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Kritik Eine Sammelrezension der besten Rezensionen zu Maxim Billers neuem Roman
Ausgabe 15/2016

Was immer man über das neue Buch von Maxim Biller noch sagen kann, unstrittig ist, dass er es geschafft hat, den Roman zu schreiben, „der zu den großartigsten Verrissen der letzten Zeit antreibt“, wie der taz-Redakteur Dirk Knipphals auf Facebook bemerkte. Nun wird es kaum die Absicht von Biller gewesen sein, mit Biografie ein Werk zu schreiben, das seine Kritiker zu Höchstleistungen antreibt, aber wer weiß. Jedenfalls hat er gezeigt, dass die deutsche Literaturkritik nichts von ihrer Kraft eingebüßt hat, wenn nur der Richtige kommt. Und es sind ja nicht nur die Verrisse auf hohem Niveau, auch das bedingungslose Lob hat sich alle Mühe gegeben.

Insofern kann einer wie ich, der sich primär aufgrund des erdrückenden Umfangs entschieden hat, diesen Roman nicht zu lesen und in der Lektüre der Rezensionen aufzugehen, voll auf seine Kosten kommen. Der Genuss ist umso größer, als einige dieser Rezensionen raffinierte erzählerische Elemente beinhalten. So erzählt Ijoma Mangold in der Zeit von seinen Gedanken und Gefühlen beim Lesen des Romans, aus der Rezension blinzelt der Entwicklungs- und Bildungsroman eines Lesers: „Bestens angeregt, las ich zwischendurch auf meinem taubengrauen Ledersofa in früheren Büchern von Biller.“

Man erfährt, dass dieses Sofa nicht nur taubengrau, sondern auch von Ikea ist, das überrascht bei einem so geschmackssicheren Kollegen dann doch, aber möglicherweise entgeht mir auch die Pointe, die darin bestehen könnte, dass der raffinierteste Snobismus von uneitlem Pragmatismus auch für geübte Beobachter nicht mehr zu unterscheiden ist.

Vielleicht besitzt Ijoma ja auch mehrere Sofas, vielleicht hat er, in einer beklemmenden Mischung aus realer Selbst- und imaginierter Autorenbestrafung, die man im Zusammenhang mit Biller öfter beobachten kann, dessen Roman auf seinem billigsten Sofa gelesen? Oder las er es im Büro? Gibt es dort ein Sofa? Von Ikea? So bildete sich mir beim Lesen ein eigener kleiner Roman über einen Kritiker, was will man mehr.

Eine Suppe voller Haare

Nun, die meisten Leser wollen natürlich einfach nur wissen, ob sie Billers Roman lesen sollen oder nicht. Aber auch sie werden gut bedient: Mangold macht keinen Hehl daraus, dass für ihn nach 300 Seiten Vergnügen 600 Seiten Qual folgten. Geradezu umgekehrt dazu verhält sich seine Rezension, die man in kurzer Zeit mit höchstem Vergnügen und voller Einsichten liest, sei es zur sexuellen Obsession – „Ficken gegen die Traurigkeit, auch etwas sentimental Machohaftes: Ich sehe in Frauen Sexobjekte, weil ich so verletzlich bin“ – oder zum Antisemitismus: „Als gäbe es für die Figuren keine andere Chance, mit antisemitischen Klischees umzugehen, als sie zu überbieten. Und das wissen sie auch und verbalisieren es gleich noch mit.“ Bingo.

