Ganz Gallien? nein, ein unbeugsames Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten …“ Es war wohl nicht zuletzt diese griffige Formel im Prolog der Asterix-Bände, die viele deutsche 68er zu begeisterten Lesern machte. Ist Asterix also ein Linker avant la lettre? Wer dieser Vermutung nachgeht, stößt schnell auf zwei Motive in seinem Handeln: Anti-Imperialismus und internationale Solidarität. Sie bedingen sich gegenseitig, stoßen jedoch auch an Grenzen; weder will Asterix das römische Imperium vernichten (was dank des Zaubertranks bestimmt möglich wäre), noch arbeitet er auf die totale Überwindung der Sklavenherrschaft hin. So wie er den Sklaven von Fall zu Fall hilft, so scheint ihm ein „kalter Frieden“ mit den Römern akzeptabel. Und das Selbstbestimmungsrecht der Völker befürwortet er zwar (Asterix bei den Schweizern), aber primär ist er doch um sein Dorf besorgt. Das ist auch Thema des ersten Asterix-Bandes, der am 29. Oktober 1959 in Frankreich erschien.
Man könnte Asterix also einen Gefühlslinken nennen. Dafür spricht auch eine Beobachtung, die der Finne Keijo Karjalainen in seinem schönen Buch Politix mitteilt: „Asterix größte Schwäche liegt im Umgang mit Finanz-angelegenheiten“. Manchmal hat man sogar das Gefühl, dass Asterix keinen blassen Schimmer von Ökonomie hat – so lässt er einmal tatsächlich den Käufer selbst den Preis bestimmen! Dagegen spricht allerdings Obelix GmbH Co. KG. Die Gallier finden Gefallen am Reichtum, den ihnen der Verkauf von Hinkelsteinen an die Römer bringt, unter denen sie als schick gelten. Im stillen Wissen darum, dass die Überproduktion die Preise ruinieren wird, animiert Asterix die Dorfbewohner, noch viel mehr Hinkelsteine zu produzieren. Der listige Plan geht auf. Der Schmied schmiedet wieder und der Fischverkäufer verkauft wieder seinen leidlich frischen Fisch.
Die Episode zeigt, wie verführbar die Dorfbewohner sind. Man kann getrost behaupten, dass Asterix seine größten Anstrengungen gar nicht darauf verwendet, die Römer zu schlagen, sondern drauf, die Dämonen der Verführung zu bekämpfen, wie sie etwa durch die Versprechungen des Sehers bei seinen Mitbürgern geweckt werden. Aber das sind Pyrrhussiege. So überzeugend sich Asterix gegen diesen Scharlatan als kritischer Rationalist (à la Helmut Schmidt) profiliert, so blind ist er für die vitalen Kräfte, die aus dem Rausch und der Größe steigen.
Dionysisch hätte Nietzsche diese Kräfte genannt, aber mit solchen Dingen braucht man Asterix nicht zu kommen. Er ist kein „Intellektueller“, auch wenn das der stumpfsinnige, eben erschienene Jubiläumsband behauptet. Wenn das Dorf überhaupt so etwas wie Denken kennt, dann ist es die „Philosophie der Sehnsucht nach Stabilität“ (Karjalainen). Ihr folgt auch Asterix, der dann ganz bei sich ist, wenn sich die Dorfgemeinschaft zum Wildschweinverzehr ums Lagerfeuer versammelt. Neben der Massenprügelei ist das Gelage die einzige Form der Befreiung vom Joch der Zwecke.
Kunst kennt das Dorf nicht, außer in der erhabenen Sinnlosigkeit von Hinkelsteinen und den entstellten Gesängen des Troubadix. Bei den Gelagen wird dieser bekanntlich an den Baum gefesselt: grausamer Akt gegen das „Nicht-Identische“ (Adorno), gegen den auch kein Asterix opponiert, der eben nicht nur ein Krieger und Internationalist ist, sondern auch ein Kleinbürger und Spießer. Sympathisch bleibt er einem ja trotzdem, der Kerl, vielleicht gerade weil er so widersprüchlich und also menschlich ist. Das gilt natürlich nur für seine Erscheinung in den Bänden bis zum Tod des großen Texters René Goscinny. Was danach unter dem Namen des Zeichners Albert Uderzo erschienen ist, kann man getrost vergessen.
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