Der bekehrte Mann

Unterwerfung Der neue Roman von Michel Houellebecq ist wie der Westen selbst: Spielerisch, ironisch, flatterhaft
Ausgabe 03/2015
Als wäre er eine Figur aus seinen Texten: Houellebecq in Paris, November 2014
Als wäre er eine Figur aus seinen Texten: Houellebecq in Paris, November 2014

Foto: Bonaventure/AFP/Getty Images

Man liest ein Buch nie ohne seinen „Kontext“, lautet eine der schlichten Wahrheiten, die uns die Literaturwissenschaft bereithält. Im Fall des neuen Buchs von Michel Houellebecq ist es krass: Statt hier zu sitzen und mich höchstens zu ärgern, dass ich den Namen des Autors immer noch nicht auf Anhieb richtig schreiben kann, steht der Vorwurf im Raum, die Anschläge vom 7. Januar hätten auch ihn und sein Buch gemeint, das just an diesem Tag ausgeliefert wurde. Tatsächlich hat Unterwerfung schon vor seinem Erscheinen in Frankreich heftigste Debatten ausgelöst, kolportiert wurde ein islamfeindlicher Inhalt, der von der deutschen Kritik jedoch postwendend dementiert wurde.

Und dann ist da noch der Titel der letzen Ausgabe von Charlie Hebdo. Man sieht einen unnachahmlich rauchenden Houellebecq, der Mund noch eingefallener als in echt. Sinngemäß steht da: 2015 verliere ich die Zähne, 2022 werde ich den Ramadan einhalten. Die zweite dieser Voraussagen bezieht sich auf François, den Helden aus dem neuen Roman, der in jenem Jahr 2022 spielt, eine islamische Partei an die Regierung bringt und François, der an der Sorbonne lehrt, den Gedanken fassen lässt, zum Islam zu konvertieren. Im Heftinnern von Charlie Hebdo wird „Houellebecqs Konversion“ dann nochmals behandelt. Was an diesem Titel den Zorn der Gläubigen erregt, erschließt sich nicht ganz, im Gegenteil, jeder Gläubige muss sich doch freuen, wenn eine verloren geglaubte Seele den rechten Weg gefunden hat, und sei sie so zahnlos wie dieser Schriftsteller. Grund zum Zorn hätten, wenn schon, wir Literaturwissenschaftler: Den Protagonisten eines Romans einfach so mit seinem Autor gleichzusetzen, ist uns ein Sakrileg.

Bleiben wir also bei der Romanfigur: Ist die Konversion ernst gemeint? Oder zynisch? Wie satirisch ist dieser Roman? Zweifellos enthält er schwarzen Humor, etwa wenn es da heißt, dass das Halal-Essen, welches sich unter der neuen islamischen Regierung ausbreitet, eine Art „bessere Bio-Nahrung“ sei. Die Arbeitslosigkeit wiederum sinkt, weil die Frauen mit einer beträchtlichen Erhöhung der Familienzulagen aus ihren Berufen an den Herd zurückgelockt werden. Auch dass das Institut der Heiratsvermittlerin neu erblüht, macht lachen, wenn man liest, dass verklemmte französische Akademiker gern davon Gebrauch machen.

Kindliche Hoffnung

Ausgeprägt feministisch ist dieser Islam also nicht, das sollte man der Riege der Rezensenten schon mal sagen, die nun fast spürbar erleichtert betont, wie „liberal“ er bei Houellebecq doch sei. Der Islam, den dieser Autor zeichnet, ist erst einmal eine akademische Angelegenheit, deutlicher gesagt, eine Gelehrtenfantasie. Sichtbare Folgen zeitigt er an der Sorbonne. Mit saudi-arabischen Geldern blüht diese altehrwürdige Institution wieder auf, die Gelehrten werden bestens bezahlt, auch François, der zwischenzeitlich die Lehre aufgegeben hat, wird am Ende wieder gelockt, mit Geld und drei Ehefrauen. François ist Literaturwissenschaftler, den Islam lernt er aus den Unterrichtungen durch seinen Kollegen Robert Rediger kennen, ein Rechtsintellektueller, der aus dem Dunstkreis der „Identitären“ (eine Bewegung, die es in Frankreich ja wirklich gibt) in den Lichtkreis des Islam getreten ist und schließlich neuer Rektor der Sorbonne wird.

