Es war dann vor allem die „Natur der Frau“, die wir hinterfragt haben, was damit zusammenhängen mag, dass die Frau lange Zeit für das naturnähere der Geschlechter gehalten wurde. Angefangen hat das Gespräch aber doch anders:
der Freitag: Mutter Natur geht einem leicht über die Lippen. Vater Natur ist nicht so geläufig. Was assoziieren Sie mit Vater Natur?
Andrea Roedig: Vater Krieg.
Till Randolf Amelung: Ich glaube, die Mutter Natur ist so tief drin als Bild, dass Vater Natur weit weg ist. Zu Mutter Natur habe ich sofort ein Bild, aber zu Vater Natur...
Was geht Ihnen denn bei Mutter Natur durch den Kopf?
Amelung: Mutter Natur ist Bio-Reformhaus, das meine ich positiv, heilend und fürsorglich, etwas, was uns als Menschen guttut. Das Ursprüngliche.
Und du, Andrea, was denkst du dabei?
Roedig: Ich denke an Gaia, an altes Matriarchat, an archaische Denkformen, Präfeminismus.
Apropos Präfeminismus: Dass man die Natur der Frau auch hinterfragt – ist das gleich ursprünglich mit dem Aufkommen des Feminismus?
Roedig: Man könnte die These wagen, dass die „Natur“ der Frau mit dem Bürgertum erfunden wurde und mit der bürgerlichen Frauenbewegung auch wieder infrage gestellt wurde, Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts. Es gab natürlich früher schon Vorstellungen vom biologisch bedingten Wesen der Frau, etwa der Idee, dass der Uterus durch den Körper wandert und für allerlei weibliche Eigentümlichkeiten verantwortlich ist, wenn ich mich recht entsinne. Aber die Bestimmung, an der wir uns abarbeiten, mit ihrer starken Biologisierung, hat tatsächlich mit dem Bürgertum angefangen und wurde durch das bürgerliche Weltbild befestigt. Die Frauen der Arbeiterklasse hatten andere Probleme
Dort, wo die Frau nicht arbeiten muss, hat sie Zeit, sich um ihre „Natur“ zu kümmern, entweder sich selbst zu pflegen oder andere zu pflegen …
Roedig: Dass die Frau weicher, fürsorgender und eben für den ganzen Care-Bereich zuständig sein soll, die Frau am Herd im Heim …
Der Erste Weltkrieg hat dieses Bild der fürsorgenden Frau einerseits verfestigt, man denke an die Krankenschwestern, andererseits auch gesprengt.
Amelung: Absolut. Die Frauen haben ja dann an der Heimatfront die Lücken ausfüllen müssen, die die Männer hinterlassen haben. Da mussten die Frauen in die Munitionsfabriken, sie mussten aber auch schwere Arbeiten verrichten, oder als Zugführerin arbeiten … Da haben einige durchaus gemerkt: Oh, ich kann das ja doch.
Roedig: Nicht durch Zufall wurde in Deutschland und Österreich das Frauenwahlrecht direkt nach dem Ende des Ersten Weltkriegs eingeführt. Die Emanzipation ließ sich nicht mehr zurücknehmen, die Beteiligung am öffentlichen Bereich der Gesellschaft.
Heute geht es im Feminismus weniger um Frauenrechte und die Arbeitswelt, sondern um Gender. Sind das Luxusprobleme?
Roedig: Das „Luxusproblem“ zu nennen, ist mies. Ich glaube, wir erleben gerade eine starke Verfeinerung von Sensibilität allen möglichen gesellschaftlichen Gruppen gegenüber. Parallel zur zunehmenden Individualisierung und Ausdifferenzierung von Gesellschaft nimmt man mehr Rücksicht auf diverse Identitäts-Gruppen. Das muss nicht schlecht sein, wenn die Auseinandersetzung nicht zu einem Befindlichkeitsdiskurs wird.
Amelung: Ich glaube auch nicht, dass es um Luxusprobleme geht. Die klassischen Probleme für Frauen sind doch noch gar nicht gelöst. Wir haben nach wie vor die Quotendiskussion. Wir haben nach wie vor die Diskussion um den Gender-Pay-Gap. Und gleichzeitig kann man nicht sagen, nur weil diese Fragen noch nicht gelöst sind, wären andere Sachen, die unter dem Stichwort Diversity und Intersektionalität verhandelt werden – also Rechte für Minderheiten wie Behinderte, Menschen mit Migrationshintergrund, Schwarze, Homosexuelle –, überflüssig.
Okay, keine Luxusprobleme. Neue steile These: Die westlichen Gesellschaften entfernen sich trotz ökologischer Probleme immer weiter von „Natur“, und die neuen Gender-Diskurse sind nur der sichtbarste Ausdruck davon.
Roedig: Du würdest also sagen, die Trans-Bewegung ist eine Avantgardebewegung, die weg von der Natur geht und hin zu … ja wohin?
Weiß nicht.
Amelung: Erst mal gibt es neue medizinische Möglichkeiten – nicht nur für trans Menschen. Man kann Paaren mit Unfruchtbarkeit helfen, es gibt die Empfängnisverhütung, sodass die Frau endlich Sex mit Spaß verbinden kann. Vor dem Hintergrund der Naturalisierung sehe ich das als Wechselspiel: Was ist möglich, was wird angeboten? Was davon will ich für mich in Erwägung ziehen?
Also eine neue Individualethik. Man bewegt sich eben in Grenzbereichen. Damit wächst die Sehnsucht nach Grenzziehungen. Wir hatten den Fall J.K. Rowling. Rowling hatte eine Wissenschaftlerin verteidigt, die trans Frauen von echten Frauen unterscheidet. Weil: Die einen sind gebärend, die anderen nicht.
Amelung: Diese Debatte, die seit mindestens fünf Jahren immer vehementer geführt wird, zeugt davon, dass wir kein gemeinsames Verständnis mehr davon haben, was biologische Grundlagen sind. Es gibt die Tendenz, zu sagen, Geschlecht ist frei verfügbar. Einige spitzen das auch noch weiter zu und sagen: „Wenn ich mich als Mann definiere, dann ist automatisch alles an meinem Körper männlich, und umgekehrt.“ Aber wäre es so, hätte ich selbst ja keine Probleme gehabt, als ich noch in einem Frauenkörper steckte. Dann hätte ich keine Angleichung vornehmen lassen müssen, weil sich das ja schon erledigt hätte. Wir definieren uns, wie uns das gerade angenehm ist, und das führt, glaube ich, zu diesen immer extremer werdenden Verwerfungen.
Roedig: Ja, etwas ist aus dem Ruder gelaufen. Geschlecht ist eine rein sozial hergestellte Kategorie: Das hatte Judith Butler einmal postuliert – und viel Positives damit bewirkt. Aber die Folge war auch eine starke Zurückhaltung, zumindest aus der Ecke der Geistes- und Sozialwissenschaften, über das biologische Geschlecht überhaupt zu reden – weil man eben nicht in ein konservatives politisches Fahrwasser geraten möchte. Eine jüngere Generation, so scheint mir, spricht so, als ob es biologische Bedingungen gar nicht gäbe.
Also sind wir eben doch nicht so denaturalisiert, wie es scheint?
Roedig: Nein, wir sehen doch gerade an Corona, wie groß die medizinischen Möglichkeiten sind, aber dass wir diesem Virus trotzdem nicht gewachsen sind. Es gibt da physiologische Grundlagen, materielle Bedingungen, die wir nicht wegdiskutieren können. Wie wir sie deuten, ist eine andere Sache. Aber man kann auch immer noch keinen Uterus künstlich herstellen. Es geht nicht. Von daher finde ich es falsch, dass eine Frau, wie es offenbar im Fall Rowling geschehen ist, ihre Stelle verliert, weil sie die Behauptung aufstellt, es gebe zwei Geschlechter.
Amelung: Wobei sie die Stelle wegen etwas anderem verloren hat, was ich aber genauso skurril finde. Sie hat einen schottischen Abgeordneten, der sich als non-binary definiert, als Mann bezeichnet. Und dann googelt man dessen Bild und sieht jemanden, der aussieht wie ich: mit Vollbart und Anzug. Wie soll man den nicht als Mann titulieren? Ich gehöre inzwischen auch zu den Leuten, die sagen, es gibt nur zwei Geschlechter und dieses Non-Binary-Konstrukt kann ich nicht anerkennen.
Gut, dass Sie das sagen. Würde ich sagen „Ich google dann halt ein Bild und sehe einen Mann“, so würde man mich des Lookism bezichtigen.
