Serie von Zweifeln

Ökologie Ein Naturkundemuseum auf Kampnagel widmet sich ausgestorbenen Tieren jenseits biologischer Ordnungen. Ein Gespräch mit dem Initiator Jozef Wouters

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"Wenn wir andere Bilder für Ökologie haben wollen, müssen wir bei dem Naturkundemuseum ansetzen"
"Wenn wir andere Bilder für Ökologie haben wollen, müssen wir bei dem Naturkundemuseum ansetzen"

Foto: MHMK

Stephen’s Island – eine kleine Insel in der Nähe von Neuseeland. Vor tausenden von Jahren war diese Insel das Heim eines behüteten Vogels. So behütet, dass er das Fliegen verlernte. Auf der Insel befand sich ein Leuchtturm, der von einem Mann bewacht wurde: David Lyall. Lyall brachte eines Tages eine Katze mit auf die Insel. Es dauerte nicht lange, bis die Katze alle Vögel umgebracht hatte. Der kleine Wren, die Vogelart, die verlernt hatte wie man fliegt, starb aus. Jetzt könnte man die Frage stellen: Wer hat Schuld? Ist der Leuchtturmwächter schuldig, weil er eine Katze mit auf die Insel brachte? Ist die Katze schuldig, weil sie die Vögel aß? Oder liegt die Schuld bei dem Vogel, der das Fliegen verlernte? Für Jozef Wouters, Gründer des „Zoologische Institut für Kürzlich Ausgestorbene Spezies“, ist die Antwort simpel: „Es geht nicht um Schuld. Es geht um Entscheidungen die getroffen werden, ohne die Konsequenzen zu kennen.“

Kim Bowman: Jozef, wir befinden uns auf dem Gelände des „Zoological Institute for Recently Enxtict Speies“, einem naturhistorisches Museum beim Live Art Festival auf Kampnagel. Was genau kann man sich darunter vorstellen? Wie kam es dazu?

Jozef Wouters: Das ist mein Vorschlag für ein naturhistorischen Museum. Ein Vorschlag für eine neue Art und Weise unsere Naturgeschichte zu erzählen. Das Institut für kürzlich ausgestorbene Tierarten ist eine Gruppe von Technikern, Wissenschaftlern, Historikern. Ich gründete es, weil ich als kleines Kind Geschichten darüber gelesen habe. Ich war schon damals von allem fasziniert, was mit Naturkunde oder Natur und Wissenschaft zu tun hat. Ich war fasziniert von diesen Tierarten, die nicht mehr hier sind. Daraus ist das Projekt entstanden. Sieben Geschichten davon befinden sich derzeit in diesem Museum.

Kannst du mir eine dieser Geschichten erzählen?

Die erste, die ich jemals hörte und mich faszinierte, war die des tasmanischen Wolfs. Er stammte aus der Familie der Kängurus, entwickelte sich weiter bis er anfing wie ein Wolf auszusehen. Er starb fast aus. Irgendwann gab es nur noch eine Familie, die bis auf ein einziges Weibchen ausstarb. Dieses Weibchen wurde in einem Zoo in Hobart in Tasmanien gehalten. Man sagt, dass ihr Name Benjamin war, aber das ist vermutlich nicht wahr, denn sie war ein Weibchen, also haben sie den Namen wahrscheinlich in den 1960er Jahren erfunden, um ihr mehr Persönlichkeit zu geben. Jedenfalls gab es nur noch dieses eine Exemplar und es starb, weil jemand vergessen hatte das Türchen zu öffnen, das zum Schlafkäfig führte und so erfror es in der Nacht zum 7./8. September 1936. Es gibt also ein genaues Datum, ein genaues Exemplar.

Und wie ging es dann weiter? Wie entwickelte sich deine Idee zu einem naturhistorischen Museum?

Dann habe ich begonnen viele solcher Geschichten von ausgestorbenen Tierarten zu lesen und herausgefunden, dass es sechs bekannte Spezies gibt, die ein letztes Individuum mit oft einem Namen und immer einem präzisem Todesdatum gibt. Ich hatte die Idee, dass diese Geschichten das Potential haben, die ganze Problematik und die seltsame Verantwortung und Dominanz des Menschen auf diesem Planeten in einem einzelnen Bild festzuhalten. Man kann sagen, dass Ökologie, was auch immer wir Ökologie nennen, unsichtbar ist. Und diese Geschichten haben das Potential etwas darzustellen, symbolisch und gleichzeitig konkret zu sein. Zudem sind wir als künstlerisches Kollektiv der Meinung, dass die Art und Weise wie naturhistorische Museen über Zeit erschaffen wurden und wie sie ihre Kollektionen präsentieren mehr als problematisch ist.

Warum?

