Das neue Buch von Botho Strauß führt die SWR-Bestenliste vom Mai an. In der Begründung der Jury heißt es, dass Strauß darin in „kurzen Prosastücken, die an die Tradition des romantischen Fragments anschließen, dem dominierenden Zeitgeist widerspricht“ Frage: Gibt es einen nicht-dominierenden Zeitgeist? Und besteht der Zeitgeist im literarischen Feld nicht zuletzt aus Prosa, die diesem Zeitgeist widersprechen will? Besteht, in anderen Worten, der Zeitgeist nicht gerade darin, ihm zu widersprechen?
Ich habe das neue Buch von Botho Strauß noch nicht gelesen und das liegt auch am Titel, der mir offen gestanden widerstrebt (ich glaube allerdings auch, dass das Buch ‚klüger‘ ist als sein Titel). Der Titel lautet Der Fortführer. Ich denke nicht, dass dieser Titel dem Zeitgeist widerspricht. Ich meine vielmehr, dass er ihn geradezu widerspiegelt, sofern das überhaupt möglich ist: Die Lust an der Provokation, irgendwie ein bisschen rechts, aber natürlich gar nicht so gemeint. Gewitzt und assoziationsreich in hohem Maße. Kierkegaards Verführer soll man aus ihm ebenso lesen wie die Aufgabe des Dichters überhaupt, und wer andererseits Hitler darin sehen willl, ist schon in die Falle gegangen.
Wenn es so etwas wie eine „rechte Intelligenz“ gibt, in diesem Titel ist sie zum Ausdruck gebracht. Das hat bei Strauß Tradition. Seine Titel waren immer sehr genau gewählt, ihre teilweise grandiose Lakonie machte sie zugleich poetisch und zeitgeistig, also hoch attraktiv. Paare, Passanten zum Beispiel, seine Kurprosa von 1987, das war das Großstadtgefühl am Ende der Ideologien. Modern, flüchtig in den Beziehungen und den Wahrnehmungen. Oder auch: Die Wiederkehr des Flaneurs, die sich in jenen Jahren in unzähligen akademischen Schriften ausdrückte.
Unbehaust
Oder der Titel Das Partikular, der Erzählband von 2000. Ein Neologismus, der zugleich irgendwie soziologisch wie naturwissenschaftlich klingt. Auch das ganz im Einklang mit einer Zeitströmung, nämlich der Entdeckung der „dritten Kultur“ durch das Feuilleton in jenen Jahren. Folgt der wie aus einer fremden, fernöstlichen Sprache übersetzte Titel: Der Untenstehende auf Zehenspitzen. Oder der wunderbare Titel Der zurück in sein Haus gestopfte Jäger.
Beide markieren ein Befremden im Eigenen, eine Unbehaustheit, die freilich weltanschaulich noch offen bleibt. Im Bild vom zurückgestopften Jäger wird auch ein Aufbruch und eine Macht, die ihn verhindert, angedeutet. Dazwischen ein Titel wie Er/Sie von 2012, der mit dem binären Code des Digitalen spielt. Schließlich im zweitletzten Buch Oniritti Höhlenbilder, der die Gegenwelt in der Antike verortet. Nun also Der Fortführer. Ein Titel frei nach dem Motto, das wird man doch noch sagen, Pardon, schreiben dürfen. In gewisser Weise schließt sich damit ein Kreis.
Schützenehre hieß der Titel des ersten Prosabandes von Botho Strauß. Er erschien in der Eremiten-Presse und war tatsächlich das Werk eines Außenseiters. Der „Fortführer“ erscheint dagegen bei Rowohlt, einem Verlag, dessen subversive Mission es ja schon länger ist, den dominierenden Zeitgeist nachhaltig zu bekämpfen, was nun dank Botho Strauß keinem mehr verborgen bleiben kann.
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