Rediger feiert den Islam im Sinne seines historischen Vorbilds Nietzsche als eine lebensbejahende Philosophie, die die Welt so akzeptiert, wie sie (angeblich) ist. Der Gelehrte ist beseelt vom Gedanken, dass „der Gipfel des menschlichen Glücks in der absoluten Unterwerfung besteht.“ Und obwohl „Unterwerfung“ ja einfach die Übersetzung des arabischen Worts „Islam“ ist, spricht er den folgenden Gedanken nur zögerlich aus, denn man könnte ihn für „blasphemisch“ halten. „Aber für mich besteht eine Verbindung zwischen der unbedingten Unterwerfung der Frau unter den Mann, wie sie in der Geschichte der O beschrieben wird, und der Unterwerfung der Menschen unter Gott, wie sie der Islam anstrebt.“

Natürlich ist das nicht nur lustig, sondern soll provozieren, kann fraglos auch verletzen. Wer das für eine Masche Houellebecqs hält, liegt vielleicht nicht ganz falsch, muss sich aber doch fragen lassen, ob es eigentlich der Natur der Sache geschuldet ist, dass der Islam anders als die anderen beiden monotheistischen Religionen kaum vom sexualpathologischen Blick erfasst wird. Man darf daran erinnern, dass Sigmund Freuds Studie Zukunft einer Illusion, die den zwangsneurotischen Kern der Religion freilegte, noch bis vor wenigen Jahren eine vielgelesene Schrift war. Dass auch Monotheismus noch anderes, Spirituelles bereithält, träte hinzu. Rediger schwärmt von der poetischen Kraft des Korans.

Albern ist indes der Vorwurf an Houellebecq, er würde mit diesem Roman „Ängste“ schüren. Diese Ängste zirkulieren auch ohne den Roman, und auch der Autor ist nicht frei von ihnen. Aber sie bleiben diffus. „In Wirklichkeit weiß man nicht genau, wovor man Angst hat. Ob vor denen, die auf französischer Identität beharren, oder vor den Muslimen“, sagte Houellebecq in einem Interview. Diese Ambivalenz hat er in seinem Roman durchgehalten. Zwar schürt er keine Ängste, indem er das Bild eines aggressiven, bedrohlichen Islam zeichnet, aber er beruhigt uns eben auch nicht wirklich, denn sein Islam ist geradezu irritierend weich und moderat. Das Buch durchzieht die kindliche Hoffnung, alle „großen Konflikte der Gegenwart könnten gleichsam verdunsten“, wie Thomas Steinfeld in der Süddeutschen Zeitung schrieb, aber man weiß nicht, wie ernst man diese Hoffnung nehmen sollte.

Vordergründig verspricht dieser „Islam“ ja nichts weniger als die Befreiung aus der „condition moderne“, und das meint bei Houllebecq, die Erlösung des erschöpften, kraftlosen Menschen, sprich Mannes, aus einer, wie es wörtlich heißt „untergehenden Welt“ (Cord Riechelmann hat in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung auf den Einfluss von Oswald Spengler auf Houellebecq hingewiesen). François ist ein weiterer dieser müden houellebcqschen Helden; dank seines akademischen Status hat er zwar keine Probleme, Frauen zu finden, mit denen er Sex haben kann, sein Beziehungsleben verläuft aber nach einem so drögen „Muster“ – eines seiner Lieblingsworte –, dass er es mit dem Kommen und Gehen der Jahreszeiten vergleichen kann. Und wenn François gerade keine Frau hat, geht er wie „jeder stinknormale Mann“ auf YouPorn, das „im Laufe der Jahre als Pornoseite Maßstäbe gesetzt hat“, wie es im typischen Stil Houellebecqs heißt.