Die ganze Idee der Naturgeschichte kommt von einem Wunsch nach Harmonie – ein Wunsch, der mit Linnaeus begann. Er war der erste, der versuchte eine Taxonomie zu kreieren, die ganze Natur mit allen Spezies darzustellen und praktisch Natur abzubilden. Ich denke man kann sagen, dass naturhistorische Museen immer noch diesen Wunsch haben, Natur als ein harmonisches Ganzes zu zeigen – die Natur als Tempel sozusagen. Ökologie besagt, dass wir diejenigen sind, die für diesen Tempel verantwortlich sind und dass wir sehr vorsichtig sein müssen, Spezies nicht aussterben zu lassen. Wir müssen die Natur irgendwie beschützen.

Und du bist nicht einverstanden, weil…?

Das Institut findet, dass wir eine sehr problematische Art und Weise haben Ökologie zu verbildlichen. Welche sind die konkreten Bilder, an die wir denken? Unsere Großeltern waren in Harmonie mit der Natur und unsere Enkelkinder werden eine Welt in Chaos erben. Konkret: Wir sind jetzt gerade die schuldige Generation. Es ist fünf vor 12, wir stehen am Rande des Abgrundes. Ich versuche gerade, diese Bilder zu beschreiben. Kürzlich haben sie eine Geschichte in Amerika gemacht, wo sie die Leute fragten: „Was sehen Sie, wenn Sie an Ökologie denken? Was ist das Bild von Ökologie?“ Mehr als die Hälfte der Personen sagten: „Schmelzendes Eis.“ Das ist das Bild was wir von Ökologie haben – schmelzendes Eis. Ich finde das problematisch. ...

Je mehr ich mit Wissenschaftlern gesprochen habe und je mehr ich darüber gelesen habe, umso mehr begann ich herauszufinden, dass wir 200.000 Jahre in der Zeit zurückgehen müssen, wenn wir von Ökologie sprechen. Zurück zu dem ersten Homo sapiens der Afrika verließ. Ein sehr interessanter Wissenschaftler erzählte mir, dass es keinen Beweis für ein harmonisches Ökosystem gibt, seit wir Afrika verlassen haben. Wir sprechen oft über Ökologie der letzten 200 Jahre. Wir denken die industrielle Revolution, die Entdeckung fossiler Brennstoffe sind „0“ und von da an ist alles schief gegangen. Ich finde es superinteressant über Ökologie im Rahmen einer Zeitspanne von 200.000 Jahren nachzudenken, dann hat es weniger mit Schuld zu tun. Man kann nicht sagen, dass wir Afrika nicht hätten verlassen sollen. Man kann nicht sagen, dass wir das Schwein nicht hätten zähmen sollen. Man kann nicht sagen, dass wir verschiedene Teile der Welt nicht hätten entdecken sollen.

Was heißt das für dich? Was muss sich ändern?

Der finale Gedanke ist doch: Wenn wir andere Bilder für Ökologie haben wollen, müssen wir beim Naturkundemuseum ansetzen. Naturkundemuseen sind für diese Bilder verantwortlich, indem sie die Gesellschaft mit Bildern versorgen. Und ich denke diese Bilder sollten nicht harmonisch sein, sondern zweifelhaft. Denn wir denken, Naturgeschichte ist eine Geschichte voller Zweifel, eine Geschichte voller Entscheidungen die getroffen werden, ohne die Konsequenzen zu kennen. Man könnte sagen, wenn Columbus die Konsequenzen von der Eroberung Amerikas gekannt hätte, die ökologischen, die weltweiten Konsequenzen, hätte er es vielleicht nicht getan. So viele Geschichten in unserem Museum handeln von Entscheidungen. Wir haben eine Kollektion von 34 Bildern, 34 exakten Momenten, gemacht. Eine Kollektion, die versucht unsere Naturgeschichte als eine Serie von Entscheidungen voller Zweifel darzustellen. Dazu schlagen wir vor, dass Naturkundemuseen ihre Kollektionen leeren und anfangen nach neuen Bildern für Ökologie zu suchen.

Jozef, vielen Dank für dieses Gespräch.

Die Rezension zu der Installation findet sich unter
https://www.freitag.de/autoren/mhmkkulturjournalismus/natur-hat-nichts-mit-harmonie-zu-tun

Die Rezension zu der Installation findet sich hier

Dieser Beitrag entstand im Rahmen eines Studentenprojektes derMacromedia Hochschule für Medien und Kommunikation unter der Leitung von Dozentin Simone Jung. Sechs Studentinnen des Studiengangs Kulturjournalismus bloggen noch bis zum 15. Juni über das Live Art Festival"ZOO 3000: Occupy Species" auf Kampnagel auf liveartfestival.wordpress

Kim Bowman
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

MHMK Kulturjournalismus

Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation (MHMK) Studiengang Kulturjournalismus, Seminarleitung Simone Jung

MHMK Kulturjournalismus

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