. Euro schweres Rettungspaket von ihrer Notenbank um untereinander zu konsolidieren und können sich derweil international nicht mehr refinanzieren. Das ist alles zu klein, nach einem 750 Mrd. Euro schwerem Rettungspaket.
Zum anderen steht die Politik jetzt unter wesentlich größerem Stress, denn sie muss sparen. Nach den ganzen Rettungspaketen haben sich die Probleme von den Banken und von den PIIGS auf die rettenden Nationalstaaten verschoben. Deren Verschuldung ist nun so hoch, dass die geretteten ihnen nur noch selektiv Geld leihen möchten.
Rumänien schaffte es letzte Woche beispielsweise nicht einmal 340 Mio. Euro zu refinanzieren, weil Ungarn zuvor in selbstzerstörerischer Art und Weise über seine wirtschaftliche und finanzielle Lage berichtete. Das überraschte die Märkte nicht nur, sondern kostete auch generell Vertrauen in die Statistiken der europäischen Länder. Zusätzlich wurde dies durch die Nachricht befördert, dass Eurostat Zweifel an der Datenqualität von Bulgarien hat.
Der Zustand europäischer Statistiken erinnert an die US-Banken im Jahre 1857, als für Papiergeld noch eine Goldunterlegung vorhanden sein musste. Dass sich daran niemand hielt, dürfte kaum verwundern. Seinerzeit wurden Kontrolleure in die Banken geschickt, um den Goldvorrat zu kontrollieren. Wenn die Kontrolleure nicht bestochen waren, wurden sie getäuscht. Ein Haufen Nägel, unter etwas Gold und ähnliche Scherze. So wurden aus einem Goldvorrat von 86,48$ mal eben 500.000 Dollar an Papiergeld. Ein Leverage, bei dem selbst Goldman Sachs vor Neid erblasst. Glaube und hoffe ich jedenfalls.
Das alles hat sehr viel mit Politik zu tun, denn es sind genau die Felder, die eigentlich beackert werden müssten, während man sich national über die Geldbeschaffung streitet. Daher war es wichtig, in der Vorwoche den Eingang zur Person Merkel zu skizzieren, der teilweise als politisches Statement missverstanden wurde.
Dass Merkel unter Beschuss steht, ist seit dem Rücktritt von Köhler nichts Neues. Hier brach eine Welle los, die sich seit dem Anbeginn von Schwarz-Gelb aufgebaut hat. Man könnte der FDP die Hauptschuld geben, da sie versprach, was sie definitiv nicht halten konnte. Und das, obwohl es dem Volk selbst damals bereits klar war und niemand an die Versprechen glaubte.
Die Dämme brachen endgültig, als Westerwelle als Außenminister begann aus innenpolitischen Gründen von altrömischer Dekadenz zu fabulieren. Dieser kalkulierte Tabubruch ging als Schuss komplett nach hinten los und kostete auch Merkel einige Verteidigungslinien. Ihr blieb nur die Distanz zur Art der Kommunikation (Deutschland lernte den „Duktus“ kennen), aber nicht zum Inhalt.
Das Sparpaket der schwarz-gelben Koalition zeigt hier den Weg. Im Interview mit FAZ rechnet Merkel vor, dass nahezu alle vom Sparen betroffen sind. Von der Rechtfertigung her auch gemäß dem alten CDU-Dogma: „Wenn sich alle beschweren, muss es eine gute Tat gewesen sein.“
So betrachtet ist es natürlich richtig. Es gibt sogar Millionäre, die nicht damit einverstanden sind, dass es keine Vermögensteuer mehr gibt. Da sieht man, wie breit die Kritik an dem Paket ist. Allerdings wird es in Merkels Welt dadurch nur richtiger.
Merkel ist nicht angeschlagen
Die Presse nominierte Ursula von der Leyen als Bundespräsidentin, weil sie sich auf eine DPA-Meldung verlassen hat. Dass die Koalitionsspitzen sich dann anders entschieden, mag auch dazu beigetragen haben, dass Gauck für die Presse nun der Favorit ist. Doch dessen Chancen auf die Wahl sind herbeigeredet. Es gibt keinen so großen Spielraum innerhalb der Bundesversammlung. Das beweist nicht zuletzt die SPD, die sich darüber beschwerte, dass die CSU nur altgediente Politiker für die Bundesversammlung nominierte und nicht andere Größen aus unserer Gesellschaft.