Roedig: Also erst einmal zu dem, dass du das nicht sagen darfst: Nein, darfst du auch nicht. Vieles hängt davon ab, wer etwas sagt. Dann: Als lesbische Frau ist mir Non-Binary, wie soll ich sagen ... Wenn ich jetzt frisch ein Coming-out gehabt hätte, fände ich das Konzept vielleicht attraktiv, weil ich mich dann nicht als klassische Frau definieren müsste. Aber de facto würde ich von zwei Geschlechtern und einem Kontinuum zwischen diesen beiden sprechen. Geschlechter werden doch dadurch interessant, dass es diese Art von Entgegensetzung gibt, und durch die uneindeutigen Zonen zwischen diesen Polen.
Also gibt es einen biologischen Rest?
Roedig: Diese Pole haben nicht nur etwas mit Biologie zu tun. Aber auch. Trotzdem können wir sagen, Geschlechter sind – zum größten Teil – imaginäre Konzepte.
Zu den Personen
Till Randolf Amelung hat Geschlechterforschung und Geschichtswissenschaften studiert. Amelung ist Sozialwissenschaftler, freier Autor und Herausgeber des Sammelbandes Irrwege. Analysen aktueller queerer Politik, der im Frühjahr 2020 im Querverlag erschienen ist
Andrea Roedig ist freie Publizistin in Wien und Mitherausgeberin der Literatur- und Essayzeitschrift Wespennest . Von 2001 bis 2006 leitete sie die Kulturredaktion des Freitag, unter anderem war sie für die „Geschlechter“-Seite zuständig, die vor ihrer Zeit „Frauen“ hieß
Ich komme von der Kritischen Theorie. Der Mensch – ob Frau oder Mann, völlig egal – tendiert dazu, das Korsett der Identität zu sprengen, heißt es da. Dass jemand sich als Non-Binary versteht, ist so gesehen der Normalfall. Die Frage ist ja nur, in welchen Zusammenhängen er das tut. Gibt es Orte des Überschreitens? Im Imaginären? Oder renne ich als Teenager zum Arzt und sage: Ich fühle mich nicht wohl und möchte einen Eingriff.
Amelung: Wenn ich sehe, dass heute auch eindeutig feminine Frauen daherkommen und sagen: Ich bin keine Frau, und man sich mit diesen Frauen dann näher unterhält, dann merkt man, dass sie mit Rollenbildern ein Problem haben. Das ist dann eine Flucht. Diese Person wird ja immer noch als Frau funktionieren.
Roedig: Das ist mir jetzt doch zu biologistisch. Die Rollenbilder wirken schon extrem. Viele lesbische Frauen, die ich kenne, packen es zum Beispiel nicht, einen Rock anzuziehen. Eben weil Rollenvorstellungen daran hängen. Auch ich ziehe sehr selten einen Rock an, obwohl es eigentlich sehr gut aussähe. Ich will es nicht, weil ich bestimmte Begehrensstrukturen nicht bedienen will, ich will nicht, dass Männer …, okay, manchmal möchte ich schon, dass sie mir nachschauen, aber in der Regel möchte ich von Frauen begehrt werden. Nun könnte man sagen: Frauen können ja auch Frauen in Röcken begehren und Männer Frauen in Hosen, aber so einfach ist es nicht. An den „Geschlechtszeichen“ hängt wahnsinnig viel, sie greifen tief in die Eigen- und Fremdwahrnehmung ein.
Trifft meine Beobachtung zu, dass in der Gendertheorie und den publizistischen Diskursen viel von Identität und wenig vom Begehren die Rede ist? Es gibt Kolumnistinnen, die scharf kommentieren, aber nie offen über ihr eigenes Begehren sprechen.
Roedig: Wieso sollten sie das tun?
Ein bisschen prüde der Diskurs, sagen wir mal so.
Roedig: Es gab immer schon den Vorwurf den Feministinnen gegenüber, dass sie ein Problem mit ihrem Begehren haben und sich nicht richtig einfügen wollen in eine bestimmte Art von Verhalten Männern gegenüber. Ich glaube das ist das, was dich irritiert.
Vielleicht auch, aber nicht nur ...
Roedig: Aber es stimmt schon, dass die Diskussionen heute mehr über Identität geführt werden und weniger bis gar nicht über Begehren. Vor zwanzig, dreißig Jahren hat man gesagt: „Ich bin schwul, ich bin lesbisch, ich bin bi.“ Also man hat die Geschlechtsidentität an das eigene Begehren gebunden. Und ich selbst kann immer noch nicht anders als genau so zu denken: Wie ich mich als Frau fühle, definiere und verhalte, hängt sehr stark davon ab, von wem ich begehrt werden möchte.
Nicht, wen ich begehre, sondern von wem ich begehrt werden will. Das ist das Entscheidende.
Roedig: Wen ich begehre, ist genauso entscheidend. Für mich, und da spreche ich vielleicht eher für meine Generation, war es eine enorme Befreiung, zu erkennen: Ich bin eine Frau, die Frauen begehrt. Oder die von Frauen begehrt werden will. Ich weiß nicht, wie es für dich ist, Till?
Amelung: Für meine Entwicklung war es in der Pubertät schon wichtig festzustellen, okay, das Heterosexuelle ist schon mal falsch. Dann war ich, damals noch weiblich, in die beste Freundin verliebt und habe mehr an Frauen als an Männer gedacht und so war es naheliegend zu sagen, okay, dann bin ich vielleicht lesbisch. Aber da war immer noch etwas, was nicht geregelt war. Zum Glück gab es in der lesbischen Community immer Nischen, wo man auch über Trans gesprochen hat. Es war jetzt nicht so, dass das Thema tabu gewesen wäre, sondern es war da, es wurde ganz okay damit umgegangen.
Beide Erzählungen handeln von einer Befreiung. Aber nun doch nicht Befreiung weg von der Natur, sondern, wenn ich jetzt so ein bisschen pathetisch sein darf, Befreiung hin zu einer Natur, die vorher zurückgedrängt worden war. Kann man das so sagen?
Amelung: In meinem Fall ist es ganz passend ausgedrückt. Meine persönliche Natur kam vorher nicht zum Ausdruck. Das hat natürlich auch meine ganzen Beziehungen geprägt.
Roedig: Aber was meint denn Natur? Jetzt sehen wir: Natur ist ja auch eine Metapher. Mein Vater ging immer davon aus, dass Homosexualität vererbbar ist. Ich könnte mir noch ganz andere Dinge vorstellen, warum Lesbischsein zu meiner „Natur“ gehört.
Es ist eben kein Zufall, dass dein Vater sagt, es ist vererbbar. Wenn es „Natur“ ist, muss ich es akzeptieren, denn es ist Schicksal.
Roedig: Aber das ist genau der ideologische Naturbegriff, gegen den sich die gesamte feministische Tradition wehrt. Natur als Argument für Unveränderbarkeit von bestimmten Verhältnissen, von Geschlechterbeziehungen, Rollenbildern, der Rolle der Frau. Die ist halt von Natur aus kuscheliger, friedfertiger, mütterlicher und erzieht deshalb auch die Kinder ... All dieser ganze Unsinn. Gleichzeitig glaube ich nicht, dass es gar keine natürlichen Grundlagen gibt.
Worin besteht sie?
Roedig: Sobald wir versuchen zu definieren, was genau zur „Natur“ gehört, angeblich unveränderlich, und was zur „Kultur“, kommen wir in Teufels Küche. Ich sehe diesen Naturkern als so etwas wie das kantische „Ding an sich“ – wir müssen davon ausgehen, dass es das gibt, aber wir können nicht näher bestimmen, was es „an sich“ ist.
Nun würden viele Frauen wohl sagen, was ist daran schlimm, wenn mein Geschlecht von Natur aus friedfertiger sein soll?
Roedig: Die Wendung „von Natur aus“ ist zu einfach. Eine Tradition, die Frauen als das friedfertigere Geschlecht festlegt, und die immer geschlechtsspezifische Erziehung, machen Mädchen und Frauen zu defensiveren, sich selbst zurücknehmenden Wesen. Vermutlich ist das „von Natur“ aber auch Ausdruck einer Taktik: Da das sogenannte starke Geschlecht eben oft physisch überlegen ist, müssen Frauen andere Macht- und Manipulationstechniken anwenden, die auch nicht gerade friedfertig sind. Ich habe mal gehört, dass Frauen öfter des heimtückischen Mordes angeklagt werden als Männer, die „im Affekt“ handeln. Klar, sie müssen den verhassten Gatten im Schlaf ersticken, weil die Chancen, ihn frontal niederzustrecken, kleiner sind.
Ich meine mich zu erinnern, dass du die Hormone als das, was an uns Natur ist, durchgehen lässt
Roedig: Ja, wenn ich offensichtliche Geschlechtsunterschiede feststelle, die man offenbar auch hinnehmen muss, sage ich immer halb scherzhaft resignierend: „Das sind die Hormone.“ Ich stehe da manchmal vor meinem Bruder und denke: Warum ist der eigentlich so riesig und so stark und warum kann der seinen Rucksack mit Leichtigkeit die Pyrenäen raufschleppen und warum schleppe ich mich so ab? Und warum sieht die Subkultur bei Schwulen und Lesben so anders aus? Das sind halt die Hormone, oder?