Ich frage mich gerade, ob ich den Verriss, denn das ist es ja doch, von Ijoma Mangold nur deshalb so zwingend finde, weil ich ihn mag, mit ihm befreundet bin, wenn auch nicht eng. Ganz anders sieht es bei Georg Diez und Maxim Biller aus, wie Leser seiner Kolumne auf Spiegel Online wissen können. Eine dieser Kolumnen baute Diez zu einer Kritik der Biller-Kritiker um und leitete aus seiner Freundschaft mit dem Schriftsteller eine Frage ab, die man belächeln mag, die sich aber im vernetzten Kulturbetrieb oft stellt: „Vielleicht schaue ich diesem Buch nur deshalb so fasziniert zu wie einem funkelnden Feuerwerk, das vor meinen Augen explodiert, weil ich Billers Freund bin.“

Es ist schon so, dass man als Kritiker die Bücher von befreundeten Autoren milder beurteilt, das Haar in der Suppe gelegentlich auch dann nicht sehen will, wenn es mit anderen Haaren einen Knäuel bildet, und sollte die Suppe quasi nur noch aus Haaren bestehen (die Freundschaft aber groß sein), werden halt alle möglichen Menschen mit Haaren beschimpft. In diesem Fall: die Deutschen. „Da haben sie mal das pralle, grelle, geile jüdische Leben, auf das die Deutschen sonst so klezmerstolz sind, und dann gefällt es ihnen doch nicht, weil es so prall, so grell, so geil ist. Sie sehen Biller nicht als einen der ihren, sie müssen ihn kleinmachen und ihm sogar das Etikett Schriftsteller entziehen. Im Grunde aber rezensieren sie vor allem ihre eigenen Vorurteile.“

Die Dussmann-Lecture

Ich korrigiere mich. In Wahrheit sind in diesem völkerkundlichen Unsinn gar nicht „die Deutschen“ gemeint. Noch nicht einmal alle Literaturkritiker als Teil dieses idiotischen Volks. Gemeint ist eigentlich nur Lothar Müller von der Süddeutschen Zeitung. Der hatte in seiner Rezension Biller zwar nicht direkt das Etikett Schriftsteller entzogen, aber doch bemängelt, dass in dessen Roman der „Erzähler nahezu verschwunden“ sei. Ein Erzähler, der sich aus der Tempo-Kolumne „100 Zeilen Hass“ gebildet hatte, dann eigene Wege ging und zur originären Prosa reifte. An seiner Stelle findet sich nun in Biografie: Eine endlose Reihung von Episoden, Sketchen, Sitcom- Pointen, jüdischer Alltagssprache; einen „erzählerischen Zusammenhang“ gebe es nicht, wohl aber einen Stil und den „Kraftakt“, seine Tonlage auf knapp 900 Seiten zu halten. „Der Kraftakt gelingt, und deshalb scheitert der Roman“.

Das ist eine Kritik, die zwar jede Hoffnung auf ein Lesevergnügen raubt, aber bei denen, die sich für das Handwerk des Schriftstellers interessieren, doch die Neugierde für die Techniken in diesem Roman wecken kann. Ich werde Biografie bei Gelegenheit wohl einer „Dussmann-Lecture“ unterziehen. Darunter verstehe ich die Unart, die wichtigsten Neuerscheinungen in Berlins großem Kulturkaufhaus einer rhapsodischen, kursorischen Lektüre zu unterziehen. Bei Sachbüchern befriedigt eine solche Lektüre immer dann, wenn das Buch ein Personenregister enthält. Bei Romanen liest man den Anfang und dann auf gut Glück.

Nun reicht es aber, höre ich eine Stimme in mir. Es ist die Stimme von Jana Hensel. Von ihr stammt die große Verteidigung des Romans, sie stellt in der Literarischen Welt tatsächlich noch einmal alles auf den Prüfstand und ich kann an dieser Stelle nur empfehlen, auch diese Kritik zu lesen.

Rezensionen

Eine schreckliche Familie Ijoma Mangold, Die Zeit 16/2016, S. 49, 3,81 € bei Genios

Kraftakt gelungen, Roman tot Lothar Müller, SZ 73/2016, S. 9, 0,79 € bei Blendle

Der Schmerz, der Sex und die Schuld Jana Hensel, Literarische Welt 15/2016, S.1, 0,35 € bei Blendle

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Angele

Ressort Debatte

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hängte er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fussball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

Michael Angele

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