Literatur", so schreiben Dieter Kosslick und Jürgen Boos schlicht in ihrem Vorwort zu Books at Berlinale 2008, "Literatur war immer eine der wichtigen kreativen Quellen für den Film". Dieser Einsicht folgend haben sich Berliner Filmfestspiele und Frankfurter Buchmesse eng verzahnt. So wie es in Frankfurt ein "Forum Film TV" gibt, so bietet die Berlinale einen Marktplatz für zehn ausgewählte internationale Bücher, die ideal für eine fiktionale Adaption sein sollen. Wenn es noch eines Beweises bedarf, wie nah sich Literatur und Film gekommen sind, dann liefert ihn der Blick in die Produktionsspiegel der Filmförderer und die Kino-Startlisten der Verleiher. Auswahl gefällig? Max Färberböck hat Anonyma - eine Frau in Berlin verfilmt, Heinrich Breloer nimmt sich Thomas Manns Klassiker Buddenbrooks an, Hermine Huntgeburth entdeckt nach R.W. Fassbinder Fontanes Effi Briest wieder, Vivian Naefe macht sich an eine neue Folge von Die wilden Hühner, Stephen Daldry verfilmt Bernhard Schlinks Welterfolg Der Vorleser mit entsprechender Starbesetzung, und Detlev Buck trägt sich mit der Idee, Daniel Kehlmanns Bestseller Die Vermessung der Welt als Kinostoff aufzubereiten. Kein Wunder, dass mittlerweile von einer "Inflation der Romanverfilmungen" die Rede ist.
Unter diesem instinktsicher gewählten Titel diskutierte unlängst eine prominent besetzte Runde auf einem Kölner Medienkongress über die Verwandtschaften zwischen Roman und Film. Doch zum Disput kam es nicht. Dazu waren sich die Teilnehmer von Adorf bis Wellershoff zu einig in ihrer Affirmation zum Thema. Nur zu gerne ließ man sich von einer Fachfrau der Frankfurter Buchmesse erzählen, der prozentuale Anteil der Literaturverfilmungen sei über Jahrzehnte gleich geblieben. Kein Wort davon, dass die Wahrnehmung von Literaturverfilmungen noch nie so hoch gewesen ist wie derzeit. Erinnerungen an Schlöndorffs Die Blechtrommel wurden beschworen, nachträgliche Erklärungen für den weltweiten Erfolg zitiert, doch ausgeblendet blieb dabei, wie wenig typisch und stilbildend dieser Film für den deutschen Film jener Jahre gewesen war. Die Blechtrommel fiel so sehr aus dem Rahmen, dass sich ihr Regisseur beinahe entschuldigend für seine Beschäftigung mit diesem Stück Weltliteratur rechtfertigte.
Schlöndorffs böses Wort "von den wenigen guten Autoren und den wenigen guten Drehbüchern", die ihm keine andere Chance gelassen haben, als sich nach einer literarischen Vorlage umzusehen, ist unvergessen. Dabei sollte es historisch geworden sein. Denn in einer Zeit, da Filmhochschulen wie Pilze aus dem Boden geschossen, Drehbuchautoren mit Diplomabschluss in Bataillonsstärke herangewachsen sind und literarische Heimwerkeranleitungen vorzugsweise amerikanischer Drehbuchgurus zu den ewigen Bestsellern bei Zweitausendeins und anderswo zählen, ist an die Stelle von Mangel der schiere Überfluss getreten. Doch es steht die Frage, ob sich hinter diesem neuen Reichtum nicht eine große Armut verbirgt.
Vom Selbstbewusstsein einer Film- und Fernsehbranche, aus sich selbst heraus Stoffe zu generieren und ihre eigenen Autoren zur Meisterschaft zu führen, ist de facto nicht viel geblieben. So wie die Historienfilme ein kaum erwartetes Comeback gefeiert haben, so hat die Literatur einen vor wenigen Jahren kaum für möglichen gehalten Stellenwert erobert. Typisch für die kurze Zeit der Fixierung auf Gegenwartsstoffe ist der ungläubige Ausspruch eines verdienten ARD-Fernsehspielchefs, der die vierteilige Verfilmung von Uwe Johnsons Opus magnum Jahrestage (2000) wie folgt kommentierte: "Ich dachte, wir hätten das Zeitalter der Literaturverfilmungen im Fernsehen endgültig hinter uns gelassen."
