Du kannst nicht sagen: Jetzt bin ich kreativ

Interview Ein Blick hinter die Kulisse: Anna-Louisa Heymann spricht mit zwei Kostümbildnerinnen über ihre Arbeit, über Kreativität im Allgemeinen und Denkblockaden im Speziellen

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Du kannst nicht sagen: Jetzt bin ich kreativ

Foto: Alona Rodeh

Sandra Fink, Alona Rodeh, Ihr habt die Kostüme für die Performance von Ariel Efraim Ashbels Stück „All white people look the same to me“ hier beim Live Art Festival auf Kampnagel gemacht. Wie kommt ihr auf die Ideen für eure Kostüme? Wie kann man sich den Entstehungsprozess vorstellen?

Alona Rodeh: Das ist immer auf Bilder basiert, die vom Regisseur vorgegeben werden. Der hat meistens ein großes Angebot an verschiedensten Möglichkeiten, wie die Kostüme aussehen könnten und was er mit den Kostümen aussagen möchte. Das ist ein schöner Prozess. Für dieses Stück auf Kampnagel hatten wir ein Drei-Tage-Seminar, an dem alle teilnahmen, die auch am Stück selbst beteiligt sind. Die Schauspieler, die Lichtdesigner oder die „Visual-Crew“. In dem Seminar bekommen wir die Hauptmerkmale und Hauptwerte, die das Stück vermitteln sollen, mitgeteilt.

Sandra Fink: Das Konzept und die Philosophie werden dort präsentiert. Und meistens erhalten wir auch schon Ideen für das Material mit dem wir später arbeiten werden.

Alona Rodeh: Und ab dann entscheiden wir auf welche Bilder und Werte wir uns konzentrieren. Zum Beispiel, dass jeder Schauspieler zwei Kostüme haben wird wie in diesem Stück. Ab hier hat sich dann das Projekt aufgeteilt: Die ersten Kostüme wurden zu einer speziellen, bekannten Figur aus der Vergangenheit designt und die zweiten Kostüme haben alle ein Leopardenmuster als Thema. Es werden also zwei Welten dargestellt. Die eine basiert auf einen kulturellen Hintergrund aus der vergangenen Geschichte und die andere Welt zeigt das wilde Leben. Trotzdem sind diese verschiedenen Welten miteinander verbunden.

Inwieweit habt ihre Freiheit und Freiraum in eurer Kreativität? Oder anders gefragt: Wird viel vom Regisseur vorgegeben?

SF: Der Produzent gibt uns ein Geldlimit, aber ansonsten hatten wir speziell in diesem Projekt viel Spielraum für unsere Ideen. Ariel Efraim Ashbel ist sehr bildhaft. Arbeitet viel und gerne mit Bildern, die in seinem Kopf entstehen und aus denen er die Hauptaussage seines Stücks zieht. An diese Bilder und an seine Idee, was er mit dem Stück aussagen möchte, mussten wir uns halten. Du musst dich als Kostümbildnerin oder auch als Bühnenbildnerin an die allgemeine Philosophie und an die Idee des Regisseurs halten. Aber innerhalb dieser Idee und der Message dürfen wir uns frei bewegen.

Was macht ihr, wenn ihr mal nicht kreativ sein könnt, weil ihr Denkblockaden habt?

SF: Es ist nicht so, dass mir bei jedem Projekt sofort ein Licht aufgeht und ich sofort Inspirationen habe. Häufig kommen mir Ideen durch meinen Alltag. Wir beschäftigen uns auch häufig mit Dingen, die um uns herum sind. Du musst mit einer Methode arbeiten. Wenn du eine Methode hast und weißt wo du hinmöchtest und was dein Ziel ist, dann kannst du gar nicht unkreativ sein. Du kennst das Konzept und die Aussage, die der Regisseur vermitteln möchte, dann kannst du, selbst wenn du an einem Punkt deiner Kreativität scheiterst, immer wieder zum Anfangsbild oder zur Anfangsmessage zurückkehren und neue Ideen für Designs suchen. Und gerade bei diesem Stück hatten wir eine Menge Bilder und Ideen mit denen wir arbeiten konnten.