Amelung: Dass Hormone eine Relevanz haben, würde ich sofort unterschreiben. Es ist ein anderes Betriebssystem, das sich quasi auf meine Hardware gespielt hat. Jemandem, der sagt, das macht nichts oder das ist alles dekonstruierbar, dem würde ich sagen: na ja, probier es mal aus, dann weißt du, wovon ich rede. Und gleichzeitig müssen wir schauen, dass wir die individuelle Frau oder den individuellen Mann nicht auf seine Hormone reduzieren, sondern genauso bei Mädchen Mathematik fördern oder ihnen mechanisches Denken zutrauen und sie dafür zu begeistern. Sonst werden wir nie mehr Ingenieurinnen haben.
Roedig: Ich meine auch verstanden zu haben, dass Hormone nicht bei allen Menschen dasselbe bewirken. Und man kann auch nicht immer genau sagen, was Testosteron im Körper anstellt. Ein Hormonforscher meint, man habe in Studien festgestellt, dass erhöhte Testosteronwerte Männer dazu brachten, fairer zu spielen. Diese unbestimmte, oft verblüffende Wirkung der Hormone muss man im Hinterkopf haben.
Amelung: Es ist ambivalent. Wie überhaupt der ganze Naturbegriff. Weil er eben auch dazu benutzt wurde, bestimmten Gruppen weniger oder gar keine Rechte zuzugestehen, selbst wenn man im Falle von Trans versucht, positiv zu denken: Ja, die innere Natur verlangt danach, also gewähren wir medizinische Maßnahmen. Das kann aber auch wieder anders gewendet werden, wenn das politische Klima kippt. „Wenn das so ist, das wollen wir aber nicht, dann müssen wir diese Menschen loswerden.“ Diese Ambivalenz gibt es auch in der Beweggung selbst. Wir wollen unbedingt an irgendeine Art von Natur-, Psychologieverständnis anknüpfen und gleichzeitig trotzdem noch mit einem queertheoretischen Verständnis von Geschlecht und Geschlechtervielfalt operieren. Da ist viel Widersprüchliches vorhanden. Noch ist nicht alles zu Ende gedacht.
Haben wir etwas vergessen?
Amelung: Ich wünsche mir differenziertere Debatten. Wer den Verweis in die Nähe rechter Ideologie rückt, wie es leider auch geschieht, macht es sich viel zu einfach.
Kommentare 57
Von der hohen Bedeutung für das Individuum abgesehen, die ein wichtiger Punkt ist, konnte ich in den Antworten nicht erkennen, warum Gender kein Luxusthema ist.
Dass es die Natur so ein bisschen doch gibt, ist vielleicht für Menschen, die bereit knietief im Genderdiskurs stecken eine kleine Sensation und ich halte die These, dass man sich entschließend über die Natur hinweg setzen kann, nach wie vor für mutig und ambitioniert.
Aber ich finde, dass die Diskussion Potential hat, wenn man neben den vermeintlichen Antipoden Biologie (da kann man ja bereits fragen, ob Natur nur Biologie ist oder sein soll) und Kultur noch den Blick auf die Archetypen lenkt. Sind diese nun der (biologischen) Natur und Kultur übergeordnete Regeln oder Regularitäten/Gesetzmäßigkeiten? Oder sind das Projektionen, die vermeintliche Gesetze der Natur einfach in den kulturellen Bereich übertragen, wobei dann schon der Blick in die Natur unbemerkt/unbewusst von den kulturellen Vorurteilen gelenkt und also verzerrt ist?
Aber die Frage ob die Natur oder der Kosmos als Ganzes (damit vor- und nachbiologisch), von männlichen und weiblichen Prinzipie durchdrungen ist, die sich immer wieder neu justieren, ist ja durchaus interessant. Daraus ergeben sich dann Fragen wie die nach dem Verhältnis von weiblichen Prinzip zur weiblichen Biologie zu weiblichen Rollenstereotypen, was zwar staubtrocken klingt, aber so ins real life übertragen hat das doch was!?!
Frohes Neues!
Ich muss ehrlich sagen, dieses Gendergelaber find ich völlig absurd. Statt dafür zu kämpfen, dass alle die gleichen Rechte haben, wird durch diese Diskussion die Gesellschaft auseinanderdividiert. Das Ziel sollte doch sein, dass es egal ist, ob jemand Mann, Frau, homosexuell, behindert, schwarz oder weiß ist. Diese Unterschiede zu überwinden, ist das Ziel. Nicht diese Unterschiede extra zu betonen, um gruppenspezifische Sonderrechte zu fordern.
Ich muss ehrlich sagen, dieses Gendergelaber find ich völlig absurd. Statt dafür zu kämpfen, dass alle die gleichen Rechte haben, wird durch diese Diskussion die Gesellschaft auseinanderdividiert. Das Ziel sollte doch sein, dass es egal ist, ob jemand Mann, Frau, homosexuell, behindert, schwarz oder weiß ist. Diese Unterschiede zu überwinden, ist das Ziel. Nicht diese Unterschiede extra zu betonen, um gruppenspezifische Sonderrechte zu fordern.
Geben wir allen "Geschlechtervarianten" volle wirtschaftliche, kulturelle und juristische Gleichberechtigung, dann macht sich jede Genderpolemik überflüssig. Das regeln dann alle "Varianten" für sich schon selbst und pfeifen z. B. auf die Hilfe der "Variante Männer". "Ausgrenzung" ist unser Problem! Ums Überleben gehts nur gemeinsam.
Meine Haltung ist: Wer schwul, lesbisch oder bi ist, soll das sein. Wer mit Rollen spielt oder das Geschlecht wechselt, solll das tun; Amen. Was mich nervt (eher: dauernervt, und zwar gewaltig), ist das Elitebewusstsein und der daraus abgeleitete moralisch-ideologische Zeigefinger von Teilen dieser Szene.
Zur Ideologie (gemeint: sowohl die Attitüde, dass man mit *sternchen und sonstigen Schreibweisen die Welt retten kann als das Konstrukt, Geschlecht respektive das »Gender« allein auf persönliche Befindlichkeiten zurückzuführen): Nein – ich glaube NICHT daran; als »To-Do-Liste« in Richtung Gesamtgesellschaft halte ich derartiges sogar für ziemlich anmaßend. Zumindest für nervig halte ich darüber hinaus die Heterosexuellen-Diskriminierung, welche in Teilen dieses Milieus offensichtlich fest dazugehört.
Ob die Thematik eine Luxusdiskussion ist, lasse ich an der Stelle einmal offen. Mein Gesamteindruck jedenfalls ist, dass die Ablehnung, welche Teilen dieses Milieus widerfährt, hart erarbeitet ist.
Ihrer Conclusio schließe ich mich erfreut(d) an.
Als Mensch aus dem sozial-therapeutischen Geläuf frage ich mich, ob es denn keine anderen Möglkichkeiten mehr gibt, Mangel an Aufmerksamkeit zu kompensieren. Die Diskriminierung von allem, was ehedem als normal galt, finde ich nur noch oberpeinlich. Die größten Spießer, die ich in meinem langen Leben kennengelernt habe, sind zwei Schwule mit Kakadus, die im Außenbereich leben und großflächig die Nachbarschaft tyrannisieren.
Zur Frage von Gewichtung und Prioritätensetzung später mehr. Menschliches Leben erfordert es, Tag für Tag Entscheidungen zu treffen. Hunderte.
Ich ziehe jetzt erst mal ein spätes Frühstück vor. Bei passender Mucke. Nein, nicht bei ZZTop. ;-)
"Ob die Thematik eine Luxusdiskussion ist, lasse ich an der Stelle einmal offen."
Zumindest haben nach Deiner Einschätzung die Vertreter der "kein Luxus" Fraktion auch nicht mehr in der Hand. ;-)
Dennoch, es kann ja nicht darum gehen, das Thema abzubürsten - auf die Schwachstellen hinzuweisen, ist aber richtig und ich kann Dir da zustimmen - sondern in Relation zu setzen.
Es muss kein Widerspruch sein, dass man immer wieder auf die linken Basics hinweist und dennoch auch diese seltsam scheinenden Diskussionen vorantreibt.
Beides kann links sein, es bringt nur wenig, wenn die Lager sich gegen einander ausspielen (lassen).
