„I’m not black, I’m American“, sagt der fünfjährige Dylon zu seiner Mutter. Beide stehen vor einer Sklavenhütte im National Museum of African American History in Washington D. C. Dass Dylon schwarz ist, erklärt seine Mutter, weiß er noch nicht. „Er hat es noch nicht zu spüren bekommen“, sagt sie. Dann wendet sie sich an ihren Sohn: „Wir werden sehen, wie sich das für dich entwickelt!“
Dylon guckt die Holzhütte an, in der einmal Sklaven gelebt haben sollen. Der Fünfjährige findet die meisten Exponate im Museum „langweilig“. Seine Mutter versucht ihm zu erklären, dass die ausgestellte Geschichte, die Geschichte der Afroamerikaner in Amerika von der Sklaverei bis zu einem schwarzen Präsidenten, seine Geschichte ist. „Weil auch du schwarz bist“, sagt sie noch einmal. „Nein“, wiederholt Dylon bestimmt.
Zu bemerken, dass man schwarz ist, weiß Dylons Mutter, bedeutet, zu verstehen, dass man anders ist als die anderen. Dass man andere Chancen hat im Leben. Sie erinnert sich gut daran, wie das für sie war: „Ich bin in Brooklyn aufgewachsen. Schwarzsein war da normal.“ Als sie dann mit ihrer Familie nach Pennsylvania umzog, änderte sich alles. „Ich habe zum ersten Mal bewusst Weiße gesehen. Und ich habe bemerkt, wie sie mich anschauen. Sie lassen dich spüren, dass du anders bist.“
Inszenierung von Enge
Im Jahr 1903 beschreibt der Autor und Bürgerrechtler W. E. B. Du Bois in seinem Buch The Souls of Black Folk den Moment, in dem er erkennt, dass er schwarz ist. In seiner Schule möchte ein Mädchen eine Glückwunschkarte, die er ihr geben will, nicht annehmen. Du Bois erklärt das Gefühl, durch die Augen von (weißen) anderen gesehen zu werden, mit dem Terminus „double consciousness“.
Viele Afroamerikaner können auch heute die Geschichte ihrer doppelten Identität erzählen. Viele erinnern sich an den Moment, in dem ihnen klar wurde: „Ich bin schwarz“ – und damit anders. Der Fernsehsender CNN hat das Thema Anfang des Jahres zum Anlass genommen, prominente Afroamerikaner nach ihren Erfahrungen mit dem Thema zu befragen. Unter dem Motto „When I first realized I was black“ sprechen 25 berühmte Afroamerikaner in kurzen Videos über ihr Schwarzsein, andere twittern ihre Geschichten unter dem Hashtag #realizediwasblack.
Seitdem das Museum für die Geschichte der Afroamerikaner in Amerika Ende 2016 aufgemacht hat, müssen Besucher die (Gratis-)Tickets Monate im Voraus buchen. In der Schlange vor dem rostbraunen Bau drängen sich schwarze Gemeinden, die gemeinsam Busse gemietet haben, um sich die eigene Geschichte, für die es so lange keinen Platz gab, in Washington D. C. anzusehen. Natürlich gibt es in den USA Museen, die sich mit der Geschichte von Afroamerikanern beschäftigen, in Atlanta, Memphis, Detroit und vielen anderen Städten. Doch keines vereint die Geschichte des schwarzen Amerikas auf gleiche Weise, wie es das neue Museum in Washington versucht. Keines steht gleichwertig neben den anderen Versatzstücken der amerikanischen Geschichte, wie das auf der National Mall der Fall ist. Die Geschichte der Afroamerikaner, so betonte auch der letzte US-Präsident Barack Obama, als er die Ausstellung im vergangenen Jahr eröffnete, ist nicht länger von der Amerikas getrennt. 14 Jahre hatte es gedauert, bis der Bau realisiert worden war. Erst wollte der Staat nur die Hälfte der Kosten tragen.
Der Weg ins Innere der Ausstellung ist beschwerlich. In einer großen Gruppe drängen Menschen zu einem Aufzug, der sie ins unterste der drei Geschosse bringen soll. Der Besucher soll nachempfinden, wie sich die Geschichte der Afroamerikaner von der Enge der Sklavenschiffe und Arbeiterhütten bis zur heutigen Zeit mit jedem Stockwerk weitet. Im unteren Geschoss drängen sich die Frauen aus Dylons Familie, seine Mutter, die Tanten, Cousinen und die Großmutter mit anderen Besuchern durch die dunklen, engen Räume in denen Multimediainstallationen die Überfahrt von Afrika in die USA rekonstruieren. Kopfschüttelnd stehen die Frauen vor einer Figur von Thomas Jefferson, dem Gründervater der USA, der vor einer Mauer steht, die die Namen seiner Sklaven trägt. „The Paradox of Liberty“ steht unter seiner Bronze.
