Warum kann ich nicht schwarz sein, ohne exotisch zu sein?“ „Nein ich wohne nicht in einer Lehmhütte.“ Seit ungefähr einem Jahr posten junge Nutzer auf Twitter und Instagram unter dem Hashtag #TheAfricaTheMediaNeverShowsYou Fotos gegen das Klischeebild, das sich der Westen von Afrika macht. „Wir sind nicht alle faul und wollen weg von hier“, sagt etwa Marlo Coelho. Gemeinsam mit anderen Bloggern und Künstlern arbeitet sie daran, das der Welt auch zu zeigen.
Die 27-jährige Ivorerin lotet in ihrem Tumblr-Blog It’s L’Abidjanaise den westlichen Einfluss auf afrikanische Mode aus. Coelho inszeniert sich in traditioneller Kleidung mit westlichem Touch, posiert auf Wochenmärkten mit Händlern und Hühnern. In ihren Videos shoppt sie in afrikanischen Malls oder besucht eine Veranstaltung für Blogger, denen als sogenannte „Young Influencer“ die Kultur der Elfenbeinküste nahegebracht werden soll. Mal trägt sie Army-Kleidung, mal balanciert sie eine bunte Plastiktüte auf dem Kopf, in der Art, wie manche Frauen noch traditionell ihre Körbe tragen.
Der globale Normalzustand
„Ich erschaffe Erinnerungen“, schreibt sie selbstbewusst unter einen Fotoessay, der sie in einem Dorf in der Nähe von Abidjan zeigt, der größten Stadt der Elfenbeinküste. Der Name des Blogs, L’Abidjanaise, ist auch der Titel der Nationalhymne, mit der das Land die Unabhängigkeit besingt. Wenn Coelho unter diesem Titel Erinnerungen erschaffen will, dann geht es auch um den eigenen Platz jenseits des kolonialen Erbes in der Welt. „Mode ist eine Art, der Welt deine Geschichte zu erzählen“ – das habe sie schon als Jugendliche begriffen.
Ein Kontinent hat nicht nur eine Geschichte, hat die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie einmal gesagt. In ihren Büchern und Vorträgen warnt sie davor, ganz Afrika als landschaftlich schön, arm, grausam und aidskrank zu beschreiben. Die Bilder von Hungerleidenden und Massakern suggerieren eine Wirklichkeit, die auf den Betrachter ausschließlich wirken muss. Die Allgegenwart dieser Fotos, schrieb Susan Sontag in ihrem Essay Das Leiden anderer betrachten, nährt die Überzeugung, solche Tragödien seien in den „rückständigen“, armen Teilen der Welt unvermeidlich. Ein Elend, das von „uns“ weit entfernt ist. Die Bilder schwarzer Menschen auf Booten vor der Küste Italiens haben dieses Leid in Gestalt des „Wirtschaftsflüchtlings“ wieder direkt in „unsere“ Welt geholt und zum Stereotyp einer Bedrohung Europas stilisiert.
Mit ihren Bildern, sagt Coelho, wolle sie den Einfluss der Globalisierung auf den Lebensalltag in ihrer Heimat untersuchen. „Wie wir uns verhalten und was wir ästhetisch finden, hat sich verändert.“ Die Menschen, die mit ihr posieren, setzen sich selbst in Szene. Die junge Frau will wissen: Wie kann man sich selbst finden, wenn die Gefahr der Normalzustand einer Gesellschaft zu sein scheint? Damit, das betont sie, meine sie nicht die Situation in ihrem Land, sondern die globale.
Die Idee zu dem Hashtag, der so viele Menschen in Afrika inspirierte, hatten Rachel Markham aus Ghana und Diana Salah aus Somalia. „Der Westen“, sagt die 18-Jährige Ghanaerin, „nimmt sich das Recht, unser Leben zu beurteilen. Westliche Medien haben damit die Art, wie wir Afrikaner uns selbst wahrnehmen, geprägt.“ Dieses Recht will sich Markham zurücknehmen.
Mit einer Mischung aus Fashion, moderner Architektur, Natur und Fotos lachender Kinder versuchen seither viele Afrikaner, sich selbst ihre Identität in den sozialen Medien zu verschaffen. „In Afrika haben wir drei Frauen, die Staatsoberhäupter sind“, twitterte eine Kenianerin. „Unsere Kinder sind glücklich und nicht alle abgemagert“, schrieb eine Journalistin aus Sambia. Westliche Klischees werden aufgenommen und mokiert. Was mit Grafiken anfing, die die wirtschaftliche Lage Afrikas und die Rolle des Westens erklärten, ist inzwischen auch zu einem Feelgood-Hashtag für Touristen geworden, die sich bei der Safari fotografieren. Reiseagenturen nutzen den Hashtag heute, um die Unterwasser-Wasserfälle auf Mauritius zu bewerben.
Bloggerin Rachel Markham findet das „okay“. „Wir sollen uns wieder gut fühlen. Wie, ist doch egal“, sagt sie. „Der Tourismus hilft auch den armen Regionen.“ Manche Reisende machten sich eben ihr eigenes Bild. Ruandas Hauptstadt Kigali, postete zum Beispiel eine Touristin mit Beweisbild, sei die sauberste Stadt Afrikas. Andere Bilder zeigen Wohnsiedlungen, die an US-amerikanische Kleinstädte erinnern. Ist nur schön, was westlichen Stereotypen entspricht? „Wir haben gelernt, unsere Architektur als minderwertig zu sehen“, erklärt Markham, „von dieser Auffassung muss man erst mal wegkommen.“
Letztlich geht es um Deutungshoheit. Dass die Blogger auch nur für einen Bruchteil der Gesellschaft stehen, nämlich den, der ein Smartphone besitzt, tut ihrem Erfolg keinen Abbruch. Ebenso wenig, dass negative Klischees bisweilen durch positive ersetzt werden. Was Authentizität in einer Welt bedeutet, die online keine Grenzen kennt und offline sehr hohe Zäune baut, ist überall schwer auszumachen.
Info
Marlo Coelhos Blog: itslabidjanaise.tumblr.com
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