Die zutiefst überzeugte Transatlantikerin

Bierzeltrede Alle Welt lobt Merkel für ihre angebliche Härte gegenüber der Trump-Regierung. Dennoch dürften ihre Aussagen Trump gut in den Kram passen

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Angela Merkels Aussagen dürften Donald Trump im Grunde in den Kram passen
Angela Merkels Aussagen dürften Donald Trump im Grunde in den Kram passen

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Auf Merkels vielzitierte Aussage im bayrischen Bierzelt reagierte der Pressesprecher des Weißen Hauses, Sean Spicer, mit einer für viele überraschenden Antwort. Er findet Merkels Rede "großartig" und ergänzt: "Das ist genau das, was der Präsident erreichen wollte. Er wollte, dass die Last stärker verteilt wird." Der Belustigungs-Reflex, der nach den meisten kruden Aussagen Spicers in den liberalen Medien nicht lange auf sich warten lässt, war auch hier sofort wieder zur Stelle. Süffisant kommentiert die Süddeutsche Zeitung auf ihrer Facebookseite Spicers Statement mit den Worten: "Nun ja: Der eine sieht es so, der andere sieht es so." In dem Video erklärt die SZ, Spicer rede die Beziehung zwischen Merkel und Trump schön.

Man hat schon oft Unsinn von Spicer gehört, der Reflex, seine Aussagen kritisch zu sehen, ist also nachvollziehbar. Doch ist es nicht zu einfach, in diesem Fall der Trump-Administration einfache Schönfärberei zu unterstellen? Denn wenn Merkel davon spricht, die Europäer müssten ihr Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen, dann meint sie damit wohl die militärische Abhängigkeit der Europäer von den USA, die sie überwinden will. Dass es ihr tatsächlich ums Militär geht, wird auch dadurch deutlich, dass die Nationen, die Merkel unmittelbar danach erwähnt, die USA und Großbritannien sind. Die beiden schlagkräftigen Interventionisten im westlichen Militärbündnis nämlich, die in der Vergangenheit die dreckige Arbeit erledigt haben.

Um die kontinentaleuropäische Verteidigungsfähigkeit erreichen zu können, braucht Merkel höhere Militärausgaben und verstärkte Kooperation. Beides ist spätestens seit dem Nato-Gipfel in Wales 2014 ohnehin Politik der Bundesregierung. Zufälligerweise fordert Trump eine stärkere finanzielle Beteiligung der anderen Nato-Staaten und explizit Deutschlands, damit die USA nicht mehr für die Sicherheit anderer Staaten aufkommen müssen. Wenn Merkel also unmittelbar nach dem Nato-Gipfel davon spricht, dass die Europäer mehr Verantwortung übernehmen müssen, ist das genau das, was Trump sich vorstellt.

Wie kann es aber sein, dass niemand Merkel ihre Unterwürfigkeit gegenüber der US-Regierung vorwirft, sondern sie im Gegenteil für ihre klare Kante gelobt wird? Ihr taktischer Geniestreich liegt in der Begründung: Sie erklärt die Zeiten, in denen man sich völlig auf andere habe verlassen können, "ein Stück" für vorbei. Weil Trump nun einmal Trump ist und die Briten aus der EU austreten, impliziert sie, müssen "wir Europäer" zusammenrücken. Eine politisch vertiefte Europäische Union ist dem America-First-Präsidenten natürlich vollkommen egal. Solange er nicht die Rechnung für die europäische Sicherheit zahlen muss.

Merkel sagt eigentlich überhaupt nichts Neues. Die Zwei-Prozent-Marke im Militärbudget will sie immer noch erreichen, die europäische Verteidigungsunion immer noch vertiefen, die Amerikaner als Verbündete immer noch behalten. Aus diesem Nichts an Neuigkeiten strickt sie durch typisch schwammige Formulierungen eine Konstrukt, das jedem irgendwie Recht ist. Trump weiß, dass sie voll auf seiner Linie ist, der deutsche Wähler denkt, sie böte Trump Paroli. Das kommt im Wahlkampf gut. Und die Medien jubeln über die "zutiefst überzeugte Transatlantikerin" im Kanzleramt.

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