Trump und die neue Unberechenbarkeit

Deutsche Außenpolitik Am Ende hat Helmut Schmidt immer wieder geäußert, dass man sich nicht zu sehr in die Angelegenheiten anderer Staaten einmischen sollte. Aus Empörung wurde Verständnis.

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Mir graut vor der nächsten Dekade.

Ich frage mich seit einiger Zeit immer häufiger, ob mein eigener Wertetenor nicht selber sehr instabil geworden ist, und somit meine Entscheidungen nicht minder willkürlich getroffen werden?

Ist nicht der ganze politische Diskurs bipolar geworden?

Wir haben energisch Karikaturen des Propheten M. mit Bombe als Ausdruck unserer Meinungsfreiheit verteidigt. Wir waren säkular, und der untertönige Antislamismus gleichgültig. Jetzt trennt sich die SZ von Dieter Hanitzsch, aufgrund einer Karikatur des israelischen Ministerpräsidenten mit einer Bombe. Weil sie antisemitisch ist.

Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk laufen hunderte Reportagen, welche - von düsteren Flächensounds untermalt - die Globalisierung als Ausgeburt des Satans skizzieren, und die Großbanken als antidemokratische und verschwörerische Dämonen. Und in den anschließenden Tagesthemen erklären uns unsere eigenen Regierungsvertreter die Vorzüge eben jener Globalisierung, welche der ganzen Welt Wohlstand verheißt.

Wir pochen auf das Grundrecht auf Asyl und unsere humanitären Verpflichtungen, und zittern gleichzeitig davor, dass diese Pflichten auf die Probe gestellt werden könnten. Wir sprechen Recht, und stellen es in Frage. Wir fordern Demokratie, und wir schimpfen über den Brexit. Wir sind Christen mit G36 Sturmgewehren, Umweltfreunde mit SUVs, Robin Hoods mit Wertpapier Portfolio.

Wer sind wir???

Unsere eigene Leitkultur ist der Konsum und die persönliche Vorteilsnahme. Wir stecken unsere Säuglinge in KITAS, und unsere Alten in Pflegeheime. Weil wir Opfer sind, wie wir sagen - angewiesen auf den familiären Doppelverdienst. Weil man uns zwingt Kreuzfahrten und exotische Urlaube zu buchen, teure Smartphones, Riesenflatscreens und Oberklasseautomobile zu kaufen. Oder Jacobsmuschelpüree zu mümmeln, und Altbauwohnungen in den gentrifizierten Hipstervierteln unserer Großstädte zu beziehen. Armut ist so schrecklich. Deshalb vergleichen die Smarten unter uns auch online alle Preise. Aber bitte ohne Ausbeutung - denn das klingt nicht gut. Wir sind wahrhaftig die Weltmeister aller Herzchen.

Das Existenzrecht Israels ist unsere Staatsräson, nicht aber die Gewaltlosigkeit. Oder doch? Oder auch? Wir verurteilen Diktaturen, und bekämpfen sie mit dem NetzDG. Wir reichen allen Völkern der Welt die Hand, und merken dann erst später, dass eine Hand nur fünf Finger besitzt. Mir graut vor der nächsten Dekade.

Mir graut vor der Erkenntnis, dass Mr. Trump kein Narr, sondern schlicht der Vorbote des Endes unserer eigenen Heuchelei ist.

Empören wir uns noch einige Jahre über die Unarten der Anderen. Reden wir uns ein, dass die Digitalisierung ein Jobmotor wird, und keineswegs die Rationalisierung Sinn und Zweck der ganzen Übung ist. Sprechen wir uns Mut zu, dass mit Hilfe der Bildung - die wir uns nicht leisten wollen - jeder Paketbote und Versicherungssachbearbeiter zum Programmierer umprogrammiert werden kann.

Mir graut vor der nächsten Dekade. Was wird mit unserem Selbstbild geschehen, wenn sich Mr. President Donald Trump nur als unser eigenes Spiegelbild entpuppt und entzaubert? Wie viel Liebenswürdigkeit werden wir uns selber noch gönnen, wenn Gelsenkirchen eines Tages genauso verkommen würde wie Detroit, oder der Pott zum Rust Belt mutierte?

Ja, die Mauern in Israel sind furchtbar. Nicht so niedlich wie die Betonpoller vor unseren Volksfesten und Weihnachtsmärkten. Und wir würden auch niemals scharf schießen, wenn uns eine feindliche Miliz mit tausenden Raketen inklusive der Aufschrift "Tod den Deutschen" bedroht. Wir würden auch dann die Gewalt verneinen, wenn amerikanische Drohnen deutsche Hochzeitsfeste versehentlich in ein Blutbad verwandelt hätten. Denn Terror ist unzivilisiert, und eines Deutschen unwürdig. Und erst recht würden wir niemals überreagieren, wenn es einen militärischen Putschversuch gegen unsere Regierung gegeben hätte. Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.