Das alte Satz von Billy Wilder, "am Anfang steht das Buch, das Buch und nichts als das Buch", wird zwar gern und oft bei Preisverleihungen strapaziert, doch die Praxis sieht anders aus: Mehr und mehr scheinen Produzenten originären Filmstoffen und somit deren Autoren zu misstrauen. Für Rucksackfirmen wie für renommierte Filmadressen gilt stattdessen die Devise, sich nach verfügbaren und geeigneten literarischen Vorlagen umzuschauen. Die Option auf einen Roman, eine Novelle, gar einen Comic - das sind die Krücken, mit denen in der Hand sich ein Produzent auf den langen Weg macht, um Förderinstanzen und Fernsehredaktionen von der Originalität und Qualität eines Stoffes zu überzeugen. Er wirbt mit den Namen eines berühmten Autors, kann auf Auflagenhöhen und Auslandsverkäufe verweisen und erspart sich das endlose Ringen um dramatische Höhepunkte und dramaturgische Strukturen. Hier scheint alles bereit zu liegen: in den reichen Steinbruch Literatur muss dann nur noch ein Autor geschickt werden. Als kleiner Sachbearbeiter.
Um recht verstanden zu werden: Der Rückgriff auf die literarische Vorlage muss nicht zwangsläufig einen Verlust an Gegenwärtigkeit, Qualität und ästhetischer Aussagekraft bedeuten, aber in vielen Fällen tritt genau das ein. Und das liegt an der Blindheit, mit der ein auf Marketing fixiertes Verständnis zu Werke geht. Der Ruhm des Buchs und die Erwartungen des Publikums erlauben keine allzu großen Abweichungen. Bei dieser Art der Gewinn kalkulierenden Adaption gerät in Vergessenheit, dass das literarische Narrativ grundsätzlich ein anderes ist als das filmische. Die Einsicht, dass Literatur aus Worten besteht, Film aus Bildern ist ebenso fundamental wie banal, aber wie alle fundamentalen Einsichten wird sie im Verlauf der Geschichte eines künstlerischen Mediums immer wieder vergessen. Die so genannten "schönen Bilder", die sich aus der Vorstellungskraft einer Regie und der Geschicklichkeit eines Kameramanns ergeben, der entweder als Meister des Lichts oder Atem beraubender Bewegungen Zeugnis von seinem Handwerk ablegt, sind eben nur schöne Bilder, wenn sie nicht ein eigenes filmisches Narrativ begründen. Und sie bleiben Dekoration und Ornament, spielen ohne Erkenntniszuwachs mit dem Schauwert von ästhetischer Überwältigungskraft, wenn sie mit einem psychologisch grundierten Realismus zusammentreffen. Der herrscht in den meisten Büchern vor, die als "filmreif" gelten.
Solche und ähnliche Überlegungen wurden das letzte Mal vom europäischen Autorenfilm herausgearbeitet, der Literaturverfilmungen deshalb auch ablehnte. Vorbei sind die Zeiten eines Godard und in seinem Gefolge eines deutschen Autorenfilms, die erst ein Bewusstsein dafür geschaffen haben, dass Film eine eigene Sprache, ein eigenes Zeichensystem besitzt. Für diese inzwischen klassische Schule, die sich auf die Filmgeschichte und deren visuelle Erfindungen beruft, hängt ein filmisches Narrativ nur lose an Personenzeichnung oder einem Plot, sondern am Zusammenfügen von zwei Einstellungen, die dadurch etwas Drittes ergeben, was es so nur im Film geben kann. Erst dieses Dritte macht das filmische Narrativ aus.
Es gibt Regisseure und Autoren, die sich dieser Aufgabe bewusst sind. So bekannte Max Färberböck bei der erwähnten Kölner Diskussion: "Man macht einen Film, um der Poetik des Buchs gerecht zu werden und im nächsten Schritt geht es darum, die Wahrheit noch einmal neu zu erfinden." Die Literatur liefert in dem Fall das gewünschte Alleinstellungsmerkmal und eine Fülle an Anregungen. Umgekehrt verbirgt sich aber hinter der unendlichen Kette der Verfilmungen von Jugend- und Kinderbüchern die moderne Genrefixierung des deutschen Films. Hier geht es nur um Marktsynergien, wie sie ihren Niederschlag auch im Verkauf von T-Shirts und anderen Merchandise-Produkten finden.
