Auf dem Herd köchelt ein Gemisch aus Fisch und Huhn. Bashiru* steht davor, seine rechte Hand, in deren Haut eine islamische Gebetskette tätowiert ist, rührt im Topf. Er sieht mich an, und die Züge seines Gesichts, das durch die beiden Narben auf seinen Wangen sonst so hart aussieht, erhellen sich. Als Baby bekam er kleine Kerben in die Wangen geritzt, das Erkennungszeichen seiner Familie in Nigeria. Sieben Jahre hat er seine Verwandten nun nicht mehr gesehen.
* Name geändert
Seit einem Monat wohnt Bashiru, 27, bei meinen Eltern, in Berlin-Schöneberg. Er ist über die Organisation „Flüchtlinge Willkommen“ zu ihnen gekommen. „Wir sind der Auffassung, dass geflüchtete Menschen nicht durch Massenunterkünfte stigmatisiert und ausgegrenzt werden sollten, sondern dass wir ihnen einen warmen Empfang bieten sollten“, heißt es auf der Webseite der Initiative, unter fluechtlinge-willkommen.de.
Bevor er bei meinen Eltern einzog, lebte Bashiru ein Jahr lang auf dem Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg. Hunderte Flüchtlinge hatten dort monatelang in einem selbst organisierten Camp gegen die deutsche Asylpolitik demonstriert, andere hatten eine Schule besetzt. Der örtliche Senat hatte zuletzt zugesagt, jeden Fall ausgiebig zu prüfen. Vergangene Woche kam heraus: Nur drei der rund 540 Betroffenen wird ein Aufenthaltsrecht gewährt. Alle anderen müssen jetzt in die Bundesländer zurückkehren, in denen ihr jeweiliges Asylverfahren ursprünglich beantragt wurde, oder sie müssen gleich zurück in das Land, über das sie in die EU eingereist sind, meist Italien.
Linksbürgerlicher Geist
Einmal in der Woche bereitet sich Bashiru seinen Fisch-Geflügel-Eintopf zu, den er morgens, mittags und abends verzehrt. Er isst, so scheint es, so gut wie nichts anderes. Sogar zur Arbeit nimmt er ihn mit. Meine Mutter hat in den rund sechs Wochen, seit Bashiru da ist, oft von seinem Leibgericht gekostet, aber inzwischen kann sie es nicht mehr sehen und riechen.
Nachdem sie sich im Dezember entschlossen hatten, einen Flüchtling aufzunehmen, erhielten meine Eltern viel Zuspruch aus dem Freundeskreis. Sie seien so großherzig – man selbst könne das leider nicht bei sich einrichten. Alle gingen davon aus, dass jemand aus Syrien oder dem Irak kommen würde, und meine Eltern fragten sich, wie mit Kriegstraumata umzugehen sei. Was müsste man einem solchen Menschen alles bereitstellen? Wäre es nicht arrogant, zu glauben, ein Zimmer mit Bett und Schrank reichten schon aus?
Eigentlich gehören meine Eltern zu den Leuten, die dafür plädieren, dass die Probleme, die Menschen zu Flüchtlingen machen, in den Ländern vor Ort gelöst werden müssen. Aber das Bedürfnis, einen Menschen in Not zu unterstützen, war doch größer als alle Theorie. „Kein Mensch ist illegal“: Bashiru aufzunehmen war die logische Konsequenz des linksbürgerlichen Geists in meinem Elternhaus.
Ein Internetanschluss in seinem Zimmer ist nicht nötig. Bashiru freut sich, dass er den Raum nicht mit jemandem teilen muss. Und mein Vater entdeckt, dass das Gefühl, anonyme Spenden an Hilfswerke zu überweisen, nicht annähernd dem Gefühl gleichkommt, jemandem ganz alltagspraktische Hilfe anzubieten. Als Bashiru an Heiligabend nicht zum Essen erschien, waren meine Eltern etwas enttäuscht, er hat den Abend lieber bei Freunden verbracht. Meine Mutter wollte ihm zeigen, wie ein deutscher Weihnachtsabend abläuft.
Tassen spülen, Autos waschen
Der Kontakt ist ohnehin in vielen Punkten anders, als meine Eltern erwartet haben. Dass er über Nacht da war, erzählt meine Mutter, sehe sie immer am nächsten Morgen, wenn die Tasse, die sie am Vorabend hat stehen lassen, gespült wieder im Schrank steht. Tatsächlich ist die Küche meiner Eltern, seit Bashiru bei ihnen wohnt, penibel sauber. Meiner Mutter ist das ein bisschen unangenehm. Sie könne ihn nicht davon abhalten, alles sofort zu spülen, und traue sich deshalb gar nicht mehr, etwas stehen zu lassen.
Einen Flüchtling aufgenommen zu haben bedeutet für meine Familie auch, die eigenen Absichten, die eigene Positionierung zu überdenken. Der sozialromantischen Vorstellung, in Bashiru einen neuen Sohn zu bekommen, widerspricht jedenfalls die Realität. Bashiru ist ein junger Mann, der versucht, ein möglichst normales Leben zu leben – mit all den Einschränkungen, die der Flüchtlingsstatus mit sich bringt. Fragt man ihn, ob er Lust auf eine gemeinsame Unternehmung habe, sagt er immer: „No problem.“ Die Freude, die sein Gesicht ausdrückt, wirkt manchmal wie aufgemalt.
Zu Silvester schickt mir Bashiru per Whatsapp einen Kettenbrief mit den besten Wünschen für 2015. Ich frage ihn, was er sich für das neue Jahr vorgenommen hat. „Deutsch lernen“, antwortet er. Bei der Arbeit spürt er die Notwendigkeit dafür besonders. Arbeit bedeutet für Bashiru Schwarzarbeit, wegen seines rechtlichen Status darf er ja eigentlich nicht selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen. Er versucht es trotzdem. Für fünf Euro in der Stunde wäscht er Autos. Sein Ziel ist es, so viel zu verdienen, dass er etwas an seine Familie in Nigeria schicken kann. Deshalb hat er seine Heimat ursprünglich auch verlassen: Er ging als Arbeiter nach Libyen, von wo er 2011, in den Wirren nach dem Sturz des „Revolutionsführers“ Muammar al-Gaddafi, fliehen musste.
Wie es mit Bashiru weitergeht, ist inzwischen leider klar: Gerade ist auch sein Antrag auf ein Bleiberecht abgelehnt worden. Er muss wieder nach Italien, in das Land, das er nach der Flucht aus Libyen als erstes erreicht hat. Bashiru atmet schwer, als ich ihm die Nachricht mitteile. Er spürt meine Betroffenheit. „Don’t worry“, sagt er. Ich schaue auf seine Gebetskette. „Bist du nicht eigentlich Christ?“, frage ich. „Ich bete in beiden Religionen“, sagt er. „Das hilft doppelt.“
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