Vor fünf Jahren wurde mein damaliger Blog von einer tendenziell verwirrten Person heimgesucht, die mich einen ganzen Samstagnachmittag in den Kommentaren beschäftigte. Der Grund war unspektakulär: Ich hatte die These aufgeworfen, dass Blogs nichts weiter als ganz normale Internetseiten sind.
Vom Web 2.0 hatte und habe ich ähnliche Ansichten. Eine Evolution des Internets ändert nichts am generellen Prinzip des Daseins. Schlussendlich ist es immer noch der Mensch, der sich seinen Möglichkeiten entsprechend verhält.
Was damals Blogs waren, sind heute Twitter und Konsorten: neue Möglichkeiten. Nicht aber Prozesse, die unsere Denk- und Handlungsweise fundamental ändern. Was nicht heißt, dass sich unser Leben dadurch nicht ändert.
Digital Natives, in früheren Generationen Punker genannt, ist ein simpler Abgrenzungsbegriff, über den man sich selbst versichert anders zu sein. Der dazu dient sich einzureden nicht nur Vorreiter, sondern auch Elite zu sein. Den anderen weit voraus, die nun auch langsam in das Internet reinkommen. Pardon, die nun beginnen das Social Web zu entdecken, nachdem sie bei den Blogs noch das Internet entdecken mussten.
Die tief greifenden Veränderungen gestalten sich wie folgt:
Früher gab ein Leitmedium ein Thema vor, die Stammtische empörten sich per Leserbrief, andere Zeitungen zogen nach und fertig.
Heute empört sich irgendwer, eine Leitfigur greift das Thema auf und es folgt ein Schwall der Empörung, der durch die Netzwerke dieser Welt schwappt. Es soll sogar schon Artikel auf Spiegel online gegeben haben, weil es 80 Blogbeiträge und 500 Tweets zu einem Thema gab.
Schneller, sicher aber nicht anders.
Verarmte Hyper
All diese „Erfolge“ und Jahre der Weiterentwicklung haben an einer Sache jedoch nichts geändert: Bis heute hat keiner eine adäquate Antwort auf die Finanzierungsfragen unserer neuen Welt. Im Gegenteil: Wer Glück hat, kann davon leben. Ohne große Sprünge. Der Rest tut nur so. Oder aber, rettet sich in die Welt des Consultings und der Vorträge.
Was bei Peer Steinbrück anrüchig ist, ist bei Bloggern oftmals die einzige Möglichkeit über die Runden zu kommen. Quersubventionierung, wobei das eine sich durch das andere befördern soll.
Fehlende Transparenz kann man ihnen dabei kaum vorwerfen, denn es wird meist öffentlich dargestellt. Mit positiver Rückkoppelung, denn so ergibt sich zugleich eine Bemessungsskala für die eigene Werthaltigkeit bei genau solchen Vorträgen und Beratungen. Wie auch in der analogen Szenerie bildet sich dadurch ein weitgehend abgeschotteter Kreis von Personen. Es sind die immer gleichen Gesichter, mit den immer gleichen Sprüchen und selten mal neuen Worten.
Die selbst generierte Bemessungsskala führt in der Folge dazu, dass gerade jene, die da an der Spitze stehen, dem wirtschaftlichen Zwang unterliegen, omnipräsent sein zu müssen. Keine Petition, die sie nicht unterschreiben. Kein Ausschuss, der nicht von ihnen besetzt wird. Und dazwischen immer wieder ein Akt der Ablasszahlung, in Form des Dagegen-Seins.
Es ist die gelebte Innovationslosigkeit mit markigen Sprüchen, Unmengen an Manifesten und Petitionen sowie der immer gleichen Frage ohne gegebene Antwort. Deutsches Expertentum.
Das Gleiche im System
Immer dann, wenn ein kleines System sich auf ein großes System einlässt, verhindert es dadurch seine generelle Unabhängigkeit. Es werden wirtschaftliche Abhängigkeiten geschaffen, wodurch auch eine Meinungsanpassung stattfinden muss. Dies äußert sich im Regelfall in suboptimalen Kompromissen, wenn man es von der Ausgangsposition her betrachtet.
