Auf den Spuren von Peter Handke

Pilgerreise Auf nach Chaville, wo der Meister lebt. Dokument einer Reise an die Peripherie (mit großem Bildteil!)

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Es war ein herrlicher Tag, als ich im Herbst vor zwei Jahren auf den Vorplatz des Bahnhofs von Chaville trat. Ich stellte mir vor, wie mein Held Peter Handke an gleicher Stelle steht und dann ...

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... in seinem berühmten Hüpfschritt die Brasserie über den Platz ansteuert. "Wir haben immer einen Tisch frei für den schweigsamen Deutschen", sagte mir der Kellner der Brasserie. "Er ist doch Österreicher", versuchte ich ihn zu korrigieren. Aber der Kellner winkte ab. "Gast ist Gast." Ich fragte ihn, ob Handke an diesem Tisch auch schreibe, und bekam eine so präzise Antwort, dass ich vor Verblüffung in die Hände klatschte:

"Die Seiten 46 bis 85 der 'Morawischen Nacht' sind an diesem Tisch entstanden. Genug. Meistens schreibt er ja in der Bibliothek. Versuchen Sie dort ihr Glück."

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Ich ging zur Bibliothek von Chaville, die mich durch ihre Größe beeindruckte. Sie wurde 1975 unter dem kommunistischen Stadtpräsident Alphonse Crétier erbaut:

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Die wichtigsten Werke Handkes sind in dort der Freihandbibliothek zu finden.

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Handke hat eigenen Schreibtisch. Er hat feste Schreibzeiten: von Montag bis Freitag 9.00 bis 12.00. (Besucher bitte vorher am Counter anmelden).

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Der Nachmittag eines Schriftstellers ist dann bekanntlich anderen Aktivitäten vorbehalten:

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Zurück von meinem Spaziergang durch das Wäldchen von Chaville, in dem Handke seine Pilze sucht, kam ich durch die kleine Banlieu, in der sich auch das serbische Kulturzentrum e.V. befinden soll:

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Und wieder in der Innenstadt traf ich auf den Schuster Raffi. Er ist es, der Handkes Schuhe neu besohlt, wenn dieser von einer großen Wanderschaft zurückkehrt:

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Meister Raffi glaubte auch zu wissen, wo Handke wohnt. Mit ausladender Geste wies er auf die andere Straßenseite und sagte: "In diesem völlig verrückten, mich immer wieder zu Tränen rührenden Haus da drüben":

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"Warte, Journalist", sagte Meister Raffi, als ich zu dem Häuschen enteilen wollte, und packte mich am Ärmel meiner Barbourjacke . "Dort geht Mme Leclaud. Sie putzt seit vielen, vielen Jahren bei Handke. Aber sie ist alt geworden, sehr alt. Wir sorgen uns alle, ob sie ihren Pflichten noch nachkommen kann!"

Es hatte ja Aufregung gegeben nach der Veröffentlichung eines Bildbandes über Handkes Haus. Im Inneren herrschte eine fröhliche Unordnung und man sah wohl auch den einen oder anderen Müllhaufen.

Aber nun rasch zu Mme Leclaud!

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Mme Leclaud winkte barsch ab, als ich sie ansprach. Ich wollte nicht respektlos sein und eilte zu dem verrückten Häuschen. An der Klingel stand ein anderer Name, aber eigentlich, so denke ich heute, muss das nichts heißen.

Unterdessen war es spät geworden in Chaville:

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Und so langsam fragte ich mich, ob ich das Haus von Handke, geschweige denn diesen selbst, jemals zu Gesicht bekommen würde. Mir wurde bange und schwindlig von dem vielen Herumgehen und ich kam auf die absurdesten Gedanken. "Hier baut er also", dachte ich zum Beispiel:

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Oder "da, der in der Mitte rechts, das ist er doch. Der Verfasser der drei Versuche – Versuch über die Juxbox, Versuch über den geglückten Tag, Versuch über die Müdigkeit – hat also lokalpolitische Ambitionen, wer hätte das gedacht."

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Verdammt, hieß es nun "Versuch über die Müdigkeit" oder nicht? Schließlich wurde ich so kirre ...

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...dass ich ihn fast verpasst hätte.

Er wartete auf den Bus nach Paris, der dann auch gleich kam. Ob er in einem seiner eigenen Bücher las oder nicht, wird sich wohl nie klären lassen.

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Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

Michael Angele

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