Ich fürchte, dass wir einfach zu lange und zu oft Werbefernsehen konsumiert haben, und unsere Mitmenschlichkeit im Kern genauso fade ist, wie das Innenleben unterhalb des saftigen Äußeren eines photoshopgetunten Cheeseburgers. Seien wir ehrlich - die Meisten unter uns würden lieber am Strand von Tel Aviv chillen, als in Teheran vor der Religionspolizei zu bibbern. Wir lieben Pornhub, Rotwein und Kinos. Wir sind auch nur solange gastfreundlich, solange die Gäste keine konträre Meinung besitzen. Jetzt verhandeln wir großmütig mit dem Iran über das Fortbestehen des Atomabkommens. (Wohl wissend wie wichtig der amerikanische Exportmarkt für unseren Wohlstand ist.) Den Grundsatz, dass man Abkommen zu erfüllen hat, den werden wir ebenso uneigennützig und konsequent verteidigen wie die Dobrindt'schen Asylsaboteure das Recht auf Asyl.

In seinen letzten Lebensjahren hat Altkanzler Helmut Schmidt immer wieder geäußert, dass man sich nicht zu sehr in die Angelegenheiten anderer Staaten einmischen sollte.

Damals war ich in meinem jugendlichen Idealismus empört. Heute verstehe ich ihn immer mehr.

Ständig sinnieren wir darüber, wie sich andere Staaten zu verhalten haben. Wir sind die Großmeister der irrealen Bedingungssätze im Konjunktiv II. Und wär'n wir Vöglein, wir flögen auch zu Dir.

Wir sollten dies und müssten das. Bildung, Umwelt und das TakaTukaLand. Also wenn ich pinkeln muss, dann geh ich auf die Toilette. Ich stelle mich nicht auf die Bühne der Welt um laut zu verkünden, dass ich eigentlich pinkeln müsste, denn die eigentliche Metabotschaft dieser Aussage wäre, dass ich gerne pinkeln würde, aber gar nicht kann.

In wirklich jeder deutschen Polittalkshow fangen inzwischen 90% aller Statements mit den Floskeln "Ich glaube..." oder "Ich finde..." an. Für Glaubensfragen ist aber die Kirche zuständig, und subjektive Empfindungen wären auf einer Fashion Week besser aufgehoben.

Wir betrachten den Planeten durch die klug wirkende Nickelbrille eines deutschsprachigen Psychotherapeuten. Dabei geht es doch lange nicht mehr um Problemlösungen oder einen Konsens, sondern nur um fabulierte Selbstdarstellung ohne dem Gegenüber zu zuhören. Vielleicht wird es wirklich Zeit erst mal unsere eigenen Werte im Inneren zu verifizieren und konsolidieren. Den wurmstichigen Dachbalken aus unserem eigenen Auge zu pulen.

Und wenn uns das je gelingen sollte, dann können wir gerne wieder als die Weisen aus dem Abendland antreten. Oder mit den Worten des großen Gunter Dueck: "Mach doch, statt Loosertalk!"

Und was die permanenten Diskussionen über Russland, die USA, die Türkei, den Iran und Israel anbelangt, so verfügen diese Staaten zusammen über weit mehr als 600 Millionen eigene Bürger, aber in unserem naiven Kindergebrabbel kürzen wir die mal eben so auf 5 Protagonisten zusammen.

Putin, Trump, Erdogan, Chamenei und Netanjahu.

Dabei ist keine einzige Gesellschaft in irgend einem dieser Länder auch nur annähernd homogen. Allein alle politischen Fraktionen in Israel aufzulisten würde die Hirne der meisten Menschen sprengen. Antizionistische ultraorthodoxe Charedim aus Bnei Berak vertreten dann doch andere Positionen als der Likud Block oder radikalisierte Siedlungshilltopyouthkahanisten.

Und wer denkt, dass die iranischen Mullah Zwölfershiiten immer auf einer schnurgeraden Linie unterwegs sind, der sollte vielleicht einmal die Thesen des verstorbenen Hossein Ali Montazeri studieren, oder die Biographie von Hossein Borudscherdi. Hätte ich selber eigentlich die Eier dieses Mannes?

Von der durchschnittlichen Meinung eines chablisaufenden Eastcoast Architekten über evangelikale Kreationisten, Tea Party Spinner oder Ku-Klux Klan Trailerparkbewohner sprechen wir lieber gar nicht erst. Mit anderen Worten: Diese Gesellschaften brauchen die zusätzliche selbstgefällige Meinung der Deutschen so sehr wie eine Kuh ein Motorboot.

Konzentrieren wir uns also in der Debatte lieber wieder mehr auf die Zerrissenheit unserer eigenen Gesellschaft. Gibt doch genug zu tun - vom Pflegenotstand über Altersarmut und Großstadtmieten, bis hin zur Zukunft unserer Industrie.

Ja, man kann Donald Trump Unberechenbarkeit vorwerfen.