Nachdem ein 20-Jähriger bei einer Demonstration gegen die Entfernung einer Statue des Konföderierten-Generals Robert E. Lee in Charlottesville mit seinem Truck in die Menge von Gegendemonstranten fuhr und dabei eine Frau tötete und 19 Menschen verletzte, verpasste es Donald Trump, die Tat scharf zu verurteilen. Stattdessen sah der US-Präsident neben den Mitgliedern der Alt-Right und des Ku-Klux-Klans auch friedliche Bürger unter den Demonstranten. Mit einem Tweet brachte er Konföderierte und ehemalige Präsidenten, die ebenfalls Sklaven besessen hatten, zusammen: „Robert E. Lee, Stonewall Jackson – who’s next, Washington, Jefferson? So foolish!“ Was tun mit Thomas Jefferson, einem Präsidenten, der in der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten festgehalten hat, dass alle Menschen gleich sind, aber über sein Leben verteilt 607 Sklaven besessen hat? „Die Unabhängigkeitserklärung galt nicht für Schwarze“, sagt Dr. Ibrahima Seck, der schwarze Geschichte erforscht und Touristen über die Whitney-Plantage in Louisiana führt, einer der wenigen Plantagen im Süden der USA, die sich überhaupt mit dem Thema Sklaverei beschäftigen.
Der Streit um die Konföderiertenstatuen hat in den USA zu einer Diskussion darüber geführt, was Südstaatenstolz und damit Geschichte und was Befürwortung der Sklaverei und damit Rassismus ist. Nachdem Dylann Roof 2015 neun Menschen in einer vor allem von Afroamerikanern besuchten Kirche in Charleston, South Carolina, erschossen hatte, beschlossen mehrere Staaten, ihre Denkmäler der Konföderation in Frage zu stellen und abzubauen. „Auf vielen ehemaligen Plantagen“, bemängelt Dr. Seck, „wird die Geschichte der Sklaven unterschlagen, die der weißen Herren romantisiert.“ Die Geschichte wird vielerorts im Süden „weißgewaschen“.
Die Spur der Peitsche
Beim Anblick einer Zeichnung, die Striemen auf dem Rücken eines ausgepeitschten Schwarzen zeigt, stöhnt Dylons Großmutter auf: „Amerikanische Geschichte wurde auf dem Rücken der Schwarzen ausgetragen!“ Langsam bewegen sie sich aus dem Untergeschoss nach oben in den zweiten Stock. Das Thema Segregation wird von einem Bus angekündigt, in dem Sitze für schwarze und weiße Amerikaner voneinander getrennt sind. „Wie findest du es, dass du dir hier keine Filme ansehen darfst oder keine Burger essen?“, fragt Dylons Mutter vor einer Glastür, auf der „Whites only“ steht. „Das ist gemein“, sagt Dylon.
Dylons Familie schiebt sich an schwarzen Puppen mit Strohhüten und Baströckchen vorbei. „Die Stereotype“, so steht es auf einer Tafel, „versuchen Afroamerikaner als faul und kindlich darzustellen, um ihre Unterdrückung zu rechtfertigen.“ Dylon steht lange vor einer weißen und einer schwarzen Puppe, die Psychologen in einem Versuch als Beweismittel dafür dienten, dass Segregation beim kindlichen Spiel zu negativen Empfindungen afroamerikanischer Kinder führen kann. Fast alle befragten Kinder wollten die weißen Puppen haben. Schwarze Kinder, so bewies der Test, nahmen ihre eigene Hautfarbe als minderwertig war.
„Guck mal“, ruft Dylons Mutter ihm zu, „hier dürfen wir schon in die Kirche gehen.“ Der Raum hat sich geweitet, erzählt einzelne Geschichten von der großen Migration in den Norden und dem Civil-Rights-Movement. Zwischen Leinwänden, auf denen Martin Luther King von seinem Traum erzählt, Frauen und Männer Schilder mit Forderungen nach Freiheit tragen und KKK-Männer in ihren weißen Trachten marschieren, läuft Dylon orientierungslos umher. Dahinter geht es ein Stockwerk höher. Hier werden die Demonstrationen, die auf die Ermordung Martin Luther Kings antworteten, gezeigt. Plakate fordern in Glaskästen zum Ende des Rassismus auf.
Am Ende stehen die Erfolge. Eine Wand aus Fernsehern zeigt schwarze Prominente, Schauspieler Denzel Washington, Tennis-Star Serena Williams, Politikerin Condoleezza Rice. Beschlossen wird die Ausstellung mit einem Schrein für den 44. Präsidenten der USA. Was Barack Obama für die Besucher bedeutet, zeigt die große Menschentraube, die die Hände an die Glaswand drückt. In seiner Eröffnungsrede hatte Obama die Hoffnung geäußert, das Museum möge Schwarzen und Weißen helfen, miteinander ins Gespräch zu kommen. „Und vor allem einander zuzuhören.“ Wenn Dylons Mutter an diese Worte denkst, ist sie enttäuscht. „Wir dachten, wir hätten es erreicht, mit Obama. Und die Antwort darauf ist Donald Trump.“
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.