Am aktuellen Beispiel der Initiative „Pro Netzneutralität“ lässt es sich einfach nachvollziehen. Nicht nur, dass die üblichen Verdächtigen der Netzszenerie ihr Stelldichein bei einer politisch gehaltenen Formulierungsschlacht geben, im späteren Diskussionsverlauf offenbart sich dann auch noch, dass nicht einmal das Gesamtwerk bekannt ist (siehe Kommentare #1 und #2), zudem die eigentlich wichtige Definition von Netzneutralität gehört.
Vom Unterschreiben hält das nicht ab.
Menschlichem Handeln kann man selten vorwerfen, dass es seinen wirtschaftlichen Zwängen nach agiert. Das ist so weit systemimmanent. Wenn es hierzu einen Vorwurf gibt, dann lautet er wohl eher, dass Abhängigkeiten als Unabhängigkeiten gelten und dass sie geglaubt werden.
Zuerst erschienen auf www.goowell.de
Kommentare 11
»Der Begriff Netzneutralität bezeichnet die neutrale Übermittlung von Daten im Internet, das bedeutet eine gleichberechtigte Übertragung aller Datenpakete unabhängig davon, woher diese stammen, welchen Inhalt sie haben oder welche Anwendungen die Pakete generiert haben.«
Klingt toll!
Sogesehen muß man die Deutsche Post in Zukunft auch dazu anhalten, keine Expresszustellungen mehr anzubieten, denn es kann ja wohl nicht sein, daß jemand, der den Schotter hat, mehr als das Doppelte für einen blöden Brief zu zahlen, noch am gleichen Tag beim Empfänger ankommt, während ich Normalportobezahler drei Tage Postlaufzeit benötige.
Folge: Demnächst wird eine gesetzliche Mindestzustelldauer von drei Tagen eingeführt. Alles andere wäre schließlich Diskriminierung.
Lieber mh,
Warum schreiben Sie einerseits von „weitgehend abgeschottetem Kreis von Personen“, den „immer gleichen Gesichtern“ etc. „auch in der analogen Szene“, beziehen sich dann aber auf den Fall, dass „ein kleines System sich auf ein großes einlässt“? Ich denke, dass Netz doch gerade die Verbindung zwischen den ansonsten abgeschotteten Systemen darstellen könnte, und zwar völlig unabhängig vom System, dem sie angehören oder von ihrer jeweiligen Größe.
Und was meinen Sie eben mit dem Adjektiv groß? Leistungsfähig? Meinungsstark? Finanzstark? Man sollte sich schon darüber im Klaren sein, dass die möglichen Wege zwischen den diversen Kreisen, ich sehe sie eher als Sphären, nicht nur von der Finanz abhängen, aber auch nicht ausschließlich vom Verhalten der „üblichen Verdächtigen“. Es lebt auch schlicht und einfach davon, wie weit das ganz persönliche bescheidene Engagement in der Freizeit geht. In summa die Begriffe wieder auf die Füße zu stellen, wie Sie es mit der Barrierefreiheit gemacht haben, ist hingegen völlig richtig. Farbenblinde User erkennen z.B. Verlinkungen im Text nicht, wenn sie nur farblich abgehoben sind statt unterstrichen.
Die dritte Frage, die sich mir stets bei derart Grundsätzlichem stellt, ist: Wie adaptiert sich die Hard-und Software ans Netz? Oder anders herum: Zwingt nicht gerade der Ausbau von Features und Apps, die es wohl ziemlich bald auch entsprechend für den PC geben wird, dazu, sich die teureren Übertragungswege einzukaufen, erfindet mithin Apple derzeit nicht die Ressourcenfresserei mit, die demnächst mehr kosten wird? Ich bin schon der Meinung, dass dieser circulus vitiosus unterbrochen werden sollte.
Da Sie zwischen alt und neu referieren, erlauben Sie mir zum Abschluß eine Ergänzung. Ich las als Bub das „Log der Nina Boba“ (auf Deutsch nicht verfügbar), eine Atlantiküberquerung auf einer Nussschale, als das noch ein richtiges Abenteuer war: Ein Konvolut aus technischen Begriffen, Kursberechnungen, Meteorologie u.a. und wenigen Bissen Seemannsgarn. Ich hab‘s verschlungen, das passiert mir bei einigen wenigen B“logs“ auch. Das gilt nicht für den Blog, der jetzt der Nina Boba gewidmet ist.