Einen Ausbruch aus diesem Trott verspricht die vorerst letzte seiner Geliebten, Myriam, die von François eine echte Beziehung einfordert, der er sich nicht gewachsen sieht. Myriam geht nach Israel, was man im Kontext des Romans unbedingt auch als starkes Symbol lesen muss.

Eine der Pointen des Romans ist, dass man ihn als Parodie auf die Literaturgeschichte der Konversion lesen kann. Joris-Karl Huysmans (1848–1907), das Idol von François, ist ja nur einer der vielen Künstler und Schriftsteller, die sich aus Dekadenz und radikaler Diesseitigkeit in die Religion verabschiedet haben, für Deutschland denke man an den Dadaisten Hugo Ball, oder, jüngstes Beispiel, an Matthias Matussek. Auch François versucht es seinem Idol gleichzutun. Aber anders als Huysmans findet er im Kloster keinen Seelenfrieden – wie auch, wenn alle 20 Minuten ein TGV vorbeirast?

Die Rückkehr der monotheistischen Religion ist der vorerst letzte Heilsdiskurs, mit dem die Moderne sich selbst erlösen will. Man denke an den Kommunismus oder an die befreiende Rolle, die Houellebecq der Reproduktionsmedizin zugeschrieben hatte. Nun also der Islam. Er wird so sehr durch die Nöte des Westens gespiegelt, dass man den Eindruck gewinnt, dass er uns nicht braucht, wohl aber „wir“, der Westen, ihn. Aber bekommen wir ihn auch? Die Kritik des Romans hat vermerkt, wie wenig wahrscheinlich ein Szenario ist, in dem eine islamische Partei in ein paar Jahren in Frankreich an die Macht kommt, selbst wenn die republikanischen Parteien so schwach bleiben wie zur Stunde. Eher schon könnte der Front National weiter erstarken, der ja auch in der Satire nur noch durch das Bündnis von islamischer Partei und den gemäßigten Kräften am Wahlsieg gehindert werden konnte.

Das anzumerken ist schon richtig, aber das Szenario ist, wenn man will, auch der Satire selbst geschuldet. Satire braucht Sichtbarkeit, Repräsentation von gesellschaftlichen Mächten. Dass etwa die Titanic seit Jahren kriselt, liegt daran, dass die Verschiebungen im Kräftefeld der Gesellschaft zwar verzeichnet werden, aber klar konturierte Formen (noch) fehlen, und das bringt eben nicht nur die Verschwörungstheorien zum Blühen, sondern auch die Satire zum Schwächeln. So erklärt es sich zum Beispiel, dass Alice Schwarzer im Feminismus immer noch den satirischen Alleinvertretungsanspruch hat.

Ein ordentlicher Witz

Ähnlich liegen die Probleme mit dem Islam. Abgesehen von Vorbehalten und Ängsten: Auf wen genau sollte eine Satire in Deutschland zielen? Zwar mag es eine „Muslimische Bruderschaft“ auch im realen Frankreich ebenso wenig geben wie deren Führer Mohamed Ben Abbès, bei dem Houellebecq aber immerhin auf ein vages Vorbild wie Tariq Ramadan und dessen moderaten Euro-Islam zurückgreifen konnte. Dieser Ben Abbe ist so moderat, dass er sogar für einen „neuen Humanismus“ steht und ökonomisch einen „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus anstrebt. Dass ihm das durch die Stärkung von „Familienunternehmen“ gelingen soll, kann man als weiteren Beleg dafür sehen, dass die muslimische Bruderschaft einfach die bessere, weil erfolgreichere konservative Partei ist.

Der Leser kann es – ganz ähnlich übrigens wie bei Christian Krachts Romanen – aber auch nur für einen ordentlichen Witz halten. Vielleicht sollte er das sogar. Denn Uneigentlichkeit, Witz und Spiel sind nicht nur, was diesen Roman auszeichnet. Es ist, nun ja, auch das, was den angeblich so müden Westen stark macht.

Unterwerfung Michel Houellebecq DuMont Buchverlag 2015, 280 S., 22,99 €

Die besten Blätter für den Herbst

Lesen Sie den Freitag und den neuen Roman "Eigentum" von Wolf Haas

Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

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