Bis zum Bauch Gestiefelte kaufen eine Ananas

Reiseberichte Ohne Stolz und wider das Vorurteil durch Deutschland: Historische französische Reiseberichte voll des Lobes, guten Essens, hässlicher Leute und ohne Demokratie

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In der Stadt war keine einzige schöne Frau zu sehen und in der später besuchten Liebfrauenkirche heiratete prunkvoll ein venezianischer Verwalter der Fugger ein reiches aber hässliches Bürgermädchen. In den äußerst reinlichen Zimmern und Einrichtungen der Deutschen – ja nicht einmal in den Gasthäusern finden sich Spinnweben oder irgendein Schmutz – haben die Betten keine Vorhänge. Dafür wissen die hässlichen Frauen und indifferent gekleideten Männer – nicht einmal die Adligen vermag man zu erkennen – sich mit Federbetten zu decken, die wunderbar warm wie leicht sind. Aber sie kennen kein bequemes Unterbett, weshalb der Reisende möglichst eine Matratze mitführt und es wird ihm in der deutschen Bettstatt an nichts fehlen. (Wohl aber auch nur, sofern dort auf die hässliche deutsche Frau verzichtet werde.)

Der Monsieur de Montaigne bedauerte, auf seiner Reise zu den Deutschen keinen Koch mitgenommen zu haben, auf dass der sich eingehende Kenntnis von der deutschen Küche hätte verschaffen sollen, um sie zu Hause nachzuprobieren. Selbst in den einfachen Gasthäusern Lindaus, Kemptens, Augsburgs oder Pfrontens wird in einer Fülle und mit einem Wohlgeschmack aufgetischt, wie man es nimmer in den Häusern der französischen Edelleute erleben kann. Gerichte aus Quitten, mit eingemachten Apfelringen bedeckte Suppen und Salate sowie allerlei aus Kohl wird dazu mit einem Wein ohne Wasser aus Gemäßen serviert. Der Monsieur de Montaigne reiste um unterwegs zu sein und versuchte sich stets den lokalen Gebräuchen anzupassen; er trank den Wein ohne Wasser, obwohl er gewöhnlich kaum trank. Schwierig war dabei für ihn, dass im deutschen Gasthaus niemand auch nur einen Moment mit einem leeren Becher gelassen wird. Auch nennen die Deutschen sofort und geradeheraus den Preis und kennen kein Handeln. Ja, sie mögen Prahlhänse, Choleriker und Trunkenbolde sein – aber niemals Betrüger oder Spitzbuben.

De Montaigne genoß die Betten, die Küche, wohl auch den Wein, und versuchte, mit einer Pelzmütze verkleidet, unter den Augsburgern nicht als Fremder auszufallen (was ihm nicht gelang). Sein durchweg positives Urteil über das Land der Deutschen mag aber auch mit der leidenschaftlichen Verachtung seines eigenen zusammenhängen. Circa im Dezember 1581 kehrt Michel de Montaigne nach Schloss Montaigne im Périgord zurück. Er war, noch abwesend, zum Bürgermeister von Bordeaux berufen worden.

Mit den Brüdern Goncourt reisen in der Eisenbahn von Heidelberg deutsche Frauen, die aussehen wie englische Zimmermädchen und hässliche Männer, die Konsonanten gurgeln. Die Frauen in Berlin gleichen dagegen den Portraits von Lawrence. Dekolletiert, deckelförmiger Strohhut mit schwarzer Spitze. Dabei haben sie ein Lächeln von Augen und Lippen, das einen Sekundenroman entstehen lässt, der mit dem nächsten erblickten Antlitz bereits wieder ein ganz neuer wird. Berlin ist voller Keller, wo man die Nacht verbringt. Der Unterbau einer Stadt, die wie eine in Amerika gebaute Kaserne aussieht; bald wie eine Militärschule unter dem Dreispitz Friedrichs.

Aber von Frankfurt bis Kassel meinen die Franzosen, die Städte seien von Louis XV erbaut. Auch Nymphenburg etwa, wie stets in Deutschland, eine Imitation von Versailles. Ein Rokoko, wie es ihn zu Hause, im Land der Demolierungen, schon lange nicht mehr gibt. Und das kleine Kassel mit seiner Wilhelmshöhe muss doch einen Regenten haben? Ja, der ist aber zugleich Tyrann und hat sich eine Prinzessin von subalternem Rang gekauft, die er den anderen Souverains nicht zeigen kann. Ihr habt doch aber eine Konstitution und Kammern und so doch sicher auch eine Opposition, fragen die Goncourts. „Jawohl, Monsieur, wir haben eine Opposition.“ Ja also? „Nichts, Monsieur. Es gibt niemanden bei uns, der sich an die Spitze der Opposition setzen will.“

Während die Berliner oberirdische Kasernenstadt ein Hort fahlen Protestantismus' und Pietismus' zu sein scheint, liegen in den Kellern und dem Garten der Kroll-Oper die Frauen in Gruppen im Rausch versunken und von der Prostitution ermattet auf den Diwanen. Dazwischen Klavierspieler in den Zigarrenrauchschwaden der Männer, die übrigens in Deutschland überall von einer verwaschenen Hässlichkeit sind, grau und stumpf, wie aus Schwarzbrotteig geschnitten; dazwischen trippeln ab und zu Frauen mit Schritten wie von Wiedergängern und Gesichtern, die Bildern Holbeins entstammen. Die Goncourts in traumumwirkten Abenden in einem Berlin des Obergerichtsrates und dauerberauschten Phantasten E.T.A. Hoffmann. Das ermattet sogar die Pariser.

In der Ebene von Leipzig wird den Goncourts plötzlich komisch, dass sie per Eisenbahn durchreisen, wo der Vater im Kugelregen ritt und Frankreich seine Knochen verstreute. Das Deutschland Werthers, Fausts, der Margarete und Mignon, dieser Sanften, für die der Gewissensbiss stets poetische Rührung ist. Deutschland, ein Land unter kaltem, nördlichen Himmel, dabei immer voll der Sehnsucht nach den warmen Ländern, nach dem Exotischen. Die Gärten voller Blumen, die Geschäfte voller Früchte aus dem Süden. Bis zum Bauch Gestiefelte kaufen eine Ananas.

Am Sonntag, den 30. September 1860 sind Edmond und Jules de Goncourt zurück in Paris. Es kommt ihnen grau vor, die Frauen hässlich. Nichts lächelt ihnen im Vaterlande zu, nicht einmal ihr Zuhause.

Michel de Montaigne, Philosoph, Politiker, Begründer der Essayistik und begeisterter Reisender brach im Oktober 1580 zu einer großen Reise durch Deutschland, die Schweiz und Italien auf.

Edmond und Jules de Goncourt, die Könige der französischen Gesellschaftsjournaille, des Klatsches und gehässiger Indiskretion, reisten im Herbst 1860 in Begleitung des Historikers Paul de Saint-Victor nach Deutschland.

Sehr gerne lese ich im „Buch des Reisens. Von den Seefahrern der Antike zu den Abenteurern unserer Zeit“, Propyläen 2015

Zu einem großen Teil bediene ich mich der Worte der Reisenden, wie sie übersetzt im "Buch des Reisens. Von den Seefahrern der Antike zu den Abenteurern unserer Zeit", herausgegeben von Rainer Wieland, zu finden sind.
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Geschrieben von

miauxx

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miauxx

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