der Freitag: Herr Süß, wo stehen Sie gerade?
Roland Süß: Auf der anderen Seite des Mains gegenüber der EZB.
Was tut sich da?
Hier hat es nur einen kurzen Einsatz der Polizei mit Pfefferspray gegeben, weil ihnen hier zu viele Menschen waren. Das Ganze hat sich sehr schnell wieder beruhigt.
Bereits heute früh kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Aktivisten und Polizei, in mehreren Vierteln brannten Mülltonnen und Autos . Was sagen Sie zu der Gewalt der Blockupy-Aktivisten?
Dazu kann ich noch nichts sagen, weil ich nicht weiß wer die Akteure sind und wie sich das entwickelt hat. Wir treffen uns heute Nachmittag zu einer Einschätzung der Lage.
Einen kleinen Erfolg haben Sie bereits im Vorhinein errungen: Die Eröffnungsfeier des EZB-Neubaus in Frankfurt fällt heute kleiner aus als erwartet. Nur rund 20 Gäste sind geladen und es ist nur wenig Presse zugelassen.
Ja, das ist ein Erfolg. Es zeigt, dass die EZB mit ihrer momentanen Politik nicht im öffentlichen Rampenlicht stehen will. Das liegt an den Entwicklungen in vielen anderen Ländern Europas, wie in Griechenland, und der öffentlichen Diskussion um eine gescheiterte Austeritätspolitik, aber auch an den Protesten von Blockupy.
In Deutschland ist es um die Protestkultur zur deutschen Finanzpolitik grundsätzlich ruhig bestellt. Bekommt ihre Bewegung aus Griechenland neuen Schwung?
Sozialproteste haben auch etwas mit Krisenentwicklung zu tun. Die Krise schlägt hier nicht so durch wie in anderen Ländern. Insofern war die Eurokrise nicht das Thema bei dem wir in Deutschland viel mobilisieren konnten. Durch die griechischen Wahlen wurde aber in den letzten Wochen eine Diskussion in der Gesellschaft entfacht über die Frage, was Alternativen gegenüber dem Spardiktat sein könnten. Es wurde viel berichtet darüber, dass die Troika eine Politik betreibt, mit der sie die Regierungen erpresst. Das hat natürlich dazu beigetragen, dass die Unterstützung für die Blockupy-Proteste am Mittwoch an Fahrt gewonnen hat.
Sie betonen, dass Sie außerparlamentarisch arbeiten wollen. Kann man mit Parteipolitik die Finanzpolitik nicht verändern?
Welche Rolle die Parteien da spielen ist immer abhängig von den Bündnisstrukturen. Wir verstehen unsere Aufgabe nicht darin, für Parteien zu reden, sondern soziale Bewegungen zu entwickeln. Durch die Konstellationen in Griechenland und Spanien hat sich ein politischer Raum eröffnet, den soziale Bewegungen nutzen können. Ich glaube, dass vielen Menschen bewusst geworden ist, dass wir Änderungen brauchen und, dass sie jetzt passieren müssen. Momentan sind mit Syriza und Podemos die Konstellationen in Europa günstig, um dieses Jahr eine starke Protestbewegung durchzusetzen, die durchaus in einigen Ländern auch Wahlen gewinnen kann.
Glauben Sie, dass linke Positionen nur in der Opposition funktionieren?
Erstmal muss eine linke Bewegung politischen Druck aufbauen. Da gibt es in Deutschland noch einiges zu tun. Insofern stellt sich für uns momentan noch nicht so sehr die Frage wie in einigen anderen Ländern.
Was kritisieren Sie an der Politik der EZB, die seit knapp zwei Wochen Staatsanleihen aufkauft?
Zunächst einmal sind Griechenland und Zypern davon ausgenommen. Das heißt die Länder, die es eigentlich momentan am stärksten gebrauchen können, erhalten nichts. Das ist Politik, die nicht die Ursachen bekämpft. Sie sorgt nicht für eine zusätzliche Kaufkraft bei den Kunden, denn dort kommt das Geld ja nicht an. Wenn man betrachtet, wo sich das momentan bemerkbar macht, sind es die Börsenwerte, die auch aufgrund dieser Praxis praktisch immer weiter in die Höhe gehen. So entstehen Blasen.
Dennoch fordern Sie, dass der Markt angekurbelt werden müsse, anstatt zu sparen.
Es geht ja nicht nur darum, Wachstum zu erzeugen, sondern soziale Bedürfnisse zu befriedigen und dafür zu sorgen, dass Bildung und Gesundheitssystem vernünftig organisiert werden können. Dafür muss es in bestimmten Bereichen Wachstum geben, aber das heißt nicht, dass wir eine exportorientierte Politik betreiben müssen. Hinter dem Europaprojekt steht das Ziel, Exportweltmeister und wachstumsstärkster Wirtschaftsraum zu sein – das führt zu allgemeinem Wachstum, der den Bürgern nichts nützt. Man muss die wirtschaftliche Ausrichtung mehr von den Bedürfnissen der Menschen abhängig machen.
Was schlagen Sie vor?
Wir brauchen auf der einen Seite kurzfristige Aktionen, das heißt, es muss in bestimmtem Bereichen Schuldenschnitte geben. Perspektivisch ist es viel wichtiger, eine Diskussion darüber anzuregen, wie ein soziales Europa entstehen könnte, das nicht nur nach Wirtschaftskriterien funktioniert und in der Konkurrenzlogik verhaftet ist. Ein Europa, das ausgleichende Mechanismen hat, indem notdürftige Regionen unterstützt und nicht an den Rand getrieben werden.
Sie sind also für den Schuldenschnitt mit Griechenland?
Es gibt ja inzwischen kaum noch jemand, der wirklich ernsthaft behauptet, die Griechen könnten ihre Schulden zurückzahlen. Wenn dem so ist, dann muss man sich die Konsequenzen überlegen. In den letzten Jahren wurden die Vermögen der Investoren abgesichert, während die Arbeitslosigkeit stieg und Gesundheitssysteme kollabierten. Das ging auf Kosten der Menschen in Griechenland. Die Sparpolitik hat die wirtschaftliche Entwicklung gefährdet. In Griechenland findet in den letzten Jahren eine gewaltige Deindustriealisierung statt. Die Austeritätspolitik treibt die Länder in eine Spirale, bei der es nur um eine Absicherung von finanziellen Ansprüchen geht – zu Lasten der Bevölkerung.
In der Vergangenheit hat es bei Protestaktionen von Blockupy immer wieder Ausschreitungen gegeben. Die Polizei spricht von einem gewaltbereiten und einem friedlichen Teil unter den Protestierenden und will gegen den gewaltbereiten Teil entsprechend vorgehen, während sie allgemein Deeskalationsstrategien verfolgt. Was erwarten Sie für den Verlauf des Tages?
Dieser Spaltungsversuch ist in den letzten Jahren immer wieder unternommen worden. Bereits 2013 haben wir gesagt: Wir gehen gemeinsam los, wir werden gemeinsam ankommen. Es wurde bei der Polizei dieses Jahr im Vorhinein zwar von Deeskalation geredet, aber wenn rund 10.000 Polizeikräfte vor Ort sind und ein riesiges Aufgebot an Wasserwerfern, dann wird eine Drohkulisse aufgebaut. In den letzten Jahren ging die Eskalation dann letztlich von der Polizei aus und nicht von uns.
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