Ihr e2m
@ed2: es ging mir um die wechselseitige beziehung zwischen den sich als unabgängig stilisierenden bloggern und ihrer gleichzeitigen unterwerfung vor dem system .. der in sich geschlossene kreis ist dabei ein phänomen, was früher mal unter dem begriff a-blogger lief und mittlerweile eigentlich nur noch davon leben, dass sie sich gegenseitig befördernd, was aber diametral zu dem steht, was nach außen hin verkauft wird.
während wir diesen vorwurf zur genüge kennen, wollte ich anhand der neuerlichen ereignisse nur einen neuen aspekt reinbringen .. nämlich den, dass sie eigentlich keine andere wahl haben, weswegen das nicht weiter beachtenswert ist. hingegen das marketing als solches durchaus der kritik bedarf.
das kleine system, die blogger. das große system, die medien mit ihren consultingverträgen und vortragsreihen. es hat sich ja tatsächlich noch niemand direkt gefragt, warum sich die deutsche blogosphäre nie richtig entfaltet hat ... da galt der wink mit dem zaunpfahl gen systemimmanz ihres eigentlichen aufbaus.
und dahinter steht ganz klar die frage, ob die zur zeit auserwählten meinungsführer ob ihrer kompromisse und zwänge überhaupt noch als solche taugen oder überhaupt jemals taugten.
zur zeit lichten sich die bollwerke der meinungseinheit etwas .. ein guter zeitpunkt sich diese fragen zu stellen.
die antwort könnte unangenehmerweise lauten, dass hier ein aufstand simuliert wird, der real gar nicht stattfindet und sich nur an wenigen punkten öffentlichkeitswirksam und dann einheitlich nach außen inszeniert. derweil aber als solcher auch deswegen wahrgenommen wird, weil viele menschen der irrsinnigen annahme verfallen sind, dass neue technik neue menschen formt.
das thema apple ist doch schon gar keines mehr. es gibt genug konkurrenz und ja, am anfang neuer hardwareentwicklungen bedürfen die geräte immer mehr resourcen. das dreht sich dann um, wenn statt technischem fortschritt mehr deren optimierung zählt. ich weiß bloß nicht, worauf du da nun wirklich hinauswolltest.
mfg
mh
seit die post dazu übergegangen ist briefe immer langsamer zuzustellen, um geld zu sparen, hat sich bei mir die nutzung des expressbriefes tatsächlich vervielfacht. ich habe eigentlich keine lust darauf, dass sich solche entwicklungen auch im internet durchsetzen. man beachte: brief: 0,55 expressbrief: 8,95 oder so.
mfg
mh
Danke mh für die ausführliche Antwort, einiges ist mir nun klarer. Den letzten Absatz vergessen wir nun einfach und auf ein ander Mal. Samstag Abend und der ist hier richtig schön heut. Bis demnächst, e2m
Lieber mh,
daß Sie darauf »keine Lust« haben, kann ich nicht nur nachvollziehen, sondern sogar verstehen, denn mir geht's nicht anders. Ich versteige mich aber nicht zu der Steilthese, daß der diskriminierungsfreie Netzzugang de facto auf die Stufe eines Grundrechts gehoben werden soll und bei Nichtbefolgung Demokratie, Pluralismus und weiß der Teufel was nicht alles bedroht wären.
Wer dieser Ansicht allerdings tatsächlich folgt, für den wäre die konsequente Forderung nicht die gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität bei weiterhin bestehendem Privatbetrieb, sondern die Gründung einer Weltnetz-Behörde, die das Netz a) ausbaut, b) finanziert (denn wenn das Netz »uns allen« gehören soll, dann sollen auch »wir alle« dafür zahlen, etwa per Internet-Steuer) und c) den jederzeitigen diskriminierungsfreien Zugang garantiert.
In diesem Fall wäre es übrigens zu erwarten, daß, wie bei allen sog. »öffentlichen Gütern« (zu dem das Netz dann zu zählen wäre), die größten Nutznießer die sind, die es am meisten verwenden und die Kosten für die Nutzung via allgemeiner Bereitstellung und Finanzierung am besten externalisieren können — weshalb ja auch Google oder Apple seit jeher die Neutralität verfechten, sich in diesem Fall aber kein Mensch über böse 'Lobbyisten' aufregt.