Hier wird taktisch entschieden und die Personen nach größtmöglicher Sicherheit ausgewählt. Westerwelle hat Merkel derweil abgerungen, dass es zu keiner Steuererhöhung kommen wird. Schäuble erfüllte zwar sofort seine Aufgabe und stellte das wieder infrage, doch gibt es wahrlich wenig Spielraum für Merkel, wenn die Koalition erhalten werden soll. Und das muss sie, denn die SPD strebt immer mehr nach links, verlässt also die „Neue Mitte“ und wird dadurch weniger koalitionsfähig.
Die FDP wird bei der Wahl des Bundespräsidenten mitziehen, auch wenn es angeblich einen Geheimplan für Steuererhöhungen danach gibt. Das Wort Merkels muss zählen, sonst wird die Koalition ohnehin eingestampft.
Da bleibt die herbeigeredete Überraschung schon aus taktischen Gründen aus. Konzentriert man sich auf NRW, wird man unangenehm an Hessen erinnert. Kraftilanti hat es nicht geschafft, eine Koalition aufzubauen. Ebenso wenig Rüttgers. Der hat das jedoch auch nicht nötig, denn er bleibt nun im Amt und jeder werkelt vor sich hin. Das muss nicht verkehrt sein, wie man an Belgien sieht. Die mussten ihre Lehren vor der Finanzkrise ziehen und bekamen dann eine nicht-regierungsfähige Regierung, die ob dieses Status auch nichts versauen konnte. Entsprechend hält es alles sich in Grenzen.
Heute wird in Belgien gewählt.
An NRW zeigt sich derweil höchstens Volkes Wille. Gewählt wird, was nicht zusammengeht. Deutscher Protest, oder: Lasst uns einfach in Ruhe.
Dass Merkel die Koalition halten will, zeigt sich auch daran, dass sie, gemäß ihrer bisherigen Strategie, fleißig adaptiert was die Opposition auf den Tisch wirft und dem Volk “ganz doll“ gefällt. Beim Thema Finanzmarktsteuer und Bankenabgabe kommt ihr dabei noch entgegen, dass sie dadurch europäischen Gegenwind auffangen kann, denn die Franzosen wollen das auch. Innerlands bekundet, europäisch nicht verhindert. Sarkozys Ego wird es ihr danken und die deutsche Volksseele besänftigen.
Merkel sollte der Presse danken, dass der Sturm jetzt über sie hinweg zieht und nicht vor der nächsten (Landtags-)Wahl. Bekommt sie Seehofer und Westerwelle derweil dressiert, heißt es: Wer Blut geleckt hat, folgte der falschen Fährte.
Durch den Spiegel ist die höchste Karte bereits im Spiel und sie wurde viel zu früh gezogen, denn innerparteilich ist Merkel noch gefestigt. Da jedoch muss sie wackeln, bevor es endlich aufhört.
Zuerst erschienen auf www.goowell.de
Kommentare 10
Es spricht wirklich Einiges für diese Gegenposition. Ich bewundere den tollen Schreibstil.
Sehr originell und interessant fand ich die beschriebene Goldhinterlegung bei den amerikanischen Banken in der Mitte des 19 Jahrhunderts. Das habe ich noch nie ghört, obwohl ich meine auch schon Einges gehört zu haben. :)
Die beschriebenen Ausgangsvorraussetzungen gefallen mir nicht immer (z.B. Übergabe der Probleme der Banken auf die Nationalstaaten), ich muss aber zur Kenntnis nehmen , dass sie die Wirklichkeit doch recht genau skizzieren.
da kann ich dir die bücher von John Kenneth Galbraith nahelegen. da findet man zu jeder krise mindestens eine anekdote. diese wurde dem buch "finanzgenies: eine kurze geschichte der spekulation" entnommen.
mfg
mh
Danke für den Tip. :)
mfg
rr
Hallo MH- nur einige Anmerkungen.
"Und das muss sie, denn die SPD strebt immer mehr nach links, verlässt also die „Neue Mitte“ und wird dadurch weniger koalitionsfähig."
Na, das glaube ich nicht. Wenn die in eine Koalition eingebunden wären, würden sie wieder rechts drehen.
"Kraftilanti hat es nicht geschafft, eine Koalition aufzubauen." -
Das ist ungerecht, Kraft agiert geschickter als damals Yps.
Davon abgesehen, ich sehe Merkel auch noch nicht am Ende. Die zieht sich wieder raus. Wenn Gauck gewählt wird, dann wird sie ihn preisen und sich auf seine Seite schlagen. Aber - ich glaube nicht, dass Gauck gewinnt. Das ist alles ein bisschen Geisterbahn im Moment.