Inhaltlich ist das Thema wichtig, aber ich gestehe, dass ich selten so schlechte Argumente gehört habe, wie oft in diesen Diskussionen, aber diesen Luxus müssen wir uns leisten, ebenso wie neben den oft anstregenden Schnellschüssen und Moralismen der Grünlinken, ihre besten Argumente ebenfalls geborgen und beachtet werden müssen und so richtig es ist, immer wieder auf das altlinke Thema von mehr Wohlstand für die Armen hinzuweisen, wie dieser zu gestalten ist, damit die Welt nicht platzt, ist etwas, dem man sich zuwenden muss.
Auch Dir ein frohes Neues!
»Ich ziehe jetzt erst mal ein spätes Frühstück vor. Bei passender Mucke. Nein, nicht bei ZZTop. ;-)«
Kein Problem; Frühstück bei ZZ Top wäre in Anbetracht unseres Alters und unserer Klassenlage auch eher … sagen wir mal: gewöhnungsbedürftig.
Zum Thema: Ich achte zwischenzeitlich verstärkt darauf, bei aller (m. E. richtigen) Kritik nicht das Kind mit dem Bad auszuschütten und dabei Ressentiments zu bedienen gegen Forderungen und Ansätze, die durchaus sinnvoll respektive politisch richtig sind. Zu den zwei Schwulen: Neben Heteros, die sich als Volla****löcher aufführen, kenne ich selbstverfreilich eine Reihe Schwule, Lesben und sich als bisxuell Sehender, die rundum feine Persönlichkeiten sind und sich auch keinesfalls dadurch profilieren, andere mittels Mission und maßloser Ansprüche zu nerven. Anders gesagt: Man muß es differenziert sehen.
Ansonsten: Auch Ihnen ein frohes Neues – wenn es sein muß, mit möglichst wenig ZZ Top ;-).
und wie bestellt kommen die anti-gender-männer(?) der fc.
ich warte auf den tag, an dem unter einem solchen artikel/interiew in der fc nicht die üblichen, erwartbaren kommentare folgen.
solange sich das nicht mal in der fc ändert, sind diese diskussionen dann wohl doch kein luxus, sondern notwendig.
bei u-30-jährigen ruft dieses themenspektrum i.d. regel weniger abwehr aus, immerhin.
frohes neues!
Ich habe zu der Thematik ebenfalls nicht den alleinseligmachenden »Roten Faden«. Meine – regelmäßig hier ja auch nachzulesende – Meinung dazu hat sich eher insofern verändert, als dass ich mittlerweile dazu tendiere, mich aus den Themenbereichen weitgehend herauszuhalten und stattdessen eher die zu frequentieren, zu denen ich inhaltlich was beizutragen habe (soziale Schieflage at first, USA, Popkultur).
Nee – ausschließen können und sollen sich Anti-Diskriminierungspolitik und klassischer Klassenkampf keinesfalls.
Ansonsten: Auch dir ein frohes (und vor allem: wieder mit mehr Auslauffreiheiten versehenes) 2021.
"und wie bestellt kommen die anti-gender-männer(?) der fc."
Also, man kann es sich auch mit der Kritik an der Kritik zu leicht machen.
„Ich habe zu der Thematik ebenfalls nicht den alleinseligmachenden »Roten Faden«.“
Ist der nicht relativ offensichtlich? Wenn sich Linke für die Unterprivilegierten und Marginalisierten der Gesellschaft einsetzen, dann ist das doch der rote Faden. Hinderlich ist nur, dass es innerhalb der Lager offenbar zu einer Wagenburg-Mentalität gekommen ist und alle um den größtmöglichen Opferstatus konkurrieren und sich gegenseitig wegbeißen.
„Nee – ausschließen können und sollen sich Anti-Diskriminierungspolitik und klassischer Klassenkampf keinesfalls.“
Eben. Man betont aber die Gemeinsamkeiten nicht, statt dessen haben inzwischen sogar die Rechten diese Opfergeschichten übernommen, die mitunter so grotesk sind, dass sie ihre eigene Karikatur darstellen, aber die Linke findet kein Mittel dagegen.
Als Sportinteressierter fallen mir beim Thema "Rolle der Natur der Geschlechter" sofort die Sportgerichtsprozesse bis vor die höchsten Gremien ein im Falle der bekannten südafrikanischen Läuferin Caster Semenya. Im Ergebnis müssen die Frauen mit 46,XY-Chromosonen und infolgedessen erhöhten Testosteronwerten diesen medizinisch senken, um an Frauenwettkämpfen teilzunehmen, was Caster Semenya als Diskriminierung empfindet. Der Konflikt zwischen Benachteiligung der Frauen mit Norm-Testosteronwerten und Diskriminierung derjenigen wenigen mit erhöhten lässt sich im Leistungssport eigentlich kaum für beide Seiten gerecht lösen.
Wobei Spitzensport und Normalbiologie nur noch seltene Überschneidungen bieten dürften, im Zeitalter von Gendoping, Testosteronpfalstern, Wachstumshormonen usw. usf.
Was die Kinder im Badewasser angeht: ja, das ist eine Aufgabe. Eine, an der immer wieder persönliches Wachstum möglich ist.
ZZTop finde ich im Übrigen nicht per se kritikabel. Auch hier gilt das Gesetz der Differenzierung: alles eine Frage von Tageszeit und Tagesform. Vielleicht eine neue Variante der Kakaduabwehr? (Wasser alleine scheint keine wirkungsvolle, sprich: lärmsenkende Lösung zu sein.)
Auch für Sie A Happy New Year. Trotz allem.
... und alle um den größtmöglichen Opferstatus konkurrieren und sich gegenseitig wegbeißen.
Für diejenigen, die es betrifft, kann es sich um existenzielle Konflikte handeln - um die Frage, ob sie Boden unter den Füßen behalten (oder wieder bekommen), oder ob sie im freien Fall abschmieren - wenn nicht "OK damit umgegangen" (Amelung) wird.
Vielleicht wäre die Gesellschaft oder die Basis schon weniger gespalten, wenn der Verdacht, einige wollten sich doch lediglich per Identität bessere Karten im schweinesystemischen Wettbewerb verschaffen, einfach mal stecken gelassen würde. Es geht keineswegs nur bei der Frage nach der Erwerbstätigkeit ums Überleben.
Gutes neues Jahr!
>>Der Konflikt zwischen Benachteiligung der Frauen mit Norm-Testosteronwerten und Diskriminierung derjenigen wenigen mit erhöhten lässt sich im Leistungssport eigentlich kaum für beide Seiten gerecht lösen.<<
Auch die Festlegung von intersexuellen Grenzwerten wäre wegen der fliessenden Übergänge wohl keine Lösung, abgesehen davon dass es eben eine kleine Minderheit der Bevölkerung betrifft. Aber gibt es nicht auch andere Unterschiede der physischen Gegebenheiten? Sollte, wer über besonders lange Beine verfügt vom Sprint ausgeschlossen werden? Oder wie ist es mit Hand- und Fussflächen beim Schwimmen?
Oder ist das Problem eben der Wettbewerb körperlicher Eigenschaften an sich?
„Vielleicht wäre die Gesellschaft oder die Basis schon weniger gespalten, wenn der Verdacht, einige wollten sich doch lediglich per Identität bessere Karten im schweinesystemischen Wettbewerb verschaffen, einfach mal stecken gelassen würde.“
Oder, das wäre mein Vorschlag, sich eben nicht darauf reduzieren zu lassen, die Basis oder den Mittelbau oder das Dachgeschoss aufzuhübschen, sondern alles.
Mehr ökologisch verträglicher sozialkompatibler Wohlstand und obendrein andere, bessere Werte mit der Perspektive auf ein anderes, besseres Leben und das nicht als 'Wünsch dir was'-Geschichte, sondern ernsthaften Ansatz. Worauf wollen wir eigentlich noch warten?
Frohes neues Jahr!
Luxus? Ich würd‘s mal so ausdrücken: Viele Menschen haben gar keine Zeit, sich um Genderfragen zu kümmern. Die sind hauptsächlich damit beschäftigt, den Alltag zu bewältigen und die Rechnungen zu bezahlen.
Als ich zu Beginn der Neunzigerjahre zum ersten Mal nach Asien kam, bekam ich es- ebenfalls zum ersten Mal- mit Transsexuellen zu tun. Sehr spannend! Speziell in Thailand sind Transsexuelle ganz alltäglich. Auch auf den Philippinen, wo ich lebe, gehören Transmenschen zum Alltag, was angesichts der erzkatholischen Kultur ausgesprochen erstaunlich ist. An odfiziellen Umzügen haben sie z. T. eigene „Abteilungen“. Alljährlich finden Schönheitswettbewerbe extra für Transmenschen statt, die sich grosser Beliebtheit in der Bevölkerung erfreuen! Was es wiederum überhaupt nicht gibt, sind diese ganzen, verkrampften Genderdebatten westlichen Zuschnitts, wo die Welt von den jeweiligen Protagon_ist/Innen/innen/*innen/:innen/x/... bisweilen unerträglich radikal und dogmatisch in Gut und Böse eingeteilt wird. Der spielerische Umgang mit sexuellen Identitäten und Orientierungen findet hier ganz ungezwungen im Alltag statt. Auch an den Universitäten gibt es kaum oder gar keine Genderwissenschaften. Trotz oder gerade deswegen ist man all den unterschiedlichen Ausrichtungen bei den sexuellen Präferenzen und Identitäten in weiten Teilen Südostasiens eher, bzw. sehr offen eingestellt.