Ich selber bin vor etwa zwei Jahrzehnten mal ganz nebenbei aus den Reihen der Jungen Union hinaus komplementiert worden, weil ich Zweifel an der Sicherheit der Kernkraftwerke unter besonderen Bedingungen, und meine Missbilligung der Kohl'schen Parteispendenpraxis geäußert hatte. Und nach meiner Kenntnis haben nach Fukushima weder die Grünen den Kernkraftausstieg forciert, noch die Sozis den Punzkanzler zum Verzicht auf das Amt des CDU Ehrenvorsitzenden genötigt.

Es war eine Zeit als "dass" noch mit ß geschrieben, und im gymnasialen Sozialwissenschaftsunterricht die Vorteile einer Bundeshauptstadt Bonn im wiedervereinten Deutschland im Vergleich zu zentralistischen Metropolen wie London oder Paris gelehrt wurde.

Ach wäre Donald Trump doch nur so berechenbar wie die Sozialdemokratische "Eine Fortsetzung der Großen Koalition wird es mit uns nicht geben" Partei Deutschlands, oder die "Der Tiergarten muss von Obdachlosen gesäubert, und kriminelle Ausländer rigoros abgeschoben werden" Grünen, oder Ex NRW Landwirtschaftsministerin "Huch, das war gar kein externer Hack, sondern nur diese neue Screen Sharing Funktion" Schulze-Föcking, oder Frau Dr. Angela "Eine Obergrenze wird und kann es gar nicht geben" Merkel.

Also genauer betrachtet und mit Kenntnis seiner Wahlversprechen erscheint mir Donald Trump plötzlich doch eigenartig berechenbar.

Sprunghaft?

Wirklich sprunghaft ist die Forderung der selben Menschen, die Steinmeier noch bis vor Kurzem an einen imaginären Galgen gesehnt haben, dass Özil und Gündogan jetzt unserem geliebten Bundespräsidenten huldigen sollen.

Ich vermute übrigens, dass nicht wenige Deutsche Donald Trump nur aus Neid verachten. Ich meine - naja - Meuthen wirkt ja eher wie Jemand, der seine Nachbarn heimlich wegen fehlender Regentonnen beim Ordnungsamt anzeigt, Gauland wie ein Studienrat mit schlechtem Atem, und der härteste Kerl in der AFD ist nun mal Alice Weidel. Und Scholz, Nahles, Altmaier und Co haben auch nicht so recht das Zeug zum knallharten Führungspopulisten.

Hätten wir doch nur einen eigenen Bud Spencer, der Putin, Erdogan, Netanjahu und Trump mal ganz undemokratisch eine Schelle verpassen könnte. Bitte nicht missverstehen. Ich amüsiere mich nur zuweilen etwas über unseren weltmännischen deutschen Hochmut.

Apropos Populisten:

Vor kurzem ließ ein AFD Abgeordneter folgende Sätze öffentlich verlauten:

„Ich wünsche inständig, dass die türkischen Barbaren sofort aus dem Land [ Griechenland ] von Xenophon, Sokrates, Platon, Sophokles und Euripides verjagt werden.

Wenn wir wollten, könnte es bals getan werden, aber sieben Kreuzzüge des Aberglaubens wurden durchgeführt und ein Kreuzzug der Ehre wird nie stattfinden."

und

„Ich habe die Chinesen nie so verachtet, wie diese zurückgebliebenen Türken und Araber, und wenn Russland bereit ist, sich wieder mit denen zu bekriegen, hoffe ich, England und Frankreich werden keinen Grund finden oder es als züchtig betrachten, einzugreifen.“

Was für ein ätzender Nazi, oder?

Oh halt, das war mein Fehler. Der erste Satz stammt aus der Feder Voltaires, und der zweite Ausspruch von Mark Twain.

Ich kann jetzt entweder ihre literarischen Gesamtwerke abfackeln, oder erwachsen akzeptieren, dass auch kluge Leute manchmal dumme Dinge sagen, und wir schlicht alle nicht so perfekt wie unsere Social Media Profile sind.

Wie bereits gesagt. Mir graut vor der beginnenden Dekade der Selbsterkenntnis.

Vielleicht könnte man sich in dieser Zeit wenigstens auf den unbedingten Schutz der Kinder verständigen. Wir alle lieben unsere Kinder.

Und selbst wenn sich das muskelbepackte Patriarchat jetzt ein letztes Mal brüllend gegen den Fortschritt der Vernunft erheben mag, so können wir ihnen doch ganz ruhig entgegnen, dass das Zeitalter der romantisch verklärten Schwerter schwingenden Ritter längst vergangen ist. Moderne Kriege werden in Wohngebieten geführt, mit Bomben, und mit Lenkwaffen. Und daran ist nichts heroisch.

Es ist ein einfach nur sinnlos und böse.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Hanke

Senior Rossi sucht das Glück, notfalls mit Serotoninwiederaufnahmehemmern

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