Bangemachen gilt doch

Schweinegrippe Unsere Gesellschaft kennt einen speziellen Typ von Ereignis: die groß angekündigte, aber doch nicht eingetretene Apokalypse. Zur Erregungslogik der modernen Massenmedien

Eine herrliche Joggingstrecke durch Berlin führt an jenem Teil des Zoos vorbei, an dem die Außen­volieren stehen. Man sieht und riecht die stolzen Flamingos, die prächtigen Pelikane, aber auch zahllose gemeine Enten. Schön, dass sie wieder da sind! Vor gut zwei Jahren waren die Enten nämlich plötzlich weg, an einem trüben Februartag wurden die letzten 40 Stück eingefangen. Stallpflicht. Schuld war die Vogelgrippe.

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Opfer jener Grippe waren vor allem die Tiere selbst. Aber es gab eine Zeit, da man befürchtete, sie könne auch die Menschen in Massen befallen, ja, unsere Art zu leben stand in Gefahr. Bald könne man auch mit Mundschutz nirgendwo mehr hinfliegen, hieß es. Die Menschen horteten Tamiflu, und La Roche machte ein gutes Geschäft, bis sich herumsprach, dass das Mittel gar nicht hilft.

Aber das war nicht so schlimm, denn es waren bis dato nur wenige Menschen infiziert. Die Warnung von Experten, das H5N1-Virus könne mutieren und eine pandemische Reaktion hervorrufen, ging im märchenhaftesten Frühsommer seit Menschengedenken unter; als der Sieger der Fußballweltmeisterschaft endlich feststand, sollen die Enten im Berliner Zoo besonders heiter und zufrieden geschnattert haben.

Erinnert sich noch jemand an SARS und BSE?

Laut WHO starben weltweit 257 Menschen an der Vogelgrippe. Zum Vergleich: In jenem Sommer 2006 kamen in Deutschland durch Badeunfälle mehr als doppelt so viele Menschen ums Leben. Ach ja, erinnert sich noch jemand an SARS und BSE? Und wie war das mit dem Aussterben der Deutschen, dem Waldsterben in den achtziger und der Ölkrise in den siebziger Jahren?

Unsere Gesellschaft kennt einen sehr speziellen Typus von Ereignis: die großartig angekündigte, aus irgendeinem Grund dann aber doch nicht eingetretene Apokalypse (vgl. auch der Freitag vom 5. März 2009). Nun also die Schweine­grippe. Wer legt eigentlich fest, ob sie zu diesem Typus zählt? Ob sie nur eine persönliche Katastrophe für den Betroffenen ist, oder auch eine gesamtgesellschaftliche? Durch medizinische Expertise kann diese Frage zwar nicht geklärt werden, wohl aber durch ein paar Überlegungen zur Erregungslogik der modernen Massenmedien.

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Obwohl wir zweifellos in einer „Erregungsgesellschaft“ (Peter Sloterdijk) leben, ist der Begriff seltsamerweise wenig präsent. Google listet gerade einmal 142 Einträge auf und fragt: „meinten sie Erzeugungsgesellschaft?“ In gewisser Weise meinen wir das tatsächlich. Massenmedien wollen erregen, nicht anders als Anbieter von Stimulanzien, die den Geschlechtsverkehr begünstigen. Leider aber sind es die unheilvollen Dinge, die massenmedial besonders erregen, und sie erzeugen kein Drittes, sondern einfach noch mehr Angst. Angst verbreitet sich endemisch. Fast könnte man sagen, Angst ist die Seuche. Der Soziologe Niklas Luhmann hat das Fatale an der Angst-Kommunikation sehr genau beschrieben: „Angst ist, da sie die Unsicherheit der Sachlage in die Gewissheit der Angst transformiert, ein selbstsicheres Prinzip“. Wer Angst hat, fühlt sich immer im Recht, einfach weil er Angst hat.

Die Massenmedien werden ihn in seinem Gefühl umso mehr bestärken, als sie neuerdings einen starken Verbündeten haben: die Krise. Auffallend viele Meldungen zur Schweinegrippe handeln von der gedrückten Stimmung an der Börse, von der Angst der Anleger. Dollar und Yen steigen, Flugzeug-Aktien gehen in den Keller. Wer da immer noch keine Angst vor der Schweinegrippe hat, gilt schnell als zynisch. Das Risiko muss man wohl eingehen. Eins kommt dazu: Vermutlich sieht sich noch der abgeklärteste Medienbeobachter in der Situation des Atheisten, der einen letzten Rest von Angst vor einem Gott, an den er nicht glaubt, partout nicht los wird.

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Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

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