Ich denke, es ist schon so, wie Richard Zietz weiter oben schreibt: Die ganze Ablehnung, die diesem Milieu zunehmend entgegen gebracht wird, ist von diesem auch hart erarbeitet worden. Der Genderdiskurs ist sicher wichtig. Aber so, wie er derzeit geführt wird, dürfte er nicht zu mehr Toleranz in der Bevölkerung führen, auch wenn die Homoehe zum Glück auf immer mehr Zustimmung stösst. Abgesehen davon fühle ich mich als pansexueller Mann von den meisten LGBTQ(...)-Vorkämpfern überhaupt nicht vertreten. Die Radikalität, der Dogmatismus, die Heterophobie und das bisweilen geradezu Sektiererische von Teilen dieser Bewegung stossen mich regelrecht ab.
Wenn einer vor Schmerz oder Not kurz vor dem Delirium ist, ergeben sich möglicherweise andere Prioritäten. Und wenn die Basis darauf mit offener Ablehnung reagiert, vielleicht obendrein auch noch Furcht vor ihr, und "Komplizenschaft" mit den "Eliten".
Der Mensch wird ja nicht nur von den üblichen Verdächtigen reduziert.
Ich bezeichne das als "Geschlechtsneurose" wenn jemand mit dem Fortpflanzungsaspekt des Lebens derart überfordert ist, dass er aus der Haut fahren muss.
ZZTop finde ich zwar noch geil, wenn auch nicht zum Frühstück. Mir sind letztens sogar noch die Ärzte in den Lautsprecher gerutscht. Irgendwie... immer noch geil. Aber grenzwertig, zugegeben. Vor allem wegen des Alters. Habe dazu sogar noch Luftgitarre gespielt. Alleine im Zimmer, nota bene. Ich bin halt still a Real Wild Child, haha! Gross dafür geschämt habe ich mich auch nicht. Durchlaufe ich vielleicht gerade eine spätpubertäre Krise?
P.S. Gutes, neues Jahr, whatever it takes!
Die BerufssportlerInnen wachsen eigentlich je nach ihren körperlichen Voraussetzungen in ihre Hauptdisziplinen rein und haben dann jeweils ähnliche, vergleichbare körperliche Voraussetzungen beim Leistungsvergleich (z.B. Bundesliga-Fussballtorwart > 180cm, Durchschnitt: 190cm) oder es gibt die Gewichtsklassen (Boxen) oder sogar BMI-Grenzwerte (Skispringen z.B.) oder Hämatokrit-Grenzwerte (Radsport). Der Berufssport würde sicher noch weiter differenzieren, wenn es sich finanziell lohnt.
"Roedig: Ja, etwas ist aus dem Ruder gelaufen. ..."
Dem stimme ich schon mal zu.
Dann können ja auch Testosteronklassen gebildet werden, unabhängig vom eingetragenen Geschlecht. Die bekannten steroidhormonellen Tricksereien würden damit weder mehr noch weniger.
"Wobei Spitzensport und Normalbiologie nur noch seltene Überschneidungen bieten dürften, im Zeitalter von Gendoping, Testosteronpfalstern, Wachstumshormonen usw. usf."
Sicher. Die Intersexualität von Caster Semenya tritt immerhin in der Häufigkeit von 1:80000 auf und mit ihrer Startberechtigung bei den Frauen im Berufssport hatten sich die Sportgerichte intensiv und exemplarisch beschäftigt.
Luftgitarre spielen ist auch mir – alterstechnisch zwischen Zweit-Harley und Gehhilfe angesiedelt – nicht in Gänze unvertraut. Immerhin habe ich meine Rockmusik-Vorlieben mit der Zeit so sublimiert, dass ich auf einer wie ich glaube nicht total unvernünftigen Weise darüber schreibe.
Wahlweise gehöre ich also ebenfalls zu denen, die entweder in der spätpubertären Phase steckengeblieben sind oder es einfach nicht schaffen, die Ärmel runterzukrempeln. In dem Sinn: ein gutes neues Jahr.
"Ich muss ehrlich sagen, dieses Gendergelaber find ich völlig absurd. Statt dafür zu kämpfen, dass alle die gleichen Rechte haben, wird durch diese Diskussion die Gesellschaft auseinanderdividiert. Das Ziel sollte doch sein, dass es egal ist, ob jemand Mann, Frau, homosexuell, behindert, schwarz oder weiß ist. Diese Unterschiede zu überwinden, ist das Ziel. Nicht diese Unterschiede extra zu betonen, um gruppenspezifische Sonderrechte zu fordern."
Das Auseinanderdividieren ist eine Herrschaftstechnologie. Unterteile die Bevölkerung und hetze die Gruppen aufeinander. Ist ein ganz alter Hut, taten schon die alten Römer mit den Germanen, die Engländer mit den Indianerstämmen, die amerikanische Herrscherklasse dann mit der Unterklasse, indem sie weiße und schwarze Plantagenarbeiter gegeneinander aufbrachte. Beispielsweise machte man die Weißen zu Aufsehern über die Schwazen, um jenen ein Überlegenheitsgefühl einzuflößen, damit sie sich mit der weißen Herrscherklasse identifizierten. Das ist einer der Ursprünge von "White Supremacy".
Die Gender-Debatte ist genau wie die "kritische Rassentheorie", die "White Supremacy" eigentlich zerlegen sollte, im gegenwärtigen neoliberalen System ein Teil der Herrschaftsrechtfertigungsideologie geworden, eine Methode, "Linke" einzubinden, zu verwirren und mit der kapitalistischen Herrschaft zu versöhnen. Auf dem Papier emanzipatorisch, in der Wirklichkeit ablenkend und spaltend. Funktioniert super. Das einzige, was Macht – jede Art von Macht – bedrohen kann, ist die Einigung und Organisation der Beherrschten zum aktiven Widerstand, und genau das wird verhindert, wenn man sie in Gruppen aufspaltet und gegeneinander aufhetzt.
Außerdem werden diese Gender- und Rassendebatten ausschließlich von Akademikern geführt, die selbst Systemprofiteure sind. Es ist Gewissensberuhigung, Seelenpflaster für die grünlinke Kleinbourgeoisie. Dies ist deshalb wichtig, weil genau diese Leute sonst auf die Idee kommen könnten, die Arbeiter zu organisieren. Sie haben nämlich als einzige die Fähigkeit dazu und könnten auch die Motivation entwickeln.
Sie setzen voraus, dass ich weiß, was Luftguitarre ist? Völlig zu Recht. Bei mir seit seit ca. 1970 als "imaginary guitar" betitelt. Neulich beim Fotobetrachten (habe zum Glück nur wenige, als ich noch jung und schön war) wiederentdeckt.
Spätpubertär? JA, natürlich - und zum Glück.
Aber Krise? Ach was.
Back to the roots - oder wie mein virtueller Freund Fish (frühe Marillion) mal meinte: Return to childhood (Titel einer Scheibe/ CD).
Happy new year - wegen oder trotz allem.
Und: Sonnenschutz nicht vergessen.
Vernunft wird überschätzt, werter Kollegah. Glauben Sie es mir endlich. Ich bin sicher, dass all die, die wir hier gleichermaßen mit Ärger wie mit Freude kritisierend würdigen, sich selbst als "vernünftig" bezeichnen.
Wollen Sie wirklich so sein wie die? Nö - oder? Ich nicht. Wir (ich sage jetzt mal ganz frech: wir) haben unsere Kernkompetenz - stehen wir doch dazu. Wir sind ANDERS.
Falls Sie gerne lachen, mein Buch-Tipp für die Zeit zwischen Zweit-Harley und Gehhilfe: Maxim Leo & Jochen Gutsch, Es ist nur ein Phase, Hase.
Das Buch ist Klasse, obwohl es (oder sein Titel) von Susanne Fröhlich und Christine Westermann hoch gelobt wurde.
Es ist manchmal schwer, sich seiner Adepten zu erwehren. ^.^
Völlig richtig.
Das äußerst Merkwürdige aber ist doch hierbei, dass die Beherrschten durchaus selbst an der ewigen und leider eigentlich immer erfolgreichen Teilung arbeiten, über deren Folgen dann ausgiebig geklagt wird. Altes Menschheitsgeschehen. Tragisch. Immer wieder.
