Tribüne der zeitgenössischen Menschlichkeit

Kritik Der Human Zoo auf Kampnagel transformiert gesellschaftliche Randgruppen zu Exponaten. Punks, Obdachlose und Flaschensammler in Käfigen stellen Stereotype auf den Kopf

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Der Versuch ein Foto vom Exemplar eines Frührentners zu machen scheitert, da dieser kamerascheu die Hand vor das Gesicht hält.
Der Versuch ein Foto vom Exemplar eines Frührentners zu machen scheitert, da dieser kamerascheu die Hand vor das Gesicht hält.

Foto: MHMK

Der „Human Zoo“ exponiert beim Live Art Festivals auf Kampnagel die gesellschaftlichen Randgruppen Deutschlands. Unter den Exponaten befinden sich symbolische Stellvertreter der Punks, Sinti und Roma, Alleinerziehenden, Frührentner, Asylbewerber, Straftäter, Hartz IV-Empfänger, Bettler, Obdachlosen und der Pfandflaschensammler. Durch Käfige separiert und vorgeführt, mit Arten-Informationsschilder und Kennnummern an den Gitterstäben - das Konzept vom Menschen-Zoo ist makaber, so manch ein Besucher entfloh der Szenerie schon kopfschüttelnd und „menschenverachtend“ murmelnd.

„Viele Frührentner wollen sich den stressigen Berufsalltag ersparen und etwas von ihrem Ruhestand haben, bevor sie es körperlich vielleicht nicht mehr genießen können. Ihr größter Feind ist die deutsche Rentenversicherung“, plärrt es aus den Kopfhörern des Audio-Guides. Der Versuch ein Foto von dem soeben betrachteten Exemplar zu machen scheitert, da dieser kamerascheu die Hand vor das Gesicht hält. Eine Angestellte des Zoos mit einem Bauchkiosk voller Junk Food als Futter für die hungrigen Bewohner schiebt sich an den Metallgittern vorbei. Die Tür gegenüber vom Zoo-Eingang öffnet sich und gibt den Blick frei in einen Souvenirshop der etwas anderen Art. Erstehen kann der Besucher dort Kaffeebecher und iPhone-Hüllen mit “Human Zoo”-Schriftzug, sowie Porträtfotos der Exponate als Postkarten.

Die experimentelle und nicht selten provokative Künstler-Gruppe “God’s Entertainment” aus Wien hat es sich mit ihrem Menschen-Zoo zur Aufgabe gemacht, dem Besucher vor Augen zu führen, wie erschreckend unmenschlich sein stereotypisches Denken und Handeln doch ist. Das Resultat: Eine Ausstellung, die an Unkonventionalität, Affront und Gesellschaftskritik kaum zu überbieten ist – und den Besucher ins Gefühlschaos stürzt.

Bedrückend, einengend und irreal fühlt sich ein Rundgang in der Ausstellung an. Zu spüren ist eine merkwürdige Diskrepanz zwischen Beobachten und beobachtet werden. Obgleich sich der Besucher normalerweise in der sicheren und führenden Position des Betrachters befindet, schwindet bei jedem Schritt entlang der mit schriftlichen Arten-Beschreibungen versehenen Käfige ein Teil seiner Selbstsicherheit und seines Wohlseins. Jeder Blickkontakt wird zur Tortur. Jeder Schritt zum Wagnis. Fühlt er sich ertappt? Schämt er sich? Oder begründen sich die irritierenden Gefühle schlichtweg in dem ungewohnten, extremen Anblick eines hinter Gitter eingesperrten, ausgegrenzten Mitmenschens? Vermutlich alles zugleich. „Von manchem Menschen angegafft zu werden ist echt unangenehm. Vor allem wenn sie sich in einer Gruppe vor den Gittern sammeln.“, gibt der Frührentner gequält zu. Ich drehe mich um und blicke in die Augen der Alleinerziehenden, die meinen Schritten an ihren vier eingezäunten Quadratmetern vorbei folgen.

Das unangenehme Scheinwerfer-Licht will einfach nicht vom Besucher weichen, und dass, obwohl er gar kein aktiver Teil der Exhibition ist. Dennoch fühlt sich dieser plötzlich als Exponat eines Zoos – ausgestellt als umherlaufendes Muster-Beispiel für einen stereotypisch denkenden, Mitmenschen isolierenden Bürger.

Ein Sachverhalt, der sogar schlimmer wiegt als die Tatsache, dass es sich bei den eingesperrten Menschen um real existierende Mitglieder der verschiedenen Randgruppen handelt: Dem Besucher wird bewusst, wie stereotypisch er tatsächlich denkt. Und, dass mitunter dieses triviale Denken den Auslöser für die vermutlich unwiderrufliche Ausgrenzung ganzer Gesellschafts-Gruppen darstellte. Der „Human Zoo“ am Kampnagel ist somit ein menschlicher Zoo, der das unmenschliche Verhalten der Alienation auf schmerzlich zynische Weise vergegenwärtigt und als Konsequenz ebenfalls tierische Zoos in ein anderes, noch kritischeres Licht rückt.

Info zu God’s Entertainment: Wiener Theater-Kollektiv, dass seine Zuschauer gerne miteinbezieht und deren moralische Grenzen testet. In „Fight Club realktekken“ etwa, erhielten zwei Zuschauer Joysticks, mit denen sie mittels Lichtsignale zwei reale Akteure wie in einem Videospiel steuern konnten. Die Folge waren ein blaues Auge, eine gebrochene Nase und eine gebrochenen Rippe. Neben internationalen Theaterbühnen spielt vor allem der öffentliche Raum eine große Rolle für die Projekte der zwölf Künstler.

Ein Interview mit Boris Ceko und Simon Steinhauser, Mitglieder bei “God’s Entertainment”, findet sich unter liveartfestival.wordpress.com

Dieser Beitrag entstand im Rahmen eines Studentenprojektes derMacromedia Hochschule für Medien und Kommunikation unter der Leitung von Dozentin Simone Jung. Sechs Studentinnen des Studiengangs Kulturjournalismus bloggen noch bis zum 15. Juni über das Live Art Festival "ZOO 3000: Occupy Species" auf Kampnagel auf

liveartfestival.wordpress

Miriam Petzold
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

MHMK Kulturjournalismus

Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation (MHMK) Studiengang Kulturjournalismus, Seminarleitung Simone Jung

MHMK Kulturjournalismus

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