"Na, das glaube ich nicht. Wenn die in eine Koalition eingebunden wären, würden sie wieder rechts drehen."
es würde mE wesentlich schwieriger für merkel als man nun annehmen würde. man sollte nicht unterstellen, dass die spd nichts gelernt hat ... und dabei, so rein gefühlt, ist dir überschuss, auf die übertreibung bezogen, doch eher links gerichtet.
"Das ist ungerecht, Kraft agiert geschickter als damals Yps."
so ist die welt, das weißt du doch. ;P mag ja geschickter sein, vom ergebnis her aber das gleiche bisher. das werden wir erst im nachinein erfahren ... kann mir jedenfalls kaum vorstellen, dass die das nun wirklich vollständig durchziehen.
mfg
mh
Gegenposition zur Gegenposition.
Stürme kommen, schwillen an, reissne mit, flauen ab und - sie kommen wieder.
Fast unbemerkt im Schlepptau der Finanzkrise schwenkt Westeuropa (nicht in Deutschland - oder noch nicht) bei Wahlen auf tendentiell rechte Parteien um, die auf irgendeine Form von Separatismus machen. Aktuell in Belgien, wo ein ganzen Land sich zu spalten droht, welchers nicht selbst hoch verschuldet ist, sondern Sitz einiger nicht völlig unwichtiger europäischer Institutionen ist und zu dem demnächst die Ratspräsidentschaft in der EU übernehmen wird. Am 1.7.2010 wenn ich nicht irre und das nach einer Wahl, deren Gewinner an sich auf Teilung des Landes gepolt sind.
Ich kann mir sehr lebhaft vorstellen, wie das die Finanzmärkte mitten im Sommerloch mit Sturm begleiten werden und wie sehr sich dann (wieder einmal) eine Frau Merkel beweisen muss und Schwarz/Gelb an die Kette legen muss, um nicht hinweggefegt werden wird - vom Sturm und seinen Zwang Ansichten zu formulieren...
Das Ganze noch einmal editiert...Sorry!!!!!!!!!!!
Gegenposition zur Gegenposition.
Stürme kommen, schwillen an, reissne mit, flauen ab und - sie kommen wieder.
Fast unbemerkt im Schlepptau der Finanzkrise schwenkt Westeuropa (nicht in Deutschland - oder noch nicht) bei Wahlen auf tendentiell rechte Parteien um, die auf irgendeine Form von Separatismus machen. Aktuell in Belgien, wo ein ganzen Land sich zu spalten droht, welches nicht nur selbst hoch verschuldet, sondern Sitz einiger nicht völlig unwichtiger europäischer Institutionen ist und zu dem demnächst die Ratspräsidentschaft in der EU übernehmen wird. Am 1.7.2010 wenn ich nicht irre und das nach einer Wahl, deren Gewinner an sich auf Teilung des Landes gepolt sind. Der EU droht der Verlust eines seiner wichtigsten Länder - mehr nicht.
Ich kann mir sehr lebhaft vorstellen, wie das die Finanzmärkte mitten im Sommerloch mit Sturm begleiten werden und wie sehr sich dann (wieder einmal) eine Frau Merkel beweisen muss und Schwarz/Gelb an die Kette legen muss, um nicht hinweggefegt werden wird - vom Sturm und seinen Zwang Ansichten zu formulieren...
Ich würde z. Z. keine Prognose wagen, alles ist möglich.
Trotzdem, die Gegenposition von mh hat was!
Was ich nicht so recht einschätzen kann, wie viel Nervenkraft Merkel noch besitzt. Der Machtwille ist sicherlich ungebrochen.
Gehen wir davon aus, das sie noch genügend Nervenstärke besitzt, dann muß sie sich "nur noch" darum kümmern ihren Laden zusammen zu halten, alles andere kann sie aussitzen, bzw. den Rücken runter laufen lassen.
Das mit den "Massendemonstrationen" gegen die Krise und den Sozialabbau lief er dürftig an, und selbst wenn es mal 300 000 werden sollten, muß sie das nicht jucken, es werden nicht viele ihrer Wählerklientel dabei sein.
Die einzige Gefahr kann nur aus ihrer eignen Koalition kommen und da ist die Frage, wie stark sind die Kräfte die Merkel in die Wüste schicken wollen?
>>und selbst wenn es mal 300 000 werden sollten, muß sie das nicht jucken,...
Hat noch nie gejuckt. Das geht nach dem Motto: "Demokratie bedeutet, dass jeder alles sagen darf und niemand hört zu"
Weltenlenker haben doch ganz andere Dinge im Kopf als die kleinlichen Sorgen kleiner Untertanen...
wer hätte gedacht, dass merkel erst 56 ist? und dann auch erst heute noch geworden!
mfg
mh