Gabs mal ein Lied:Auf ihr Völker dieser Erde, einigt euch in diesem Sinn,... Heute schier undenkbar, damals immerhin mal eine Hoffnung. Heute haben wir die ziemlich bittere EU-Realität. Und vom Rest der Welt und irgendeiner Einigung kann man noch nicht mal mehr träumen.
»Das Buch ist Klasse, obwohl es (oder sein Titel) von Susanne Fröhlich und Christine Westermann hoch gelobt wurde.«
Westermann ist in meinen Augen unbedenklich, Fröhlich in meinen Augen hingegen eher ein Anti-Lesegrund. Am Lachen scheiden sich die Geister. Da der Witz an und für sich Geschmackssache ist: Vielleicht mach’ ich irgendwann mal ein Blog über den da ;-).
Ich bin entsetzt über den da.
Darf manN das in diesen korrekten Zeiten überhaupt noch sagen? Das ist doch eine Aufzeichnung von 1989, kurz vor dem Mauerfall?
Aber ganz ohne Ernst: ich habe gelacht. Besonders über Witz Nr. 2.
»Das ist doch eine Aufzeichnung von 1989, kurz vor dem Mauerfall?«
Nee – ich würde sagen: Eher zeitloser Look. Und auch vom Repertoire: ganz klar die klassische Linie.
P. s.: Witz Nr. 2 fand ich ebenfalls am gelungensten.
„Wenn einer vor Schmerz oder Not kurz vor dem Delirium ist, ergeben sich möglicherweise andere Prioritäten.“
Klar, aber in Notsituationen führt man gewöhnlich auch keine großen Diskussionen. Nur haben wir die letzten 75 Jahre eben nicht primär ums Überleben gekämpft, sondern profitierten von einem ausgeprägten Luxus, der in dieser Form gerade an sein Ende kommt. Was dort erstritten wurde, ist aber sehr gut und es ist dieser 'Luxus' der das Leben lebenswert macht. Nur hat man sich irgendwann zu Tode gesiegt und weiß nicht damit umzugehen, dass das Pendel nun in die andere Richtung schwingt.
Doch auch dem muss man sich ja nicht passiv ergeben, sondern kann schauen, wie man die Zukunft lebenswert gestalten kann. Das Gute ist, dass da schon unheimlich viel Pionierarbeit geleistet wurde und das Rad gar nicht neu erfunden werden muss. Auf ganz vielen verschiedenen Gebieten, so dass das im Grunde nur eine Sortierarbeit ist.
Auf die Reaktionen auf den Beitrag sind doch ziemlich erwachsen, da wird ja nicht dumpf gepöbelt, sondern ziemlich präzise gesagt, was stört, von Zietz bis Reinkarnation. Aber, wie gesagt, ich will da nichts gegeneinander ausspielen, sondern die drei Bereiche jeweils verbessern und auch den Diskurs über Genderfragen, der oft ziemlich grottig ist.
Hoffe, ich habe jetzt nicht zu sehr an Ihnen vorbei geschrieben.
„Die Intersexualität von Caster Semenya tritt immerhin in der Häufigkeit von 1:80000 auf und mit ihrer Startberechtigung bei den Frauen im Berufssport hatten sich die Sportgerichte intensiv und exemplarisch beschäftigt.“
Ist natürlich schon hart jemander zu sagen, dass sie eigentlich keine Frau ist, denn das tut man ja de facto. Aber es ist ja tatsächlich auch eine Frage, inwieweit man jemanden geschlechtlich zuordnen kann und muss. Jemand kann genetisch ein Mann sein, aber den biologischen Körper einer Frau haben, da ist es dann schon biologisch schwer zu bestimmen, um welches Geschlecht es sich handelt, intuitiv würde ich sagen, eine Frau, aber da grätscht dann die Genderfraktion voll rein.
Zumal es da noch weitere soziale Faktoren gibt, die sehr früh determinieren, ohne im klassischen Sinne ein soziale Rolle zu sein. Wo das alles seine Ursache hat und wie normal das ist und was überhaupt normal ist (gut finde ich die Aussage: Normalität ist eine metabolische Störung :-) ) da ist man schnell in einem dichten Wald.
Der wäre in ein paar Tagen sogar nach Hesse gekomme ... jetzt erst 2022.
Ich empfehle Menschen über 60, davon abzusehen, sich noch Karten zu kaufen ... wir wissen nicht gesichert, ob das posthum noch funzt.
Die intersexuellen und transgender Menschen haben es auf jeden Fall schwerer als die Mehrheit, ihre Geschlechterrolle und Geschlechstidentität in der Pubertät und danach zu finden.
Öffentlich bekannt wurde auch das Schicksal der Skifahrweltmeisterin Erik(a) Schinegger., ähnlich wie Semenya genetisch intersexuell. Sie liess sich, nachdem sie nach einer Geschlechtsuntersuchung davon erfahren hatte, zum Mann operieren und gab ihre Goldmedaille symbolisch der zweiten. Die biologische "Intersexualität" definiert sicher allein nicht die sozialen Geschlechterrollen, Semenya will "Frau" sein, mit einer Frau als Partnerin, Schinegger ein "Mann".
Standesamtlich gibt es ja seit 2018 gesetzlich das dritte Geschlecht, divers, auch im Perso. Auch in der gesetzlichen Jugendhilfe kann schon in der Statistik das Geschlecht "divers" eingetragen werden. Insofern hat die Politik und der Staat da mehr Fortschritte erzielt, als in den Köpfen der Mehrheit der Leute, was politisch auf jeden Fall die AFD gut zu nutzen weiss.
„Die biologische "Intersexualität" definiert sicher allein nicht die sozialen Geschlechterrollen, Semenya will "Frau" sein, mit einer Frau als Partnerin, Schinegger ein "Mann".“
Da gibt es ganz interessante Untersuchungen. Die Kinder empfinden sich in der Weise der Entscheidung der Eltern, als was Mädchen oder Junge, sie ihr Kind sehen und behandeln. Aber vermutlich wird da vieles noch umgepflügt werden.
Hier ein aktueller Buchtipp zu dem Thema, sehr wissenschaftlich fundiert und differenziert. In den USA scheint die Debatte aber auch noch einmal heftiger abzulaufen. https://www.drdebrasoh.com/book
Haha: Irgendwo zwischen Zweitharley und Gehhilfe! Ich stehe altersmässig noch kurz vor der Zweitharley, die Erste ging in den Neunzigern wieder weg. Hat mich Unsummen gekostet, das Ding, item: Tief in meinem Innern, also wirklich gaanz tief drinnen, da steckt sie noch, meine wilde Seele, die ich jetzt in etwa so beschreiben würde. Heute wird via MTB und Gravel Bike sublimiert, ganz klimaneutral also.
Ebenfalls a happy new year, whatever it takes!
Sonnenschutz immer und natürlich mindestens Faktor 30+, in den Tropen sowieso.
Was mir heute- und auch im Zusammenhang mit dem eigentlichen Artikelthema- fehlt, ist eine gewisse Lässigkeit. Lieben und Leben lassen, wie und wo es gerade hinfällt. Wie schon dem Zietz geschrieben: Rocker, Hausbesetzer und Kulturszene, das ging früher z. B. janz jut zusammen. Heute wird streng separiert und alle definieren sich nur noch via Differenz, Gemeinsamkeiten werden kategorisch ausgeblendet. War früher alles besser? Nein, aber ganz sicher anders. Und unverkrampfter.
Ich werde weiterhin Luftgitarre spielen, whatever it takes ;-)
»in etwa so«
Ja. Lange her. (Seufz)
Nur hat man sich irgendwann zu Tode gesiegt und weiß nicht damit umzugehen, dass das Pendel nun in die andere Richtung schwingt.
Hören Sie sich mal auf einem ganz "normalen" Schulhof um, Moorleiche - da fallen Ihnen die Ohren ab. Dass kein Redakteur mehr schreibt, Homosexuelle oder Transsexuelle seien "Verbrecher", heißt ja nicht, dass der Selbstverstand auch an der Basis angekommen wäre. Das Pendel schlägt immer noch in etwa den selben Leuten in die Fresse.
Grundsätzlich - insoweit stimmen wir vielleicht überein - finde ich es immer problematisch, wenn "Akzeptanz" gefordert wird. Akzeptanz gibt es nicht auf Anfrage oder Forderung, sondern allenfalls aus Erfahrung. Aber Toleranz und Rücksicht wären m. E. schon wichtig.
Es wirkt auf mich nicht konsequent, wenn einerseits die Bereitschaft von LGBTs beklagt wird, sich teilen und beherrschen zu lassen (insofern hält man sie für wichtig) und andererseits dieser Anteil der Menschheit doch für eher klein (also wenig relevant) gehalten wird.