Der Kinderfilm ist in Deutschland das B-Picture der Gegenwart geworden. Hier ist der Film bei seinem Zielpublikum angekommen und er will nichts anderes erzählen als das, was die Vorlage bereithält: Von den romantischen Sehnsüchten und heimlichen Träumen einer pubertären Generation berichten. Hier ist die Gefahr, bei Abweichung von der Vorlage mit dem Zorn des Publikums bestraft zu werden, besonders groß. Das auf Lehrformeln, Baukästen und Genres fixierte Schreiben wird zu einer besonders rigide befolgten Notwendigkeit.
Die neue fusion von Literatur und Film, der auf den deutschen Bühnen unter anderen Vorzeichen eine von Film und Theater entspricht, kann sich freilich auf veränderte erzählerische Formen berufen. Vorbei sind die Zeiten des Nouveau Roman, die Zeiten der Sprachexperimente eines Ernst Jandl, der sprachlichen Tiefenbohrungen eines Helmut Heißenbüttel oder Walter Höllerer. Die deutschsprachige Literatur hat sich im Lauf des, geschätzt, letzten Jahrzehnts stark dem angloamerikanischen Erzählstil angenähert. Die bewusste Selbstbescheidung, die Feier von Sprache als Wahrheit für sich selbst und Literatur ohne eine Verpflichtung zu äußerer Handlung, ist den Amerikanern immer fremd geblieben. Dort feiert die Allianz der Gattungen ungeniert Triumphe: Oscars für die Coen-Brüder und ihre Adaption von Cormac McCarthys mythologischem Roman Kein Land für alte Männer und Oscars für Paul Thomas Andersons There will be blood nach Upton Sinclair. Und was passiert als Reaktion in Deutschland: Im Feuilleton der Zeit wird dem Leipziger Buchmessenpreisträger Clemens Meyer und seinen Kollegen das Etikett "nicht filmreif" aufgeklebt. Zu provinziell und intellektuell zu eng, lautet das Verdikt. Leider wird aber nicht gesagt, warum es eine literarische Qualität sein soll, "filmreif" zu sein.
Brauchen wir am Ende nicht mehr, sondern andere Literaturverfilmungen? Das "Buch zum Film", das es ja nun schon seit einiger Zeit gibt, zeigt, dass es nicht nur ein Bedürfnis gibt, aus den Worten die Bilder zu entwickeln, sondern auch aus den Bildern die Worte, selbst wenn es sich meistens nur um die Nachreichung des Drehbuchs handelt, garniert mit Fakten, Zahlen und Anekdoten. Gegen diese eher banale Verschriftlichung von Film seien hier drei Bespiele aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft genannt, die vom fruchtbaren Umgang mit Literatur wie Film zeugen.
Alexander Kluges Abschied von gestern ist erstens nicht einfach die Verfilmung einer Geschichte, die er einmal geschrieben hatte. Das aktuelle Dokument wäre zweitens Jutta Brückners Buch Bräute des Nichts, das nicht das Programmbuch ihrer Video-Performance gleichen Namens ist. Und drittens kann es kein Zufall sein, dass der Suhrkamp Verlag eine neue "filmedition" auflegt. Wieder begegnet uns der Name Alexander Kluge. Der trägt sich bekanntlich mit der hochfliegenden Idee einer Verfilmung von Marxens Kapital und hat sich etwa mit Tom Tykwer prominente Regieunterstützung gesichert. Die "filmedition" breitet in einem Essay und auf drei DVDs die theoretischen wie ästhetischen Vorarbeiten aus. Drei Fundstücke, die als Beleg genommen werden können, dass die jeweiligen Wahrheiten der unterschiedlichen ästhetischen Formen nebeneinander und unabhängig voneinander bestehen. Sie treffen sich in einem Dritten. Sie begründen ein eigenes Feld der Wahrnehmung.
Michael André arbeitet als Dramaturg in der WDR-Redaktion Film und Serie. Mit Literaturverfilmungen hatte er in der Praxis häufiger zu tun: Von Jahrestage (1999/2000) nach Uwe Johnson bis aktuell zu Jobst Oetzmanns Zweier ohne (Mitte Oktober im Kino) nach der Novelle von Dirk Kurbjuweit.
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