google wird, vor allem in deutschland, nicht sonderlich unkritisch gesehen. den punkt würde ich dir nicht gönnen wollen. :P
alles andere ist mE eine frage der lebensweise und dessen, was man denkt dass im netz passieren wird. gerade aus der ecke der netzneutralitätsbefürworter kommen auch eine menge leute die sich in sachen liquid democracy engagieren und, was noch viel beeinflussender ist, die ihr leben zu großen teil mit und im internet verbringen.
da denkt man dann automatisch ganz anders, als wenn man das internet einfach nur so nutzt, für ein paar zwecke, es aber eben nicht lebt.
in dieser diskussion steht, wenn mans runterbrechen will, das kommerzielle interesse auf der einen seite und das generell freiheitliche auf der anderen seite.
das mit der freiheit ist für mich wie mit der todesstrafe. ein bisschen gibt es nicht. also wenn man gegen die todesstrafe ist, kann man für kinderschänder keine ausnahme machen. und wenn man für die freiheit und gleichsetzung aller, im netz, ist, dann kann dies auch nicht ein wenig eingeschränkt werden. zumal die großen das durchaus mal eben für ihre monopolsicherung nutzen könnten.
das ist auch der grund, warum ich dieses wischiwaschipamphlet da ablehne. es ist eine aufweichung .. angeblich aus taktischen gründen. so ne art atomkompromiss von rot-grün. ;)
mfg
mh
Nur damit wir uns richtig verstehen, mh: Ich lehne diese Petition auch ab und zwar aus den selben Gründen wie Sie: Das ist weder Fisch noch Fleisch, sondern gar nichts.
Was aber heißt für Sie »im Internet leben«? Ich lebe in gewissem Sinn auch vom und im Internet, denn gäbe es das nicht, dann wäre ich von wesentlichen Teilen meiner Einkommensgrundlage abgeschnitten: Ohne Netz weder Kursdaten noch Orderaufgabe, weshalb ich als Kunde auch etwas mehr abnehme als bloß eine Flat und einen Router.
Was ich grundsätzlich aber nicht verstehe ist, weshalb man sich zu Zwecken der Netzfreiheit ausgerechnet an die wenden will, die nicht nur in der Vergangenheit schon hinreichend oft bewiesen haben, wie wenig sie sich um die Nutzer scheren, sondern die auch diejenigen sind, die den Datenverkehr bislang am meisten und folgenreichsten beeinträchtigt haben — und ich rede hier nicht vom ehemaligen, sondern vom nah wie vor aktuellen Monopol.
google steht ja schon gar nicht mehr auf dieser seite
www.heise.de/newsticker/meldung/Gemischte-Reaktionen-auf-Google-Verizon-Deal-1053595.html
je größer und finanzstärker ein anbieter ist, je mehr profitiert er von einer nicht vorhandenen netzneutralität. genau da zeichnet sich aber auch die entwicklung ab, was passiert, wenn sie aufgegeben wird.
es ist schon richtig, dass man auf die allianzen achten muss, damit diese allianzen nicht zur verwischung führen. das war, so dachte ich, aber durchaus ein teil meines textes. also allzuweit scheinen wir da nicht auseinander zu liegen.
verwässerungen finden an dieser stelle auch immer ziemlich schleichend und schlussendlich durch ungenaue formulierungen in gesetzen statt .. da ist man atm auf dem besten weg.
mfg
mh
Ich stimme zu:
Wäre ich ein Netzbetreiber, dann würde ich aus einer institutionenökonomischen Perspektive, die mir zu verstehen gibt, daß eine so oder anders aussehende gesetzliche Regelung auf jeden Fall kommen wird (da die Ansicht pro Netzneutralität eindeutig und auch in ihrer gesellschaftlichen Breite in diese Richtung geht) genau diesen verwässerten Vorschlag vorlegen wollen, um damit einer konziseren Regelung zuvorzukommen.
Ob das der Sinn der Sache ist, kann man freilich füglich bezweifeln.
Es kann sicher in die Selbstbestätigung "ich blogge/twittere/chatte, also bin ich!" ausarten - und bedeutet das ständige Dabeisein und Mitzwitschern im Wald, den man vor lauter Bäumen nicht mehr sieht.
Sprich, die Sache selbst oder die Probleme, die (zum Beispiel in der Politik) gelöst werden sollen, treten in den Hintergrund.
Wer am meisten und pausenlos blaht, muss wenigstens das blah der anderen nicht hören.
Ich kann es zwar nicht so adäquat ausdrücken, finde aber dein blog kompetent und gut, sachlich wie auch verständlich.