LGBT finden ja nicht nur bei denen Beachtung, die sich gerne ausschließlich auf denen angetanes Unrecht konzentrieren, sondern auch bei denen, die (so verstehe ich das) finden, LGBTs, die sich diese Beachtung gefallen lassen, handelten unsolidarisch.
So gesehen drängt sich mir zumindest der Verdacht auf, dass es nicht so sehr ums Erwachsensein geht, sondern darum, bei höheren Mächten um Beachtung zu ringen - und zwar im Wettbewerb mit "den Anderen".
„Hören Sie sich mal auf einem ganz "normalen" Schulhof um, Moorleiche - da fallen Ihnen die Ohren ab. Dass kein Redakteur mehr schreibt, Homosexuelle oder Transsexuelle seien "Verbrecher", heißt ja nicht, dass der Selbstverstand auch an der Basis angekommen wäre. Das Pendel schlägt immer noch in etwa den selben Leuten in die Fresse.“
Homophobie begegnet einem überall, kein Zweifel, da braucht man keinen Schulhof, das geht von den Prolls bis in die Kreise der gut und sehr gut Situierten, die hinter vorgehaltener Hand sagen, dass man Politiker X und Y ja nicht vorzeigen kann, drei mal dürfen Sie raten, wer, weswegen gemeint ist.
Janto Ban hat ja die offene Homophobie einiger Lieblingsländer des Freitags und seiner Community immer mal wieder durchaus kreativ, wortmächtig und wütend kommentiert, da aber auch bei Linken nicht sein kann, was nicht sein darf, hat er schließlich wohl entnervt und frustriert das Handtuch geworfen. Homophobie ist voll böse, wenn sie von alten weißen Männern aus dem Westen kommt, aber sonst … sitzt man das halt aus.
Und natürlich gibt es blöde Schwule oder Transgender, wie sollte es auch anders sein, sind halt Menschen, wie andere auch, bei Supermarktleitern, Einwanderern und Politikern gibt es ja auch Idioten. Und da die breite Mehrheit heteronormativ ist – auch so ein Wort zum Abgewöhnen – ist die Identitätsfindung sicher schwieriger.
Was mich stört, ist, dass – weit über die sexuelle Orientierung hinaus – Communitys oder auch Blasen entstehen in denen man einerseits Gleichgesinnte findet, was gut ist, wenn man Rollstuhlfahrer, umgeschulter Linkshänder, Mobbingopfer, depressiver Milliardär oder Veganer ist, nur je genauer man hinschaut, um so mehr findet man in jedem (also jedem!) Leben Einzigartigkeiten (zum Glück, das macht uns ja aus, wir wollen ja auch besonders und einzigartig sein) mit denen man unterschiedlich gut oder schlecht umgehen kann. Irgendwer findet bei Recherchen raus, dass der Opa Nazi war und die Welt bricht zusammen, andere verlieben sich in ein Bügeleisen. Gibt's halt.
Schön, wenn man das für sich aufarbeiten kann, entlastend, wenn man Gleichgesinnte findet, aber ist die Welt kalt und böse, wenn sie sich nicht intensivst mit der sicherlich spannenden Fluchtgeschichte von A oder dem Tag von B beschäftigen will, an dem er sich eingestand sein Bügeleisen zu lieben? Denn mit nur geringgradiger Empathie müsste man nachvollziehen können, dass auch eine weiße, heteronormative Biographie, bei halbwegs dotiertem Job ihre Abgründe und Dramen hat und ehrlich gesagt ist heute bereits der normale Alltag oft überfordernd, selbst dann wenn er halbwegs läuft.
Aber um diesen 'Wer leidet mehr?'-Contest geht es mir gar nicht. Vor wenigen Tagen traf ich jemanden aus der Geschäftswelt, der quer durch die Welt fliegt und Europa fährt, dabei sehr gut verdient und der diese als Kampf darstellt. Ein Blick auf Auto und Kleidung und man ist sofort gescannt, so wie es in jeder Blase Codes gibt. Er bewährt sich seit Jahrzehnten in dieser Welt, hat das Posing von 'Ich kann mit jedem und auch beliebig umschalten' locker drauf, wie die notwendige andere Seite, eigentlich Alpha-Mann par excellence zu sein, will aber in der Mischung zwischen Dominanzgehabe und Kumpelhaftigkeit auch ganz Mensch sein und ist keineswegs unsympathisch.
Da geht man dann weg und fragt sich: Moorleiche, jetzt mal ehrlich. Würdest Du so leben wollen? Meins wäre es nicht, auch für viel Geld nicht, aber interessant fand ich, dass ich vielleicht unter gewissen Bedingungen auch so hätte werden können und andererseits die seltsame Sehnsucht bei den einen, zu sehr konträren Kreisen dazu gehören zu wollen, während andere ihre innere Heimat gefunden zu haben scheinen, was ihrem Leben eine ziemliche Wuscht verleiht, die ebenfalls faszinierend und verstörend ist. Wer hat eigentlich das bessere Leben?
Die Moral von der Geschicht' ist, dass jedes Leben, jede Biographie, lässt man sich auf sie ein, reich und spannend ist. Das macht den so gerne angestrebten Sonderstatus etwas anstrengend. Es hält einen zumeist auch davon ab, sich auf andere einzulassen, denn wo die Welt sich für meine so ganz außergewöhnliche Geschichte interessieren sollte, ist dann oft nur noch wenig Platz die ganz außergewöhnliche Geschichte des anderen.
Die Opferidentität ja obendrein noch einen Haken. Man bekommt seine Gratifikationen in Form von Aufmerksamkeit, Sonderrechten und Geld nur, wenn es einem nachhaltig schlecht geht. Das haben zu viele gemerkt und handeln entsprechend und so kommt es zu der erstaunlichen Verdrehung, dass wenn man Menschen damit bedroht, dass ihnen tatsächlich geholfen werden kann, dies postwendend und gar nicht so selten als Menschenverachtung ausgelegt wird. Aber auch das ist ja durchaus interessant.
Denn mit nur geringgradiger Empathie müsste man nachvollziehen können, dass auch eine weiße, heteronormative Biographie, bei halbwegs dotiertem Job ihre Abgründe und Dramen hat
Stimmt. Aber die hier disktutierten Dramen kommen obendrauf, und sie betreffen Gruppen, die besonders angreifbar sind - nicht wegen dem, was sie (nicht) haben, sondern wegen dem, was sie sind.
Das halte ich für ein Problem für sich. Dass es außerdem auch Wettläufe um den gewinnbringendsten Opferstatus gibt, würde ich nicht bestreiten, aber das ist universal und betrifft alle gesellschaftlichen Gruppen. Man sollte zwei Probleme nicht behandeln, als wären sie eins - dann redet man wirklich am Thema vorbei.
"Stimmt. Aber die hier disktutierten Dramen kommen obendrauf, und sie betreffen Gruppen, die besonders angreifbar sind - nicht wegen dem, was sie (nicht) haben, sondern wegen dem, was sie sind.
... Man sollte zwei Probleme nicht behandeln, als wären sie eins - dann redet man wirklich am Thema vorbei."
Damit bin ich völlig einverstanden. Es gibt tatsächliche Opfer und da diese oft nicht so medienkompatibel sind, wie die, die gelernt haben sich zu inszenieren, verblasst ihre Geschichte leider viel zu oft.
Hilft man den 80% eingebildeten Opfern zurück in ein eigenverantwortliches Leben, sind die tatsächlichen Opfer auch wieder klarer zu erkennen. Es wäre allen geholfen.
Was den Verlust der Lässigkeit angeht: Zustimmung. Früher gab es neben den diversen ICHs auch ein WIR. Das ist uns gründlich verloren gegangen.
Wenn am Hegel'schen Dreisatz (These-Anti-These-Synthese) etwas dran ist, sollte uns dies einen Hoffnungschimmer erhalten. Sofern wir über uns selbst und unsere irdische Zeit hinausdenken oder wenigstens träumen und ahnen.
Und jetzt weiter mit der Imaginary Guitar. :-)
Zustimmung. Ich bin dabei. Inszenierung (oft ohne Rücksicht auf Wahrheit und Wahrhaftigkeit) ist heute scheinbar alles. Ich inszeniere, also bin ich. Nie hätte ich gedacht, auch selbst von diesem Bazillus derart erfasst zu werden.Doch die große Bühne der Inszenierungsoptionen lässt auch zu, aus der Rolle des "eingebildeten" (gefühlten) Opfers herauszuschlüpfen. Und Akteur der eigenen Gschichte zu werden. Trotz aller WENNs und ABERs.SELBSTERMÄCHTIGUNG ist möglich. Selbst für reale Opfer.
