Irgendwo war zu lesen, dass Peter Handke neuerdings mit dem Gedanken spielt, sich eine E-Mail-Adresse zuzulegen. Eine Mail von „Peter Handke“ zu empfangen, scheint mir absurd, ich würde es für den Scherz eines Freundes halten. Man kann sich einen Peter Handke nicht als Schreiber von E-Mails vorstellen. Wir Fans wollen ja auch nicht wahrhaben, dass unser Idol mit seinem alten Freund, dem Medienunternehmer und Kunsthistoriker Hubert Burda, gut gelaunt über den Kulturbetrieb klatscht. Und nur widerwillig haben wir beim Lesen des gerade erschienenen 700-seitigen Briefwechsels mit seinem langjährigen Verleger Siegfried Unseld zur Kenntnis genommen, dass er sich sehr genau um die finanziellen Aspekte seines Schriftsteller-Daseins kümmert.
Nein, unser Handke ist kein Geschäftsmensch und kein Gesellschaftsmensch. Eigentlich ist er auch kein politischer Mensch. Zwar hat er immer wieder die unseligen Traditionen in seiner Heimat Österreich kritisiert – am 6. Dezember 1942 wurde er in Kärnten geboren – und in den achtziger Jahren den früheren UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim für sein Schweigen zur NS-Vergangenheit angeprangert. Aber seine heikelste politische Einlassung, die Parteinahme für Serbien Ende der neunziger Jahre, scheint uns primär seiner Liebe zu den Unvernünftigen und den von allen guten Geistern Verlassenen geschuldet.
Serbien wird von der ganzen Welt verfolgt und gemieden, keiner fährt mehr hin – na schön, dann fahr ich hin, dachte er sich wohl. „Ich habe, als ich meine Winterliche Reise schrieb, Serbien unter dem Embargo erlebt, wie ich es nicht kannte“, sagte Handke später, und man darf ergänzen: Was immer er Dummes zu Karadžić oder Milošević gesagt haben mag, er kennt den Balkan von vielen Reisen, ist ihm durch Herkunft verbunden, seine Mutter stammte ja aus Slowenien.
Ästhetik des Alleinseins
Unser Handke ist also geradezu ein Einsamkeits-Süchtiger. Seine Texte sind ein langer Beitrag zu einer noch zu schreibenden Ästhetik des Alleinseins. Natürlich sucht der Einsame den Bund mit dem Leser, und dann sind sie zu zweit einsam. In der Geschichte des Bleistifts aus dem Jahr 1982 wünscht sich Handke, einmal einem Prediger zu begegnen, der es mit Leib und Seele ist und die Leute erwecken will. Als er dann auf einen stößt, war jener der „einsamste Mensch im Dorf“.
Nennt uns einen Buchtitel, und wir sagen, welche Einsamkeit aus ihm strömt: Die morawische Nacht, oder Wunschloses Unglück, hier erzählt Handke von der einsamen Mutter, oder In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus. Es geht da um einen Apotheker, der aufbricht mit zwei Freunden, was machen die eigentlich? Öfter erinnert man sich an die Plots seiner Bücher nur grob, weiß noch nicht einmal so recht, ob darin gesprochen wird. Gibt es in Handkes Prosa eigentlich Dialoge?
Was aber als Eindruck fraglos bleibt, ist eine kolossale Stimmungstiefe. Meister der Dämmerung lautet die Biografie von Malte Herwig, die gerade als Taschenbuch erschienen ist, und wenn man Herwig bittet, ein Bild für diese Handke-Stimmung zu finden, dann schreibt er: „Als ich Handke im Oktober bei Paris besuchte, kehrte er gerade vor dem Haus das Laub und schien mich erst gar nicht zu bemerken, wie ich den kleinen baumgesäumten Pfad auf das Tor zuging. Ein wunderbares Bild, dieser fast 70-Jährige, wie er dasteht mit hochgekrempelten Ärmeln, in feiner, aber abgetragener Anzughose, und barfuß im Nieselregen das Laub zusammenrecht. Ich könnte ihn stundenlang beobachten, wenn er so vor sich hinwerkelt.“
Handke, der Stimmungskünstler, der in seinen Büchern und Interviews dann auch schnell verstimmt wirkt, bis schließlich doch flüchtig etwas zusammenkommt, ein Wort zu einem Ding vielleicht. Dass nichts mehr zusammenfindet, war lange sein Programm, war auch Zeitgeist, als er in den sechziger Jahren anfing zu schreiben.
Noch als Grazer Jurastudent beendete er seinen Erstling Die Hornissen. In jenen „Beat-Jahren“ entstand dann auch die famose Publikumsbeschimpfung, aber die Bühne und Handke, insbesondere Peymann und Handke – das sollen andere bewerten. Hier soll nur vermerkt werden, dass die Einsamkeit irgendwann einmal auch seine Stücke ergriffen hat. In den Nullerjahren lagen auf den Tischen der Buchhandlungen immer mal Stücke wie Untertagblues. Ein Stationendrama recht verloren, wurden selten gekauft (von mir aus schlechtem Gewissen) und kaum gelesen. Und nun muss gesagt werden, dass viele, die jetzt zum 70. rufen: Handke!, ja, dass die ihn bis vor Kurzem einfach vergessen hatten. Und auch wir Handke-Einsamkeits-Fans, vermutlich allesamt Männer, haben in jener Zeit primär den Retro-Band Gestern unterwegs. Aufzeichnungen November 1987 bis Juli 1990 gelesen. Der Schriftsteller unterwegs, oft zu Fuß an Ausfahrtstraßen entlang, allein.
Es bleibt natürlich im Rahmen einer solchen Fan-Existenz nicht aus, einmal den Ort aufzusuchen, an dem der Meister seit 1990 schreibt und lebt, ohne ihm selbst zu nahe zu kommen (man ist ja nicht sein Biograf). Dieses Chaville ist geradezu der ideale Handke-Ort, in manchen seiner jüngeren Prosa verklausuliert beschrieben, reine Vorstadt, Peripherie, die Weltstadt Paris im Rücken. Wir hatten uns den Scherz erlaubt, in der Gemeindebibliothek von Chaville nach seinen Büchern Ausschau zu halten. Es war auch einiges da, als wir aber die Frau an der Ausleihe darauf ansprachen, dass der berühmte Autor ja in der Gemeinde selbst wohne, war ihr das unbekannt. Seit man weiß, dass Handke nicht nur die Einsamkeit liebt, sondern auch einen verschmitzten Humor hat (Versuch über den stillen Ort), kann man sich gut vorstellen, dass ihm diese Reaktion gefallen könnte.
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