AR: Es kommt auf deine Konzentration an. Kreativität ist nicht wirklich ein Problem. Vielleicht am Anfang, aber wenn du dich genug konzentrierst und nachdenkst, nach Bildern suchst, dann fällt dir auch immer etwas ein.

SF: Kreativität kannst du nicht herbeifordern, wenn du es gerade brauchst. Du kannst nicht sagen: Jetzt bin ich kreativ. Es kommt, wenn du zu deinem Thema recherchierst.

AR: Genau. Es kommt häufig auch auf die Situation an, in der du dich gerade befindest. Dein Kopf hat immer Bilder und Ideen zu Themen parat so lange du weißt, was du vermitteln möchtest.

Was sind die genauen Produktionsschritte eines Kostümbildners?

SF: Wir hatten das Seminar, von dem wir eben erzählt haben. Daraufhin haben Alona und ich uns zusammengesetzt. Wir haben über die einzelnen Charaktere gesprochen und erste Bilder miteinander ausgetauscht. Zudem hatten wir viel Kontakt mit Ashbel. Mit ihm haben wir immer wieder unsere Ideen diskutiert.

AR: Ariel hat auf tumblr einen Blog, wo er zeigt was er mag und was ihn inspiriert. Das war für uns wie eine Art Moodwall und eine Hilfestellung für neue Einfälle in der gesamten Zeit der Vorarbeit. Man trifft sich zuerst immer mit dem Regisseur, damit er dir seine Vorstellungen von dem Stück erzählt. Hier werden auch schon erste Designideen besprochen. Während der Proben kommen dann weitere Ideen. Ideen werden aber auch mal verändert oder verworfen.

Müsst ihr eure Kostüme anders designen, wenn ihr für Performace Künstler arbeitet?

AR: Am Anfang des Konzepts nicht. Du musst genauso wie im traditionellen Theater wissen was die Aussage ist. Aber je weiter das Stück fortschreitet musst du auf mehr Dinge eingehen, als am traditionellen Theater. Performance ist viel aktiver. Die Schauspieler bewegen sich viel mehr als in einem „normalen“ Theater. Die Kostüme müssen also zu den Bewegungen passen und dürfen den Schauspieler nicht in seinen Aktionen hindern.

Wieviel Zeit habt ihr für die Produktion eines Kostüms?

SF: Auch das hängt vom Projekt ab. Bei diesem Stück im Besonderen sind die Kostüme erst in den Proben entwickelt und weiterdesignt worden. Ich kann keine genaue Zeit sagen. Die Proben haben zwei Monate gedauert. In dieser Zeit haben wir auch an den Kostümen gearbeitet. Einmal musste ich für ein Tanzstück Kostüme designen, da haben sie einfach nach der Hälfte der Zeit das Konzept des Stückes komplett verändert. Ich musste also wieder ganz vorne von anfangen und innerhalb einer Woche neue Kostüme zaubern, ansonsten hätten die Kostüme nicht zum Rest des Stücks gepasst. Das wäre bei diesem Stück nicht möglich gewesen, da wir 40 Kostüme gestalten mussten.

Anna-Louisa Heymann

Alona Rodeh hat Bildende Kunst an der Bezalel Academy in Tel Aviv studiert und Arbeit zurzeit meist in Berlin als Künstlerin und Kostüm- und Bühnenbildnerin.

Sandra Fink hat Textildesign studiert und eine Ausbildung in Make-Up- und Kostümdesign im Columbus Theater in Argentinien absolviert.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen eines Studentenprojektes derMacromedia Hochschule für Medien und Kommunikation unter der Leitung von Dozentin Simone Jung. Neun StudentInnen des Studiengangs Kulturjournalismus bloggen noch bis zum 14. Juni über das Live Art Festival "Exzess Yourself" auf Kampnagel auf liveartfestival.wordpress.com

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

MHMK Kulturjournalismus

Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation (MHMK) Studiengang Kulturjournalismus, Seminarleitung Simone Jung

MHMK Kulturjournalismus

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