„Doch die große Bühne der Inszenierungsoptionen lässt auch zu, aus der Rolle des "eingebildeten" (gefühlten) Opfers herauszuschlüpfen. Und Akteur der eigenen Gschichte zu werden. Trotz aller WENNs und ABERs.SELBSTERMÄCHTIGUNG ist möglich. Selbst für reale Opfer.“
Ja, und schön, dass Sie das auch so sehen. Genau das ist aber ein Punkt, an dem – m.E. unnötig zugespitzt – soziale Unterstützung (die in einer ersten Phase sehr wichtig sein kann) und psychologische Möglichkeiten, die ja gerade diese Möglichkeit zur Selbstermächtigung aufzeigen wollen, gegen einander ausgespielt werden.
Dass das selbst für reale Opfer möglich ist, traue ich mich ja kaum noch zu schreiben, aber Sie haben natürlich Recht. Die reflexhafte Entgegnung ist dann meist, dass hier ein Opfer noch einmal zum Opfer gemacht wird. Damit wird die Opferidentität dann zementiert. Ob das den Betroffenen wirklich nutzt, darüber würde ich streiten.
Ich habe in meinem Leben viel mit Opfern, tatsächlichen und eingebildeten (gefühlten) zu tun gehabt. Beruflich und privat. Auch an mir selbst ist dieser Kelch nicht spurlos vorübergezogen.
Als Heimatkind der 1960er Jahre in einem "Fürsorgeheim" aufgewachsen und fürs Leben geprägt, habe ich die dort erlebten Erfahrungen Jahrzehnte lang konserviert. In den 2000ern gab ich mich der Illusion hin, der Runde Tisch Heimerziehung (RTH) könnte eine Lösung für die Betroffenen finden. Andere Länder wie Irland oder auch Österreich hatten gezeigt, dass es möglich ist, Opfer zu entschädigen und sie um Verzeihung zu bitten.
Im Mutterland der KZs und systematischen Vernichtung von Menschenleben kann dies nicht gehen, denn hier kommt zuerst Funktionalität, dann lange Zeit nichts ... und dann ein paar Krümelchen Humanismus. Aber nur dort, wo es nicht zuviel kostet.
Das Ergebnis des Fonds Heimerziehung war eine zweite Traumatisierung, die mich aus meiner Lebensbahn hinauswarf.
Zehn Jahre später, finanziell verarmt, aber unverzagt und mit Residuen von Kampfgeist ausgestattet, weiß ich: eine finanzielle Entschädigung wie in Irland (pauschale Zahlung von 77.500 €) hätte mich nur faul und bequem gemacht. Ich träume von Zeit zu Zeit davon, den deutschen Entscheidungsträgern zu begegnen. Dann bedanke ich mich lakonisch und wache kurz danach frohen Mutes auf. Wonderful!
Um das ganze Thema für mich poetisch abzurunden ein Satz von George Bernhard Shaw: "Es gibt zwei menschliche Tragödien. Die eine ist die Nicht-Erfüllung eines Herzenswunsches - die Andere seine Erfüllung."
Heute weiß ich: ich habe MEIN Leben gelebt, das ich leben konnte. Nach der Formel: Potenzial minus biografische Lasten=Lebenschancen.
Für mich war es wichtiger, mich mit mir SELBST auszusöhnen als mit Anderen. Jedem anderen Betroffenen wünsche ich dies auch - aus vollem Herzen.
Finde ich nahezu vorbildlich, auch wenn der Anlass gewiss kein erfreulicher ist. Danke, dass Sie es mitteilen. Aber es ist sehr schwer einer breiteren Schicht klar zu machen, dass bessere Rahmenbedingungen, um es mal so zu nennen, kein Selbstläufer sind. Was kein Plädoyer für schlechte Rahmenbedingungen sein soll. Aber manchmal wird man auch träge, was nicht verwerflich und zu verstehen ist, nur verhindert das oft auf den Prozess, den Sie beschrieben haben, die Aussöhnung mit sich oder den Weg zu sich selbst.
Vielleicht war es mal okay, diese innere Lücke mit allerlei Spielzeug auszufüllen, aber diese – m.E. aber auch nur dürftige – Kompensation wird in der heutigen Zeit obendrein noch für die Allgemeinheit gefährlich. Ein Grund mehr den Weg zum Selbst anzutreten, bei dem man, wenn in die Nähe kommt, ja doch oft mit sich zufrieden und im Reinen ist. Das, das geht es mir wie Ihnen, ist mir auch wichtiger, als äußere Anerkennung, die auch schön ist, aber wenn man sie nicht annehmen kann oder nicht so versteht, wie sie gemeint ist, gibt es ja erneut wenig andere Möglichkeiten als in sich nachzuschauen, wieso, weshalb und warum das so ist.
Aber das Thema ist ja die eigene Identität und ihr Stellenwert und es kann für den Einzelnen sehr wichtig sein, die Dinge hier klar zu kriegen. Entscheidend ist irgendwie, was dann passiert, ob man dann der Welt böse ist und verbittert sagt, was alles hätte werden können, wenn alles ganz anders gewesen wäre oder ob es einem gelingt – kann man eigentlich jedem nur wünschen – dieses Leben als mein Leben zu sehen, anzunehmen und darin auch die Gestaltungsmöglichkeiten zu erkennen.
An der Stelle kann man niemandem etwas vorschreiben und auch kaum raten, aber das was vielleicht die Wende bringt kann sehr verschieden sein und manchmal ist es vielleicht ein Buch, mal ein neuer Job, mal eine Begegnung, mal eine Gipfelerfahrung, mal ein Lottogewinn. Das ist es, was in Teilen der Linken ziemlich konsequent vernachlässigt und manchmal sogar aggressiv bekämpft wird. Es müsste nicht sein, weil ja beide Seiten durchaus ihre Stärken haben.
Selbstverständlich sind Mehrheiten normierend. Man sollte nur darauf achten, daß Minderheiten genügend tolerant behandelt werden. Das Leben ist nicht gerecht, besser formuliert, es ist gegenüber der Idee der Gerechtigkeit, einer subjektiven, kulturellen Setzung, indifferent. Als Mitglied einer Minderheit ist man im Nachteil, es ist ein humanistisch-ethisches Bedürfnis, solchen Nachteil zu einem gewissen Grad kompensierend abzumildern. Damit sollte man sich als derart Benachteiligter jedoch zufrieden geben. Beansprucht man vollkommene Gerechtigkeit oder gar Überkompensation, wird man zum Kohlhaas.
Die Kritik an der identitätspolitischen Vereinnahmung der linken Emanzipationsbewegung ist berechtigt, wo die Idee der Gerechtigkeit auf ein Partialinteresse reduziert bzw deren allgemeingültige Formulierung entpriorisiert wird. In Hinblick auf die allgemeine Emanzipation ist die gruppenspezifische in der Tat ein Luxusproblem, allerdings verliert es als solches nicht seine Legitimität, sondern erst durch seine Priorisierung und wie gesagt durch den in der Regel überzogenen Anspruch. Es ist schön, wenn wir uns solchen Luxusproblemen zuwenden können, das macht aber nur Sinn, wenn es die Lösung der vitaleren Probleme nicht stört.
@ Moorleiche, @ Bartleby
Es geht immer um die Berechtigung und die Grenzen der Identität. Das Problem ist einfacher lösbar an den Randpunkten der gesellschaftlichen und der individuellen Identität, es ist besonders kompliziert bei Gruppenidentitäten. Der Einzelne hat Rechte und Pflichten gegenüber dem Ganzen, durch die Pflichten wird man nicht zum Opfer, durch die Rechte nicht zum Normsetzer. Im Fall der Gruppenidentität ist das rechte Maß zwischen Selbstermächtigung und -disziplin zu finden besonders heikel.
„Der Einzelne hat Rechte und Pflichten gegenüber dem Ganzen, durch die Pflichten wird man nicht zum Opfer, durch die Rechte nicht zum Normsetzer.“
Da kommt einem nur manchmal noch das Leben dazwischen. ;-)
„Im Fall der Gruppenidentität ist das rechte Maß zwischen Selbstermächtigung und -disziplin zu finden besonders heikel.“
Warum eigentlich? Meinst Du die Identität von Gruppen oder von jemandem als Mitglied einer Gruppe? Problematisch scheint mir das immer nur dann zu werden, wenn man wenige Rollen oder Gruppen-Identitäten hat, wenn als das Deutschsein, Schwulsein, Grünsein, Angestelltensein sehr dominant wird.
Ist das eine von 20 Rollen meines Lebens (die darüber hinaus auch noch von einem Ich zussammengehalten werden), sehe ich da kein Problem und man muss den Begriff der Identität, dann auch nicht phobisch meiden.
Und ein frohes Neues, Dir und allen die mitlesen.
Identitätspolitik ist der Sprengsatz den uns die reaktionäre Rechte unters Bett gelegt hat. Nichts vernichtet Freiheitsliebe, Hedonismus und Solidarität derart wirksam wie dieses Gebräu aus akademischer Jauche und Moralinsäure.