Behördengänge haben ihren eigenen Exotismus, sie können zu ausgedehnten Zeitreisen werden. „Im Bürgeramt Prenzlauer Berg ist noch DDR 1978“, informierte neulich eine Arbeitskollegin auf Facebook. Sie vermutete, dass es Auflagen gäbe, die Ausstattung als Kulisse für Filmproduktionen stehen zu lassen. Etwas bösartig ließe sich hinzufügen, dass man dann auch die Sachbearbeiter und Sachbearbeiterinnen als Statisten einsetzen könnte. Ich war neulich auch in diesem Bürgeramt und wurde Opfer eines, wie soll man sagen?, Beamtenstarrsinns, der systemübergreifend zu herrschen scheint. Mein Fahrzeugschein befand sich in einem so schlechten Zustand, dass ich mir dachte, hol’ dir einen neuen, bevor er ganz unlesbar wird. Zwar ist im Internet als Sachverhalt nur „Verlust“ oder „Diebstahl“ vorgesehen, aber was ist gegen umsichtiges Bürgerverhalten schon einzuwenden? Ich ließ mir online bequem einen Termin geben – man muss auch mal die Fortschritte erwähnen! –, der noch im selben Jahr lag, und fuhr an einem strahlenden Tag hin, kam sofort dran, und trug mein Begehr vor. „Der sieht ja wirklich übel aus, gut dass Sie ..., aber halt, er ist ja in zwei Teile zerfallen. Das geht nicht. Das kann ich nicht machen.“ „Ich bitte Sie!“ „Der eine Teil könnte von jemand anderem sein!“ „Ich versichere jetzt an Eides statt ...“ „Nein!“ „Irre, da denkt man als Bürger mit und wird bestraft.“ Dieses Argument zeigte nun doch eine gewisse Wirkung. „Ich frage den Chef. Sie warten hier.“ Wenig später. „Geht nicht, sagt der Chef.“ Der Beamtenstarrsinn wurde also auf eine höhere Ebene delegiert. „Ich esse diesen Schein nun auf und bekunde seinen Verlust!“ „Das entspräche nicht den Tatsachen.“
Warum eigentlich nicht? Aber das fiel mir nicht ein, zumal die Sachbearbeiterin nun selbst zu einer Klage anhob. „Warum müssen wir Bürgerämter überhaupt Fahrzeugscheine bearbeiten? Warum haben wir diese Aufgabe von den Zulassungsbehörden übernommen?“ Ich wusste darauf auch keine schlüssige Antwort. Eine große Ermüdung überkam mich, und zugleich ein Gefühl des „Einsseins mit allem“, ein fast mystischer Zustand, wie er vor allem durch Drogen erreicht wird, aber in raren Momenten auch in Amtsstuben möglich ist.
Zum Schluss ein Schwenk nach Griechenland. Dort ist man bekanntlich gezwungen, die Bürokratie beherzt zu reformieren. Es gibt sogar eine Ministerin für Verwaltungsreform. Erste Amtshandlung: den Ausdruck von Dokumenten drastisch reduzieren. Ein entsprechendes Dokumentenverwaltungsprogramm spart 400 Millionen Euro im Jahr. Das Ganze gerne in historischen Kulissen für, sagen wir, den vielleicht letzten Film von Constantin Costa-Gavras.
Hegelplatz 1. Unter dieser Adresse können Sie den Freitag in Berlin erreichen – und ab sofort wir Sie. An dieser Stelle schreiben wöchentlich Michael Angele und Jakob Augstein im Wechsel. Worüber? Lesen Sie selbst
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.