Seit zehn Jahren moderiert Richard David Precht die Sendung „Precht“. Ich muss kurz überlegen, ob er Gäste hat oder sich selbst moderiert. Nachgeschaut, er hat einen Gast pro Sendung. Der erste Gast 2012 war Gerhard Hüther, ein viel gefragter Hirnforscher. Am 23. Oktober wird Luisa Neubauer kommen, man braucht sie nicht vorzustellen. Precht hat in seiner Sendung „Precht“ also Gäste, wie konnte es mir entfallen? Vielleicht, weil der Name seiner Sendung in eine andere Richtung weist. Ich habe meine Recherche über unsere liebste Suchmaschine geführt. Als „ähnliche Fragen“ wird aufgelistet:
- Was sagt Precht über die Liebe?
- Ist Precht Veganer?
- Was kostet Richard David Precht?
- Hat Precht Kinder?
Eine interessante, wenngleich unvollständige Liste, es fehlt komischerweise die Standardabfrage bei Menschen des öffentlichen Lebens mit einem gewissen Sexappeal: Precht Freundin? Und es fehlt die Frage, die in den letzten Tagen so oft aufgeworfen wurde. Sie lautet: Was genau ist eigentlich das Problem mit Precht?
Antworten, die gegeben wurden: Precht nennt sich Philosoph, aber „die Philosophie kennt ihn nicht“ (FAZ). Precht schreibt Bücher zu allem Möglichen, unter anderem zur Tierethik, zur künstlichen Intelligenz, zu den Medien und zur Liebe, und obwohl er von nichts eine Ahnung hat, sind die Bücher leider trotzdem alle erfolgreich. Weiter: Precht ist ein Egomane, fast schon ein Querdenker, ganz sicher aber ein Putin-Versteher, Precht ist ein Mansplainer und Macho (gegenüber Melanie Amann in der Sendung „Lanz"), oder schlicht: Seine Frisur nervt.
Damen über 50
Das Problem scheint mir ein anderes. Es hat gar nichts mit Precht zu tun, sondern es begann mit der Einstellung der Vorgängersendung „Philosophisches Quartett“. Sie wurde moderiert von Rüdiger Safranski und Peter Sloterdijk. Der eine unproblematisch, der andere gedankenschnell bis zum Anschlag, dabei kauzig, nuschelnd. Ich teilte nicht immer seine Ansichten, aber ich habe ihm wahnsinnig gerne beim Denken zugesehen.
Leider wurde Sloterdijk Opfer der Meinung, dass einer wie er die Frauen vom Bildschirm fernhält. Der in seiner Eitelkeit gekränkte, entlassene Sloterdijk kommentierte entsprechend maliziös in einem Interview: „Ob Precht wirklich, wie das ZDF annimmt, zu einer Verjüngung des Publikums beitragen wird, bezweifle ich allerdings. Seine Klientel gleicht eher der von André Rieu, den hören auch vor allem Damen über 50 in spätidealistischer Stimmung.“
Allein mit diesem Sarkasmus wäre Sloterdijk vermutlich für das heutige Öffentlich-Rechtliche nicht tragbar. Aber damals gab es sie noch: die Nervensägen, Selbstdarsteller und intellektuellen Hasardeure. Ihr Inbegriff war Norbert Bolz, der aus dem Fernsehen verschwunden ist, und heute auf Twitter mit einer Mischung aus rechtem Bullshit und gehobener Aphoristik eine Nische gefunden hat. Besonders oft war Bolz zu Gast in meiner Lieblingssendung „Nachtstudio“, zum Beispiel über „Krise als Chance“ in einer Runde, mit – Achtung – Gertrud Höhler, Rupert Neudeck und Günter Wallraff.
„Nachstudio“, der Name war sehr gut gewählt, er ließ den Programmverantwortlichen die Möglichkeit offen, die Sendung immer weiter nach hinten zu schieben. Unter dem leider verstorbenen Moderator Volker Panzer hatte sie ein treues Stammpublikum, egal wie spät gesendet wurde. Als sie in ihren beiden letzten Jahren in der Nacht von Sonntag auf Montag ausgestrahlt wurde, verfolgten durchschnittlich 400.000 ZuschauerInnen die Sendung.
Das ist in der Quotensprache wenig, aber im Vergleich wahnsinnig viel, nämlich ungefähr so viel, wie an einem Spieltag der 1. Bundesliga Menschen in die Stadien pilgern. Vom Vergleich mit Bücherlesen mal ganz zu schweigen. Das sollte man sich immer vor Augen halten, wenn von Quotendruck beim Öffentlich-Rechtlichen die Rede ist.
„Populisator“ von Beruf
In einem aber war Sloterdijk im Urteil über seinen Nachfolger etwas ungerecht. Precht sei „Populisator“ von Beruf. Das ist für eine philosophische Gesprächssendung kein Nachteil. Auch in der Fachphilosophie wurde jüngst Kritik an einer sterilen Akademisierung der Disziplin laut. Philosophen sollten nicht für den „Redakteur eines Fachjournals schreiben“, sondern so, dass sie es selbst gerne lesen würden, meinte die Harvard-Philosophin Christine M. Korsgaard in einem viel diskutierten Aufruf.
Nun gibt es natürlich auch „Fachphilosophen, die sehr gut denken und schreiben können, aber sobald die Kamera an ist, bricht alles zusammen“. Dies sagt Wolfram Eilenberger, einer der Moderatoren von „Sternstunde Philosophie“. Das Fernsehen braucht spezifische Fähigkeiten. Die hat auch eine weitere Moderatorin der Sendung, Philosophin Barbara Bleisch. Sie ist schweizerisch freundlich, zugleich beharrlich im Nachfragen: eine gute Mischung. In Deutschland kann man die „Sternstunde“ auf 3sat verfolgen, immer wichtiger wird YouTube. Auch Precht, den Eilenberger für einen „Super Performer“ hält, war schon zu Gast. Letztes Jahr stritt er mit Bleisch über Pflicht und Pflichtbewusstsein, das er verteidigte. Kann man sich anschauen.
Das Problem mit Precht ist also nicht Precht. Das Problem ist die öffentliche Fixierung auf Precht, die auch ein Problem der Identitätskrise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist. Wieso schließt man nicht selbstbewusst an alte Traditionen der Gesprächssendungen an? Es gibt ein Wunsch nach Gesprächssendungen jenseits von "Anne Will". Heute wäre eine solche Sendung natürlich diverser in der Zusammensetzung der Gäste, offener in der Themenwahl und pluraler in der Verbreitung der Inhalte.
In dieser Welt wäre Richard David Precht mit seinen streitbaren Ansichten zum Ukraine-Krieg, den Medien oder Corona einer unter anderen.
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