Sozialisten, die die Absetzung Hitlers fordern und in ihrem ideologischen Kampf gegen den braunen Machthaber und seine künstlerische Darstellung von Gott und der Welt Solidarität einfordern. Hier ist nicht die Rede von Lothar Bisky und seiner Partei. Von der Linken ist kein Protest gegen die deutsche Premiere von Mel Brooks Nazi-Musical The Producers bekannt geworden, auch wenn alarmistische Schlagzeilen etwa im englischen Guardian vermuten ließen, dass mit dieser Inszenierung im Berliner Admiralspalast eine neue Götterdämmerung bevorstehe: „Berlin hält den Atem an“. Von wegen. Berlin hat ruhig durchgeatmet und den Musical-Klassiker über zwei mit dem NS-Tabubruch wider Erwarten erfolgreiche und zugleich finanziell monströs gescheiterte Broadway-Produzenten mit heiterer Begeisterung aufgenommen. Kein Protest, kein Skandal.
Verwandtschaft der Totalitarismen
Doch die eingangs beschriebenen hysterischen Reaktionen hat es wirklich gegeben. Nur liegt ihr Schauplatz rund tausend Kilometer weiter östlich in Russland und die Aufregung ein paar Monate zurück. Die zornigen Verbotsforderungen galten auch keinem Import-Musical, sondern einem Film aus heimischer Produktion, der nie in deutsche Kinos gelangt ist, der aber den in aller Welt verständlichen Titel Gitler kaput trägt. Als kaputter Typ wird nicht nur Hitler gezeichnet. Die Geschichte des Untergangs des großdeutschen Reichs wird zu einer atemlosen Nummernrevue eingedampft und dabei wird lustvoll jede Menge politisches Porzellan zerdeppert.
Die Figur eines sowjetischen Spions im Reichssicherheitshauptamt wird erst auf James-Bond-Format aufgeblasen und lächerlich gemacht. Zugleich endet dieser Olaf Schurenburg tragisch als Verräter, der von Wehrmacht wie von Roter Armee gejagt wird. Ganz im Sinne einer klassischen Konvergenztheorie behauptet Marjus Waisbergs Film eine innere Verwandtschaft der Totalitarismen. Schurenburg entkommt durch eine unsichtbare Tür und tritt ein in den uralten Mythos von Mütterchen Russland. Starker popkultureller Tobak für ein Land, das sich auf dem Weg zu einer Identität mit neuer Begeisterung Stalin in die Arme wirft und Halt versucht zu finden im alten Traum von geopolitischer Größe, über Terror und Gewalt als notwendige Bestandteile eines Systems dabei gnädig hinwegblickt.
Angstfreie Begegnung
Das Lachen über diesen gescheiten, aus vielen filmhistorischen Quellen zitierenden und sich an viele Erzählhaltungen orientierenden Nazi-Film kann Russlands Kinogängern nicht leicht gefallen sein. Was hier auf dem Altar rücksichtsloser Filmkomik zu Teilen geopfert wird, ist der mit 27 Millionen Toten erkaufte Sieg über Hitler und den Faschismus. Dieser Mythos machte nicht wenig das innere Band der späten Sowjetunion aus. Jetzt erscheint Hitler nur noch als ein Popanz, der wie ein Derwisch durch seinen Hofschranzenstaat wirbelt und der am Ende zusammen mit Eva Braun in Bondage-Manier gefesselt in der Reichskanzlei liegt.
Womit wir über das Lachen eines anderen Publikums wieder zurück im Admiralspalast wären. Zurück unter Deutschen, die mit dieser Affektreaktion auf einen ebenfalls lächerlichen Hitler etwas anderes bewältigen. Sie lachen ihre nationale Schande, ihre kollektive Beschämung weg. Wie gut das mittlerweile gelingen kann, wie wenig angstbesetzt diese Begegnung mit einem für Deutschland neuen, für den Broadway alten, für Hollywood uralten Stoff gelingen kann, davon liegt diese Adaption Zeugnis ab.
Perfektes Entertainment
Susan Stroman, als Regisseurin und Choreographin mit The Producers hinlänglich erfahren, zeichnet auch verantwortlich für die deutsche, aus Wien übernommene Version. Ihr gelingt es, trotz kleinerer Abstriche, in der fremden Sprache zu bewahren, was die große Qualität dieses Musicals ausmacht. Wenn der junge, aschblonde SS-Offizier schmelzend das Leitmotiv Frühling für Hitler singt, dann liegt so viel erotische Verführungskraft in dieser schönen Stimme, das einem schlagartig klar wird, welch eine Faszination der Nationalsozialismus auf seine Anhänger ausgeübt haben mag. Hitler erst auf einen Knilch zu stutzen und dann auch noch phantastisch aus dem Weg räumen, ist eine Kunst. Eine ebenso große Kunst besteht darin, seiner unheilvollen Suggestionskraft gerecht zu werden. Genauso das gelingt Brooks, und das schafft auch noch die deutsche Version.
Dieses Musical ist nicht nur handwerklich perfektes Entertainment zur Behandlung abgelebter Traumata. Eine solche Schlussstrich-Analyse wäre kurzsinnig, Denn jede neue Inszenierung von Werken wie The Producers eröffnet zugleich die Chance für eine Beschäftigung mit oft behandelten, aber noch immer nicht befriedigend geklärten Fragen. Etwa warum der Nationalsozialismus längst nach seinem politischen Ende so stark zu perversen und sexuellen Phantasien einlädt. Bei Waisberg erscheint Hitler als Kokser, bei Brooks als Tunte. Es wäre doch interessant herauszufinden, ob nun die russische oder die amerikanische Sicht hellsichtiger ist.
The Producers Bis zum 19. Juli im Admiralspalast, Berlin. Gitler kaput Russland 2008, in Originalfassung als DVD etwa bei www.polyska.de
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